Formel 1:Mit mahlenden Backenmuskeln

Weltmeister Michael Schumacher und die Scuderia Ferrari geben zu: Die Formel-1-Saison ist für sie gelaufen.

Von Elmar Brümmer

Sieben Mal Weltmeister zu sein, und dann allen Ernstes über einen sechsten Platz referieren zu müssen, das hat man sich beschwerlich vorzustellen. Für Michael Schumacher ist es der bittere Ernst im neuen Formel-1-Alltag. Daher braucht es drei Anläufe seines Haus-TV-Senders RTL, bis die Bankrotterklärung formuliert ist. Erster Versuch: "Michael Schumacher, verspüren Sie Freude oder Ärger über den sechsten Platz?" Antwort Schumacher: "Weder noch." Zweiter Versuch: "Sondern?" Antwort Schumacher: "Weder noch." Dritter Versuch: "Wie muss man das Ergebnis einschätzen?" Antwort: "Der sechste Platz ist sicherlich nicht sonderlich viel wert. Besonders, wenn man auf die Zeiten guckt, schaut es nicht sehr gut aus."

Was der Ferrari-Pilot auf den Großen Preis von Großbritannien münzt, darf getrost als Saisonvorschau für die zweite WM-Hälfte genommen werden. Ferrari fährt zwar mit, aber auch hauptsächlich hinterher. Renault mit Fernando Alonso an der Spitze ist auf und davon, nach dem sicheren zweiten Platz des Spaniers auf der für sein Fahrzeug schlechtesten Strecke des Jahres. McLaren-Mercedes hat - der Sieg von Juan-Pablo Montoya und der dritte Platz für Kimi Räikkönen von Startrang zwölf aus bestätigen das - derzeit das stärkste Auto. Der Scuderia Ferrari bleibt die Verzweiflung. Zugeben, dass die Saison gelaufen ist, widerspricht Schumachers Ehrgeiz. "Ich wünschte mir, dass ich noch um den Titel mitfahren kann. Aber im Moment rückt das in weite Ferne", sagt er ernüchtert.

Für ein letztes Ausweichmanöver reicht die Kraft dann aber doch noch. "Ich denke, es wäre unvernünftig, dazu einen Kommentar abzugeben", sagt Michael Schumacher auf die Frage, ob er die Saison jetzt abgehakt habe. Länger darüber zu referieren, dass ihn zum zweiten Mal hintereinander der Toyota von Jarno Trulli um den Anschluss zur Spitzengruppe brachte, entspricht nicht dem Niveau des Champions. Die Gesichtsmuskeln arbeiten heftig im Bemühen, gefasst zu erscheinen - und nicht enttäuscht. Seine Erfahrung sagt Schumacher, dass der Rest der Saison genauso verlaufen könnte, wie das Rennen in Silverstone. Fernando Alonso kann aufgrund des Punktepolsters entspannt mit kalkuliertem Risiko operieren, so wie es Schumacher in den vergangenen Jahren vorgemacht hat. Die technische Konstitution des Ferrari und die Veranlagung der Bridgestone-Reifen bringen Schumacher um die Siegchance. Der F 2005 wirkt nur wie ein entfernter Verwandter des siegreichen Vorgängers F2004. Ein ziemlich unausgeglichener dazu. "Wir sind einfach nicht schnell genug", gibt Schumacher zu: "Die anderen haben besser entwickelt, wir haben in den letzten drei Rennen eher einen Schritt rückwärts gemacht."

Mit mahlenden Backenmuskeln

Selbst die Mathematik, mit der sich die theoretische Chance natürlich noch ausrechnen lässt, wird diesmal nicht groß bemüht. Mehr die Hoffnung, die letzte - und unbestimmte. "Der Weg zurück an die Spitze kann über Nacht gehen," hatte Michael Schumacher vor dem elften Saisonlauf behauptet: "Ich habe die Gewissheit, dass wir wieder aus den Pötten kommen." Für Technikchef Ross Brawn hatte Silverstone entscheidende Bedeutung, ob die Wende noch zu schaffen ist. Die Plätze sechs und sieben für die Fahrerpaarung Schumacher/Barrichello lassen einen eindeutigen Schluss zu - es war ein Debakel. "Es hat an allen Enden gefehlt", analysiert Brawn, was schon zur nächsten Problematik führt: Wo anfangen mit den Verbesserungen? Am besten ganz neu.

Das Ende der Ära erscheint greifbar, wenn Ferrari-Teamchef Jean Todt in aller Vornehmheit erklärt: "Beide Autos in die Punkte zu bekommen, war unser einziges realistisches Ziel. Wir sind nicht fähig, das Tempo unserer Gegner mitzugehen." Und das, obwohl die jahrelange technische Dominanz und der früh eingefahrene Titel im Vorjahr genügend Spielraum und Zeit für eine geordnete und wettbewerbsfähige Neukonstruktion erlaubt hätten. Die Strategen in Maranello waren sich sicher, dass der Vorjahres-Gebrauchtwagen noch genügend Potenzial hatte, um die ersten WM-Läufe 2005 zu bestreiten. Doch das hatte er nicht. Stattdessen legte Renault mit einer gewagten Konzeption früh den Grundstein zum heutigen Punktepolster. Doch trotz der enormen Testanstrengungen - Ferrari ist nicht an die freiwillige Beschränkung der Konkurrenz gebunden und hat etwa 40000 Kilometer abgespult, rund 10.000 mehr als die direkten Konkurrenten - kommt auch die Aufholjagd nicht so richtig in Schwung. Sie verläuft so, wie der erste Einsatz des nicht fertig entwickelten F 2005: überhastet und mit schwankenden Ergebnissen.

"Es ist eine Phase, die man durchlebt", glaubt Michael Schumacher, "ich habe schon viel schlimmere erlebt." Für den Großen Preis von Deutschland in zwei Wochen versprechen die Techniker ein neues Aerodynamik-Paket. Der Weltmeister würde sich aber freuen, wenn er für sein Heimrennen mehr Optimismus verbreiten könne. Wenn er seriös bleibt, kann er das aber kaum. "Versprechungen können wir uns in dieser Situation sparen", sagte Schumacher. Vor Selbstkritik fürchtet sich der 36-Jährige, der acht Rennen vor Saisonende 34 Punkte hinter Fernando Alonso (Renault) und zwölf Zähler hinter Kimi Räikkönen (McLaren-Mercedes) liegt, nicht. Er sagt: "Hätte, wenn und aber, darum geht es nicht." Sondern nur darum, schneller zu werden. Vielleicht aber auch: etwas schnell abzuhaken.

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