Formel 1:Lächelnd aus dem Flaschenhals

Canadian F1 Grand Prix

Nicht mehr als ein Body-Check: Nico Rosberg (links) fährt nach einem Drängler seines Teamkollegen Lewis Hamilton in die falsche Richtung und verliert alle Chancen auf den Sieg in Montreal.

(Foto: Charles Coates/AFP)

Sieger Lewis Hamilton und der Zweite Sebastian Vettel beweisen in Montreal ihre hohe Fahrkunst.

Von Elmar Brümmer, Montreal

Es gibt Fachleute, die behaupten, dass am Ende alles Physik sei in der Formel 1. Toto Wolff, der Mercedes-Sportchef, gehört für gewöhnlich nicht zu dieser Fraktion. Dennoch - vor dem Großen Preis von Kanada sagte er mit Blick auf seine Chauffeure Lewis Hamilton und Nico Rosberg, die erneut gemeinsam aus der ersten Reihe starteten: "Ich habe da keine Sorge. Die beiden sind wie Magneten, die sich gegenseitig abstoßen."

Doch irgendwas ist dann physikalisch durcheinander gekommen in der Flaschenhalskurve von Montreal, denn plötzlich haben sich die beiden Silberpfeil-Pole wieder unglückselig angezogen. Wolff, der nach jeder feindlichen Berührung seiner Schützlinge ein Déjà-vu erlebt, sagte: "Wir werden wohl damit leben müssen, dass die beiden so hart gegeneinander fahren." Es war zwar diesmal nicht mehr als ein Bodycheck im Eishockey, aber es ruinierte Rosberg das Rennen. Foul oder nicht Foul? Die Schuldfrage wollte niemand öffentlich stellen, die Chefetage ging über den Zwischenfall hinweg. Immerhin hat Hamilton, der stur auf seiner Linie geblieben war, ja das Rennen gewonnen. "Ein hartes Manöver, doch das ist echtes Racing. Ich muss es das nächste Mal besser machen", befand Nico Rosberg nach dem ersten Ärger.

Das Problem, das den Mercedes-Strategen vor dem nächsten Rennen am kommenden Wochenende in Baku wirklich zu denken gibt, ist die Attacke von Ferrari. Mit einer auffälligen Linksaußen-Taktik gelang es Sebastian Vettel, aus Position drei an beiden Silberpfeilen vorbeizuziehen. Das Überraschungsmanöver, von dem der Heppenheimer behauptet, es schon vor dem Erlöschen der Startampel im Bauch gespürt zu haben, war aus zwei Gründen gelungen: Zu 50 Prozent war es dem neuen Ferrari-Antriebsstrang geschuldet und zu 50 Prozent dem wieder mal schleppenden Mercedes-Startsystem. Daraus folgt, dass die WM 2016 nun, nach dem ersten Saisondrittel, vor einer Wende steht. Hamilton und Vettel haben den lange einsamen Tabellenführer Rosberg fast eingeholt, neun Zähler hat der Wiesbadener noch Vorsprung auf den internen Konkurrenten, Vettel hat sich immerhin wieder bis auf 38 Punkte herangebracht.

Sogar die Pole-Position ist mit dem verbesserten Motor für Ferrari wieder greifbar

Der Brite und der Deutsche gaben sich nach dem harten Stop-and-Go-Rennen wie beseelt, haben sie doch bewiesen, dass ihr jeweils schlechter Saisonstart mehr den Problemen der Technik geschuldet war. Der zunächst so makellose WM-Spitzenreiter Rosberg erlebte hingegen zum zweiten Mal ein völlig frustrierendes Rennen, geprägt vom frühen Rückfall auf den zehnten Rang, behindert durch Spritprobleme und Warnhinweise auf dem Lenkraddisplay, am Ende ausgerutscht im Versuch, Max Verstappen wenigstens noch den vierten Platz streitig zu machen.

Im Gegensatz zu Hamilton, der zum zweiten Mal nach Monte Carlo ein perfektes Wochenende erlebte und wieder die alte Selbstsicherheit zurückgewonnen hat. Über die Anfeindungen eines Felipe Massa, der dem Titelverteidiger zu viele Partys und zu wenig Fokussierung auf den Job vorwarf, lachte er nur. Vor allem, als der Brasilianer am Kanada-Wochenende gleich als Erster in den Reifenstapeln landete. Selbst der erneut missratene Start verunsicherte Hamilton nicht. Er fuhr sein Rennen im Stil seines Idols Muhammad Ali, dem er später den Sieg widmete, etwas, was er sonst nie tut: "Auf den letzten 15 Runden dachte ich, dass er vielleicht von oben zuguckt. Er hat mich immer inspiriert." Weshalb er der traditionellen Danksagung über Boxenfunk nach der Zieldurchfahrt das berühmte Ali-Zitat "Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene" voranstellte. Seinen fünften Sieg auf dem Circuit Gilles Villeneuve sicherte er sich durch eine kontrolliert schnelle Fahrt über 46 Runden auf dem gleichen Satz Reifen, so kam Mercedes mit einem Stopp weniger zum Sieg.

Ähnlich leidenschaftlich bewertet auch Sebastian Vettel seinen und Ferraris Weg zurück zur Bestform. "Wir haben Mercedes zum ersten Mal in dieser Saison richtig unter Druck setzen können", frohlockte er hinterher und bat die italienischen Medien ausdrücklich, das auch so zu schreiben: "So nah an Mercedes waren wir noch nie." Selbst die Pole-Position war mit dem neuen Motoren-Upgrade, für das Ferrari jetzt fast alle Entwicklungs-Gutscheine verbraucht hat, zum Greifen nah. Tatsächlich lässt dieser siebte WM-Lauf Vettel ungewöhnlich offensiv von einem möglichen Titelgewinn sprechen - nämlich noch in diesem Jahr. Mercedes-Teamaufsichtsrat Lauda sagt deshalb: "Unsere Autos müssen sich am Start verbessern. Es ist unglaublich, wie der Sebastian da vorgefahren ist, wie eine Rakete. Der Kampf um die WM wird jetzt härter."

Den ersten Saisonsieg, den das Ferrari-Management so dringend bräuchte, verschenkten die Rennstrategen dann durch eine Fehlkalkulation. Man winkte Vettel bereits nach zehn Runden während einer virtuellen Safety-Car-Phase herein. Der Umstieg auf die Zwei-Stopp-Strategie kostete Vettel trotz aller Vollgasrunden den ganz großen Erfolg. Der Pilot blieb aber ganz Mannschaftskapitän und wollte darüber kein Wort verlieren, nur Teamchef Maurizio Arrivabene gab zu: "Wir haben den Reifenabbau überschätzt. Das war die falsche Entscheidung, aber diese Fehler passieren. Sebastian hat alles gegeben, aber wir haben eine Chance verpasst."

Dennoch hat sich Sebastian Vettel wohl selten so sehr über einen zweiten Platz gefreut. Er weiß: Ferrari findet wieder ins Rennen.

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