Formel 1:Reifen platzt, Vorsprung schrumpft

British Grand Prix 2017

Reifenwechsel: Kurz vor Schluss muss Sebastian Vettel noch einmal in die Boxengasse.

(Foto: REUTERS)
  • Zwei Runden vor Schluss reißen in Silverstone die Gummimischungen an beiden Ferraris - Sebastian Vettel fällt bis auf Platz sieben zurück.
  • Lewis Hamilton gewinnt vor Valtteri Bottas und rückt bis auf einen Punkt an Vettel heran.

Von Philipp Schneider

Wie ein Fetzen Stoff drehte sich das Gummi an Vettels linkem Vorderreifen, unaufhörlich schlug es peitschend auf den glühenden Asphalt von Silverstone. Die Einfahrt in die rettende Boxengasse hatte Vettel gerade verpasst. Und jetzt war es noch so ein verdammt weiter Weg bis zu den Mechanikern. Ein Rennwagen mit Reifenplatzer bietet generell einen tristen Anblick, aber zwei Runden vor Schluss ist der besonders traurig. Zumal für einen Führenden der Gesamtwertung, der möglicherweise gewarnt hätte sein können vom Reifenplatzer seines Teamkollegen Kimi Räikkönen, der sich erst kurz zuvor zugetragen hatte.

So aber kam es, dass am Sonntag nicht nur Lewis Hamilton als Erster durchs Ziel rollte, sondern beim Doppelsieg von Mercedes auch noch gefolgt wurde von Valtteri Bottas. Räikkönen hatte sich immerhin noch auf Platz drei gerettet. Für Vettel allerdings ging der Große Preis von England so wenig besinnlich zu Ende wie ein Film von Stanley Kubrick. Er wurde nicht Dritter, sondern nur Siebter. Der Platzer kostete ihn neun Punkte. Und seine Führung in der Gesamtwertung schrumpfte von 20 auf einen Punkt. "Es kam wie aus dem Nichts. Wir haben darüber gesprochen und ich hatte das Gefühl, es sei in Ordnung. Dass dann der Reifen in die Luft fliegt, kann man nicht wissen", sagte Vettel. "Nevertheless", befand Mercedes-Aufsichtsrat Niki Lauda, der aus gespieltem Respekt seine berühmte Mütze von seinem noch berühmteren Kopf zog. Nichtsdestotrotz (wobei der Österreicher an die Reifenplatzer dachte) "eine große Leistung von Hamilton und Bottas".

Eben noch im Urlaub auf Mykonos

Es gibt ja Leute, die meinen, Hamilton würde als Grundlage für seine allerbesten Leistungen enorme Aufmerksamkeit benötigen. Indem er beispielsweise vor dem Rennen ein bisschen die Fans gegen sich aufbringt. Und ein bisschen auch den Chef. Im Nachhinein muss man sagen, dass Hamilton alles richtig gemacht hat: Mit seiner Entscheidung, zwei Tage Urlaub zu machen auf Mykonos zwischen den Rennen in Österreich und England und deswegen auch eine PR-Veranstaltung in London sausen zu lassen, bei der sich die Formel 1 bürgernah präsentieren wollte. Vielleicht musste Hamilton die Brandung rauschen hören und aufs Meer schauen, als alle anderen Fahrer die Motoren jaulen ließen.

Bevor er zum vierten Mal in Serie sein Heimrennen gewann, hatte er schon im Qualifying eine Fabelrunde hingelegt, er war mehr als eine halbe Sekunde schneller als Räikkönen. Die Strecke in Silverstone mit ihren langen Kurven auf offenem Gelände liegt dem Mercedes besonders gut. In England wird der lange Radstand zu einem Vorteil, der beispielsweise in den engen Kurven in Monte Carlo zum Nachteil gereichte. Und im Rennen genoss Hamilton auch noch die Freude, dass er vom Start bis zum Ziel in ruhiger Luft fahren durfte, kein WM-Konkurrent wirbelte sie vor ihm durcheinander.

