Formel 1:Randstein-Räuber Vettel

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Mercedes glückt der vierte Doppelerfolg 2015 - beim Blick in den Rückspiegel fällt aber ein rotes Auto auf.

Von Elmar Brümmer, Montreal

Wo die Mütze so schnell herkam, weiß keiner. Aber kurz nach seinem fünften Platz beim Großen Preis von Kanada bekam Sebastian Vettel eine Kappe in die Hand gedrückt, auf der in großen Lettern "Che cazzo" stand, Italienisch für verdammter Mist. So kann man das natürlich sehen, wenn man 70 Runden lang Attacke fährt, mit einem Stepptanz auf Gas- und Bremspedal 13 Positionen gut macht - und sich vorstellt, wo diese Reise von einem normalen Startplatz aus hingeführt hätte.

"Schade, das Podium hier ist besonders schön", hadert der Pokal-Fetischist aus Heppenheim mit Blick auf den Mercedes-Triumph durch Lewis Hamilton und Nico Rosberg: "Die hatten ein langweiliges Rennen. Schade, wir hätten heute ein bisschen mitmischen können."

Immerhin rettete Vettels Aufholjagd den Zuschauern den Nachmittag. Und auch die Kameras waren häufiger auf den Ferrari mit der Startnummer fünf gerichtet als auf die Silberpfeile. Sollte, hätte, könnte gehört für gewöhnlich nicht zum Wortschatz des 27-Jährigen. Aber angesichts seiner Bravourfahrt kam Vettel doch ins Grübeln: "Ich wäre gern weiter vorn los gefahren. Das hätte alles etwas einfacher gemacht." So blieb nur die Bilanz: "Wir hatten zwar den nötigen Speed, meine Auto wurde immer besser im Verlauf des Rennens, aber mehr war einfach nicht drin."

Als der Deutsche noch zweifelte, hatte Teamchef Maurizio Arrivabene den vierten Rang von Kimi Räikkönen und den fünften Vettels bereits eingeordnet: "Wenn man sich Sebs Tempo ansieht, dann waren wir dabei. Aber bin ich damit zufrieden? Nein, sicher nicht." Zumal Fiat-Lenker Sergio Marchionne, ein Italo-Kanadier, an der Strecke weilte.

Immerhin: Die aerodynamische Runderneuerung des Rennwagens, das Motorenupgrade und der angebliche Wundersprit haben Arrivabene die Antwort gegeben, die er haben wollte - die Scuderia kann aus eigener Kraft Boden auf Mercedes gut machen, zumindest solange das Stuttgarter Werksteam nicht wirklich Ernst macht. Der vierte Doppelerfolg im siebten WM-Lauf stand im Zeichen des Benzin- und Bremsen-Sparens, während Ferrari bedingungslos zum Angriff übergehen konnte, weil der SF15T die Reifen besonders gut behandelt; Vettel konnte 27 Umläufe auf einem Pneu-Satz absolvieren. Doch Arrivabene weiß auch: "Die Lücke gegenüber Mercedes in jedem Rennen schließen zu können, das ist schwer."

Als "unterhaltsam" bewertete Vettel seine Aufholjagd auf der Île Notre-Dame. Besonders interessant waren jene zwei Manöver, bei denen er auf Fernando Alonso auflief, seinem Vorgänger bei Ferrari. Alonsos McLaren ist weit weg von dem, was man Konkurrenzfähigkeit nennt, aber der spanische Pilot ist immer noch der Einzelkämpfer hinter dem Lenkrad, der er immer war. So kollidierten die beiden beim ersten Aufeinandertreffen. "Ich hätte es wissen müssen, dass Fernando in der Kurve keinen Zentimeter nachgibt, um unbedingt vor mir zu bleiben", ärgerte sich Vettel, "beim zweiten Mal war ich cleverer."

Ähnlich erbittert war Vettels Auseinandersetzung mit Nico Hülkenberg, bei der der Force-India-Fahrer im Kampf um Platz sieben zu viel Speed hatte - Vettel sah das Manöver kommen und wich aus. Reihenweise Qualifikationsrunden legte er hin, die ihn am Ende 4,3 Sekunden hinter Teamkollegen Räikkönen brachten, der den dritten Platz mit einem Dreher Williams-Lenker Valtteri Bottas schenkte. Ein Platztausch zwischen Vettel und Räikkönen war am Ferrari-Kommandostand nie ein Thema.

Vettel weiß, wie steil die Lernkurve bis hoch zum Mercedes-Niveau noch ist, weshalb er es vermeidet, nach oben zu starren: "Ich würde sagen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Leicht wird das nicht, aber die Neuerungen hier haben wie erwartet funktioniert."

Lewis Hamilton, der mit seinem 37. Grand-Prix-Sieg die WM-Führung gegenüber Nico Rosberg auf 17 Punkte ausgebaut hat, ahnt die Gefahr, die von Vettel ausgeht, der vor dem Rennen am 21. Juni in Spielberg in Österreich nun 43 Zähler zurück ist: "Wir können überhaupt nicht entspannt sein, denn die wahre Stärke von Ferrari haben wir im Rennen nicht sehen können." Auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff, beglückt vor allem von der Souveränität seines Rennstalls nach der Strategiepanne von Monte Carlo, glaubt: "Wir dürfen die Verbesserungen, die Ferrari gemacht hat, nicht unterschätzen."

Die Art und Weise, wie Vettel über die Randsteine räuberte, unterstreicht die Entschlossenheit der Herausforderer. Bereits nach einem halben Jahr in Diensten Ferraris hat der viermalige Weltmeister die Rolle des Mannschaftskapitäns angenommen, lebt Korps- und Kampfgeist vor. Die Panne beim ersten Boxenstopp, als er drei Sekunden beim Hinterradwechsel verlor, spielte Vettel herunter: "Das ist doch menschlich, ich hatte ja auch ein paar Probleme hier. Wir haben eine gute Bilanz bei den Boxenstopps, das war der erste Patzer."

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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