Formel 1:Respekt und Flunkerei

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Michael Schumacher sieht keinen Nutzen darin, die Rivalität mit Fernando Alonso anzuheizen - der Weltmeister ist ihm dafür zu ähnlich.

René Hofmann

Am Ende wird Fernando Alonso 1,1 Sekunden schneller sein. Einfach so. Ganz beiläufig. Nur für sich. Mittwochmorgen in Melbourne: Vier Tage vor dem Formel-1-Rennen bestimmen in allen Rennställen die PR-Abteilungen das Programm.

Michael Schumacher macht auch beim Rugby eine gute Figur. (Foto: Foto: Reuters)

Die Mercedes-Piloten führen auf einem Kurs vor der Stadt sportliche Serienfahrzeuge vor. Nick Heidfeld und Jacques Villeneuve spielen Tennis für einen guten Zweck.

Fernando Alonso hat einen Termin bei einem seiner ältesten Sponsoren, einer Leasingfirma. Im sechsten Stock eines Bürogebäudes im Stadtteil St. Kilda soll er sich an einem Fahrsimulator ein Rennen mit dem schnellsten australischen Radfahrer liefern.

Der Radfahrer strampelt auf einem Ergometer, Alonso lenkt seinen Renault auf dem Bildschirm über die Strecke von Melbourne. Das Meer ist nahe, durch die großen Fenster könnte man es gut sehen, doch der Sponsor hat Stellwände aufgebaut. Er will etwas haben von dem Termin. Als Fernando Alonso losfährt, klicken die Kameras der eingeladenen Fotografen. Gut ein Dutzend sind da. Schnell beginnt der Kampf ums beste Bild. "Fernando, hierhin schauen", schallt es von links. "Und jetzt hierhin", von rechts.

Die Größe eines Sportlers zeigt sich oft in Kleinigkeiten

Termine wie dieser enden immer im Chaos. Mitten in dem Durcheinander sitzt Fernando Alonso, schaut auf den Bildschirm und lenkt ruhig seinen Wagen. Wenn es die Strecke erlaubt, schaut er kurz nach links. Bei der nächsten Gelegenheit dann kurz nach rechts. Gelassen, sehr kontrolliert. Die Größe eines Sportlers zeigt sich oft in Kleinigkeiten.

Ein paar hundert Meter weiter hat ein paar Stunden später Michael Schumacher einen Auftritt. Er soll gegen seinen Teamkollegen Felipe Massa Rugby spielen. Ein Mobilfunkanbieter hat dafür ein paar ehemalige Profis angeheuert, eine Wiese abgesperrt, seinen Firmennamen hundert Mal auf Fahnen und Plakate schreiben lassen und diese überall aufgehängt. Eine reine Show-Nummer.

Bei dem Spielchen geht es um nichts, nur ein paar schöne Bildchen sollen herauskommen. Doch als es knapp wird und die Partie in die entscheidende Phase geht, will es Schumacher wissen. Er setzt zu einem Solo an und stürmt mit dem Ei unter dem Arm der Endzone entgegen. Felipe Massa kommt einen Schritt zu spät, als der zwölf Jahre ältere Kollege jubelnd zum Punkt stürmt. Das ist das mit Abstand stärkste Motiv.

Gefährliche Nähe

Zwei zufällige Beobachtungen nur, an einem beliebigen Tag, aber sie sagen viel über Fernando Alonso und Michael Schumacher, den Weltmeister und seinen Vorgänger. Die Saison hat gerade erst begonnen, aber vieles deutet daraufhin, dass die beiden das Jahr prägen werden. Von ihren Entscheidungen hängt maßgeblich ab, wem sich auf dem Fahrermarkt welche Chancen bieten.

Gleich bei der ersten Wettfahrt der Saison waren sie sich gefährlich nahe gekommen. Als Fernando Alonso nach dem zweiten Stopp aus der Boxengasse bog, war Schumacher einen halben Meter hinter ihm. Der Spanier verteidigte seinen Vorsprung kaltblütig, was ihm den Sieg brachte. Das zweite Rennen hat Giancarlo Fisichella gewonnen, "aber hier", sagt Alonso über die Wettfahrt am Sonntag im Albert Park, "ist Michael für mich der Favorit. Und am Ende werden er und Kimi Räikkönen in der WM-Wertung meine Gegner sein".

Michael Schumacher sagt zu dem Thema weniger. Wenn er nach Alonso gefragt wird, lobt er stets dessen feines Gefühl für die Technik. Für eine tiefgründigere Einschätzung sei er dem Rivalen noch nicht nahe genug gekommen.

Das ist Unsinn - in Imola beharkten die beiden sich im vergangenen Jahr leidenschaftlich, in Japan überholte ihn Alonso waghalsig, und näher als in Bahrain können sich zwei Autos kaum kommen -, aber die Flunkerei verrät auch so einiges: Respekt. Schumacher sieht keinen Nutzen darin, die Rivalität anzuheizen. Psychospiele sind wichtig in der Formel 1, aber sie bringen nur etwas, wenn der Gegner dazu passt. Alonso passt nicht.

Die beiden haben einige Gemeinsamkeiten. Beide stammen aus bescheidenen Verhältnissen, Schumachers Vater war Feuerungsmaurer, Alonsos Sprengmeister. Beide haben mit Flavio Briatore ihren ersten Titel gewonnen, sich bald danach aber von der dubiosen Vaterfigur gelöst; Schumacher fand bei Ferrari eine neue Familie, Alonso strebt 2007 zu McLaren.

Vorher will er mit Renault wiederholen, was Schumacher 1995 mit Benetton gelang: den Titel mit einem Team zu verteidigen, das er definitiv verlassen wird. Eine Chance erkennen, sie nutzen, nach außen konziliant, im Streben zum Ziel aber unerbittlich - wer sich die Meister der vergangenen sechs Jahre ansieht, kommt zu dem Schluss, dass das wohl der Schlüssel zum Erfolg ist. Talent haben alle Fahrer, diplomatisches Geschick etliche, den unbedingten Willen zum Sieg auch einige. Alles zusammen haben wenige.

Übernächtigt am Steuer

Rubens Barrichello hat in all den Jahren bei Ferrari kein einziges Promotion-Spielchen gegen Michael Schumacher gewonnen, entsprechend sah es auch auf der Strecke aus. Bei Felipe Massa wird das wieder so kommen, auch wenn der in Malaysia einmal einen Rang vor Schumacher blieb.

Giancarlo Fisichella war zuletzt ebenfalls knapp besser als Fernando Alonso, langfristig aber setzten sich immer die Konstanteren durch, diejenigen, die überall gewinnen wollen. Fernando Alonso ist übernächtigt an diesem Morgen. Er ist gerade erst aus Tokio eingeflogen, seine Augen sind klein und tränen.

Als der Moderator das Ende des Fotoshootings mit dem Radfahrer verkündet, lenkt Alonso seinen Wagen auf dem Fahrsimulator gerade über die Ziellinie. Die Zeit ist gut. In all dem Trubel hat er den vom Computer gesteuerten Michael Schumacher 1,1 Sekunden hinter sich gelassen. Fernando Alonso steigt aus. Und lächelt.

© SZ vom 30.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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