Hamilton parkte sein Auto vor den Ferraris von Räikkönen und Vettel. Bottas ging von Position neun ins Rennen, weil bei ihm genau wie im Rennen zuvor bei Hamilton das Getriebe getauscht werden musste, was eine Strafversetzung um fünf Plätze zur Folge hatte. Die Frage war: Wie würde die konzertierte Aktion der Scuderia ausfallen? Entweder, das war klar, musste einer der Piloten am Start vorbei an Hamilton. Oder Vettel musste hoffen, dass die Reifen besser hielten, was oft der Fall gewesen war im Vergleich zu Mercedes. Doch aus dem Plan von Vettel und Räikkönen wurde so wenig wie aus den Reifen. Schon nach dem Start lag der Plan in Fetzen.

Max Verstappen, vor dem Anrollen Nachbar von Vettel, meldete vor dem Start, dass Vettels Bremsen Feuer gefangen hätten. In der Tat qualmte es am Ferrari, "dann waren die Reifen so heiß, dass ich keinen Grip hatte", sagte Vettel. Und Verstappen war offenbar selbst "on fire", wie nicht nur die Briten sagen, er zog vor der ersten Kurve an Vettel vorbei, verlor die Position wieder, eroberte sie sich aber noch in der ersten Runde zurück. Nach einer Kollision der Toro-Rosso-Kollegen Daniil Kvyat und Carlos Sainz rückte das Safety Car aus.

Vettel zahlte einen hohen Preis

Dass sich Verstappen auf Rang drei und zwischen die Ferrari geschoben hatte, war ein Geschenk für Mercedes. Und Bottas holte rasant auf. Nach acht Runden spürte ihn Vettel bereits in seinem Heck. Ganz vorne drehte Hamilton die schnellste Rennrunde, nach zwölf Runden betrug sein Vorsprung auf Räikkönen mehr als drei Sekunden. Dahinter konnte Verstappen nicht mithalten, der wiederum Vettel aufhielt. Vettel wusste, dass er vorbei musste am Holländer, sollte das Wochenende in England noch halbwegs befriedigend enden.

Vorbei kam er auch. Allerdings zahlte er dafür womöglich einen hohen Preis.

Den Preis eines frühen Reifenwechsels.

In Runde 14 attackierte er zum ersten Mal, zog innen vorbei an Verstappen, der verließ die Strecke, verkürzte so den Weg, und konterte. Vettels streckte seine Faust in den Himmel, drängte wiederum Verstappen vom Asphalt. "Will der Autoscooter mit mir spielen?", funkte Verstappen. Und so hatte dieses Rennen nun einen irren Zweikampf, in den sich bald auch noch Bottas einmischen würde.

Dachte man. Ferrari ließ sich etwas anderes einfallen. Nach 19 von 51 Runden riefen sie Vettel an die Box für einen sogenannten Undercut. Die Idee war: Wenn Vettel nicht auf der Strecke überholen könne, dann halt in der Box. Eine Runde später war Vettel vorbei an Verstappen, der gleich nach dem Deutschen an zum Reifenwechsel gerufen wurde, dort aber eine halbe Sekunde länger parkte. Acht Runden vor Schluss hatte allerdings Bottas aufgeschlossen zu Vettel. Und sieben Runden vor Schluss zog er an einer Geraden ziemlich lässig vorbei am Deutschen. Vettels Reifen boten wegen des frühen Wechsels weniger Halt als die von Bottas. "Ich habe keine Vorderräder mehr", funkte Vettel. Das klang wie eine Übertreibung. War aber die Wahrheit. Nur ahnte es Vettel noch nicht.

Kurz darauf platzte Räikkönen der Reifen, er fuhr an die Box. "Da kannst du nichts machen", sagte Räikkönen, "und leider ist Seb dann dasselbe passiert." Nur verlor der noch vier Positionen. "Mein Hals", sagte Vettel, "ist gar nicht so dick. Man kann da ja nicht viel machen."

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