Formel 1:Neue Könige für die Silberpfeile

Er hat als Sportchef einen Mythos wiederbelebt, doch nach 17 Jahren muss Norbert Haug hinnehmen, dass sich das Machtgefüge im Mercedes-Team verändert hat.

René Hofmann

Der Block. Norbert Haug schreibt gerne. Auch während der Rennen. Mit einem Füller notiert er, was ihm wichtig ist: Rundenzeiten, Sektorenzeiten, Abstände, Platzierungen. Wenn er hinterher über das Geschehene reden soll, zückt er gerne das Blöckchen, das er in der Brusttasche trägt, und rezitiert daraus. Gar nicht besserwisserisch, eher kumpelhaft, als gewähre er einen Einblick in ein tieferes, kaum zu durchdringendes Wissen.

Norbert Haug

Norbert Haug teilt die Welt in zwei Lager: Racer und Nicht-Racer.

(Foto: Foto: AFP)

54 Jahre ist Norbert Haug inzwischen alt. Schon seit 17 Jahren ist er Motorsportchef der Marke Mercedes. Drei Vorstandsvorsitzende hat er erlebt. Der Konzern, bei dem er angestellt ist, hieß erst Daimler-Benz, dann DaimlerChrysler, bald wird er nur noch Daimler heißen. Es mag mächtigere Menschen in ihm geben, aber kein anderer ist so oft im Fernsehen. Norbert Haug ist das Gesicht der mächtigsten deutschen Firma. Er hat deren Image stärker geprägt als jede Werbekampagne. Als er anfing, baute die Firma noch Autos, wie Kinder sie gerne malen: Kantige, klobige Gebilde, die vor allem Buchhaltern gefielen, Landwirten und Rentnern. Inzwischen hat sich das geändert.

Genau genommen gewinnt keine deutsche Mannschaft, sondern eine britische

Beim hauseigenen Tuner sind Modelle zu bekommen, die beinahe so viel Schub und so wenig Windwiderstand haben wie eine Boden-Luft-Rakete. Eine Zeitlang rollte zuletzt fast jedes zweite Auto, das einen Stern trägt, in Silber vom Band. Silber. Wie die berühmten Silberpfeile. Das ist Haugs große Leistung: Dass er ihren Mythos wiederbelebt hat. An diesem Wochenende wird davon wieder viel die Rede sein. Die Formel 1 kommt an den Nürburgring. Dort gibt es eine Mercedes-Arena. Dort siegten schon vor mehr als 50 Jahren silberne Wagen. Und dort gehören sie auch in diesem Jahr zu den Favoriten. Das Team führt die Konstrukteurs-Wertung an. Silber überstrahlt alles. Das ist der Eindruck. Der aber täuscht.

Denn genau genommen gewinnt da keine deutsche Mannschaft, sondern eine britische. Die Autos baut McLaren in Woking im Südwesten von London. Mercedes gehören lediglich 40 Prozent der Firma. Die deutsche Marke steuert die Motoren bei, aber die entstehen auch in einer Spezialfabrik im britischen Brixworth. Bis auf ein wenig Grundlagenforschung und ein paar Prüfstandstunden, die in Stuttgart abgeleistet werden, ist der deutsche Beitrag am Erfolg recht überschaubar. Ganz so viel zu sagen, wie es scheint, hat Norbert Haug deswegen gar nicht. Früher ist er einmal Journalist gewesen, bei der Pforzheimer Zeitung hatte er volontiert. Danach: Karriere im Motor-Presse-Verlag Stuttgart. Haug war noch keine 25 Jahre alt, als er zum Ressortleiter Sport beim Fachblatt auto motor sport aufstieg.

Haug ist ein gewitzter Journalist gewesen. Als es bei Porsche einmal nicht so lief, legte er das Pferd aus dem Wappen des Sportwagenherstellers quer ins Heft.

Jede Regionalzeitung, die heute weit weniger Freches mit dem Stern veranstaltet, muss damit rechnen, Ärger zu bekommen. Das TV-Bild vom onkelhaften, stets freundlichen Abteilungsleiter, der nach jedem Rennen die eigenen Leute lobt und den Sportsgeist beschwört, täuscht. Norbert Haug hat eine Gabe: Er kann Menschen mit jeder Faser seines Körpers spüren lassen, dass er sie geringschätzt. Und er teilt die Welt in zwei Lager: Racer und Nicht-Racer. Rennfahrertypen, hat er in einem Playboy-Interview einmal gesagt, sind für ihn Menschen, die sich mit jedem legalen Mittel nach vorne bringen, "die durch die Küche gehen, um am Büffet ganz vorn zu sein". Haug ist in einigen Tourenwagenserien selbst Rennen gefahren. Zu einer ernsthaften Karriere reichte es nicht. Aber noch heute demonstriert er auf der Nordschleife des Nürburgrings gerne, wie quer ein Auto sich um Kurven bewegen lässt. Zu den Gefahren des Sports hat er einmal gesagt: "Wer Angst hat, soll am Sonntagmittag zu Hause bleiben."

So unerschrocken, wie das klingt, ist er aber gar nicht. 1999, als beim Training zum 24-Stunden-Rennen in Le Mans der Australier Mark Webber in einem Mercedes-Prototypen zweimal im hohen Bogen von der Hochgeschwindigkeitsstrecke flog, hätte Haug die Wagen gerne zurückgezogen. Andere setzten sich durch, und die Blamage nahm ihren Lauf: Im Rennen flog auch Peter Dumbreck ab. Im Grunde ist es das große Dilemma in Norbert Haugs Biografie: Er hat es weit gebracht - das Sagen aber haben doch andere. Zumindest in der Formel 1. Als der Teddybären-Sammler Jürgen Hubbert noch Chef der Marke Mercedes war, zeigte sich der gerne selbst an der Rennstrecke und klopfte starke Sprüche. Haug sah daneben recht blass aus.

Als Hubberts Zeit sich neigte, hätte sich eine gute Gelegenheit für Mercedes geboten, die Mehrheit an McLaren zu übernehmen. Rennstall-Chef Ron Dennis hatte sich eine Fabrik bauen lassen, wie sie die Motorsportwelt noch nicht gesehen hatte: zigtausend Quadratmeter groß, mit einem eigenen See vor der Glasfront. Für den Prachtbau hatte er sich eine mächtige Schuldenlast aufgeladen. Von der hätte ihn Mercedes leicht befreien können. Doch der Konzern zögerte zu lange. Im vergangenen Jahr hat Dennis sich dafür einen anderen Investor ins Team geholt: Dem Königshaus von Bahrain gehören nun 30 Prozent des Teams.

Wie sehr das das Machtgefüge verändert hat, lässt sich bei dem Ritual gut beobachten, das Haug und Dennis bei den Formel-1-Rennen pflegen. Im Motorhome treten die beiden gemeinsam auf und stellen sich Fragen. In den vergangenen Jahren ließ Dennis sich dabei häufig vertreten. Wenn er kam, wirkte er oft ein wenig abwesend. Haug hingegen war voll engagiert, verteidigte die Fahrer und warf sich für immer neue Motorenreglements ins Zeug. Inzwischen hat sich das Verhältnis gedreht. Dennis doziert zu jedem Thema. Die Motorentechnik ist eingefroren. Haug wird kaum noch gefragt.

Er sitzt dabei, nun ja, wie der Vertreter eines wichtigen Sponsors eben dabei sitzen darf: interessiert, aber weitgehend unbeteiligt. Entscheidendes steht selten in seinem Block.

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