Formel 1:Leicht bekleidet

Auf Monzas schnellem Kurs nimmt die Formel 1 wieder Fahrt auf. Ferrari bleibt dennoch ohne Siegchance.

René Hofmann

Jedes Formel-1-Rennen beginnt mit einem Ritual, mit dem auch die Zugvögel in den Süden wandern: Die Flügel werden ausgestellt und geputzt. Im Königlichen Park von Monza, vor dem Großen Preis von Italien, gleiten die Finger der Mechaniker dabei über ganz besondere Schwingen. Das Autodromo Nazionale ist die älteste Strecke im WM-Programm. 1922 wurde dort der erste Grand Prix gefahren. Die scheinbar endlosen Geraden, die wenigen, lang gezogenen Kurven - das Autodromo ist ein Kurs aus der Zeit, in der die Piloten mit Lederhauben in Wagen kletterten, die aussahen wie ein wenig zu kurz und ein wenig zu dick geratene Zigarren. Bestenfalls. Heute sehen die Autos anders aus. Bei jedem Rennen. Um die Boliden perfekt auf die Kurven abzustimmen, schneidern die Teams ihnen für jede Wettfahrt neue Kohlefaser-Kleider. Sündteure Haute Couture, die nur einmal getragen wird. Am Wochenende sind die gewagtesten Kreationen zu bewundern.

Weil die Strecke so schnell ist, kommt es in Monza neben der Leistung des Motors - zwei Drittel einer Runde werden mit Vollgas absolviert - maßgeblich auf die Aerodynamik an. Um die Wagen mit möglichst wenig Widerstand durch die Sommerluft gleiten zu lassen, ziehen die Rennställe ihren Wagen so wenig an wie möglich. Flügelchen, Abrisskanten, Leitbleche - Accessoires, die in engen Kurven sonst dafür sorgen, dass die filigranen Geschöpfe auf dem Boden bleiben, verschwinden. Die Fahrer merken das beim Bremsen. "In Monza fühlt sich das Auto leicht an", sagt Jacques Villeneuve. "Lockerer", sagt Ralf Schumacher, "nervöser", findet Jarno Trulli. Das Spiel mit dem Wind ist kompliziert. Das Schlüsselwort heißt Abtrieb - so wird die Kraft genannt, welche einen Wagen auf den Asphalt presst. Erzeugt wird sie durch die Flügel und den Unterdruck am Fahrzeugboden.

Spitzengeschwindigkeit 372,2

Im vergangenen Winter hat der Automobilweltverband die Regeln geändert. Ein Satz Reifen muss seitdem ein Rennen überstehen, ein Triebwerk gar zwei. Die Frontflügel rutschten höher, was den Abtrieb um ein Viertel senken und die Wagen bremsen sollte. Zu Beginn der Saison hat das funktioniert. Inzwischen aber haben die vielen Ingenieure ganze Arbeit geleistet und einen Großteil des Verlustes wieder wettgemacht. Das Fachblatt auto, motor und sport hat ausgerechnet: Der derzeit alles überragende McLaren MP4-20 generiert mehr Abtrieb als sein Vorgänger.

In der vergangenen Woche fanden Tests in Monza statt. Juan Pablo Montoya glückte dabei ein neuer Rekord. Einen Teil der Strecke eilte er mit der Spitzengeschwindigkeit von 372,2 km/h entlang. In seinem besten Versuch umrundete er die 5793 Meter lange Schleife im Schnitt mit 261,29 km/h. Die vorher gültige Bestmarke hatte Rubens Barrichello 2003 gesetzt: 260,39 km/h. Wenn die Sonne weiter scheint, kann die Formel 1 am Sonntag ihr bisher schnellstes Rennen erleben. Die Entwicklung ist gefährlich. Beim Üben donnerte BMW-Fahrer Nick Heidfeld mit 220 km/h in eine Leitplanke. Der Toyota-Testfahrer Olivier Panis fuhr bei Tempo 320 plötzlich rückwärts, weil sein Motor platzte. Sein lakonischer Kommentar: "Das war nicht gut für den Puls."

13000 Stunden im Windkanal

Die Formel 1 hat wieder Fahrt aufgenommen. Vor allem, weil die Windkanäle nicht stillstehen. Teams, welche die Arbeit ernst nehmen, häufen dort pro Jahr leicht 13000 Arbeitsstunden an. Red Bull hat sich vor kurzem eine zweite, gigantische Windmaschine zugelegt. Bei Williams fächeln seit einiger Zeit schon zwei Rotoren den Modellen die Luft um die Messpunkte. Das Resultat des gewaltigen Aufwandes: Bis zum Rennen in Hockenheim fanden rund hundert neue Teile den Weg an den Williams. Die meisten funktionierten. Allerdings nicht auf Anhieb. Alleine für den Heckflügel gibt es zwanzig, für den Frontspoiler hundert Einstellmöglichkeiten. "Wir stehen an einer Kreuzung mit fünfzig Straßen", stöhnte Nick Heidfeld, als er und die Seinen in dem Gewirr kurz die Übersicht verloren. Dem Zuschauer bleibt das Sisyphos-Puzzle verborgen. Die meisten Teile werden unter dem Auto hin- und hergeschoben. Dort bringt es am meisten und die Konkurrenten bekommen nicht alles sofort mit.

"Der Entwicklungssprung in der Saison ist inzwischen größer als der über den Winter", sagt BMW-Sportchef Mario Theissen schon seit Jahren. "Der Windkanal ist in der modernen Formel 1 das wichtigste Werkzeug, und das wird er auch bleiben", sagt Peter Sauber, der für sein Team eine Anlage konstruieren ließ, in der Autos in Originalgröße umströmt werden können. Für 2008 hat der Automobilweltverband drastische Einschnitte angekündigt. Um neunzig Prozent soll der Abtrieb beschnitten werden. Die Kosten werden nicht im gleichen Maß sinken. Auch auf der kleinen Spielwiese, die dann bleibt, werden noch einige Hundertstelsekunden zu finden sein.

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