Formel 1: Kampf um die WM:Im Zweifel für die Dramatik

Absenkbare Heckflügel, verschlissene Reifen, viele Boxenstopps: Die Formel 1 ist komplizierter geworden - schon kleine Fehler wirbeln das Klassement mächtig durcheinander. Die Frage ist, wer in der Sommerpause daraus am meisten lernt: Weltmeister Sebastian Vettel oder die Konkurrenz.

René Hofmann

Die Formel 1 erlebt eine Rekordsaison. Schon der Große Preis von Kanada zog sich so lange hin, wie kein Großer Preis zuvor. Erst nach 4:04:39,537 Stunden stand der Sieger fest: Jenson Button. Beim Großen Preis von Ungarn am Sonntag triumphierte der Brite erneut in einem denkwürdigen Rennen. Weil es mal regnete, mal tröpfelte und mal trocken war, bogen die 24 Fahrer oft wie nie zuvor zur Box ab: 88 Mal. Mit großem Sport hatte der Große Preis da nur noch am Rande zu tun, fand zumindest Red-Bull-Teamchef Christian Horner: "Es war ein Lotteriespiel."

F1 Grand Prix of Hungary - Qualifying

Komplizierter Job, auch für Weltmeister Sebastian Vettel.

(Foto: Getty Images)

Horners WM-Anwärter, der Titelverteidiger Sebastian Vettel, zog dabei als Zweiter immerhin noch einen der Hauptpreise. Weil die Rivalen in der Gesamtwertung, Teamkollege Mark Webber, McLaren-Lenker Lewis Hamilton und Ferrari-Fahrer Fernando Alonso, lediglich Fünfter, Vierter und Dritter wurden, konnte Vettel seine Führung vor der dreiwöchigen Sommerpause von 77 auf 85 Punkte ausbauen. "Wenn wir uns von den Rivalen einen Sieger hätten aussuchen können - es wäre Button gewesen", gab Horner zu.

Nun ist die Formel 1 aber alles andere als ein Wunschkonzert. Sie ist es nie gewesen. In diesem Jahr aber hat sich der Wettbewerb noch einmal drastisch verschärft. Das Kuddelmuddel in Ungarn war keineswegs nur dem wechselhaften Wetter geschuldet. Die Unberechenbarkeit des Rennverlaufs war kein Zufall, sie spiegelt einen Trend.

Die Reifen des neuen, alleinigen Lieferanten Pirelli haben die Show mit einem simplen Trick belebt: Sie halten längst nicht mehr so lange wie jene Pneus, die früher Bridgestone zur Verfügung stellte. Jeder Reifensatz ist darauf ausgelegt, maximal 40 Prozent der Renndistanz zu überstehen. Das bedeutet: Jeder Fahrer muss viel häufiger Reifen wechseln.

Nur besonders behutsame Fahrer wie der Japaner Kamui Kobayashi, der zudem einen Reifen-schonenden Rennwagen des Schweizer Sauber-Teams bewegt, oder eben Jenson Button kommen gelegentlich mit einen Stopp weniger als die Rivalen aus. Das belebt die Konkurrenz, weil es einen zusätzlichen Reiz ins Rennen bringt. Nicht nur bei Regen ist das zu beobachten.

Schon beim zweiten Rennen der Saison, dem Malaysia-Grand-Prix im April, hatte es 63 Boxenstopps gegeben - so viele wie bei keinem Grand Prix zuvor, bei dem es trocken geblieben war. Waren die Rennen in der Vergangenheit meist bereits nach der ersten Kurve entschieden, bringt nun oft erst der letzte Boxenstopp Gewissheit.

Ein weiterer Grund für die neue Dramatik ist das, was Mercedes-Mann Nico Rosberg als "beste Erfindung seit Beginn der Formel 1" bezeichnet: den absenkbaren Heckflügel. Dieser trägt in der Szene das Kürzel DRS, da das Konstrukt auf Englisch drag reduction system heißt. Kommt ein Fahrer einem Vorauseilenden bis auf eine Sekunde nahe, darf er am Ende der folgenden Geraden per Knopfdruck seinen Heckflügel absenken.

Das reduziert den Luftwiderstand, lässt die Höchstgeschwindigkeit steigen - und ermöglicht so das Überholen. Vor dem Saisonstart war das System umstritten. Routinier Rubens Barrichello, 39, hielt es sogar für gefährlich. Er fürchtete, mit den vielen Knöpfen am Lenkrad durcheinanderzukommen. Derlei Bedenken haben sich inzwischen als unbegründet erwiesen. Das System funktioniert.

Häufige Fehlerquellen

Nach neun Rennen hatte sich das Mercedes-Team die Mühe gemacht, einmal nachzuzählen, wie viele Überholmanöver es bis dahin gegeben hatte: mehr als 600. Bei etwa einem Drittel war das DRS im Spiel. Vor allem auf Strecken, auf denen es wenige Überholmöglichkeiten gibt, wie in Istanbul, in Valencia oder in Budapest, belebt der Heckflügel-Knopf das Geschehen.

Dass der Mechanismus nicht immer einwandfrei funktioniert, ist für die Dramatik kein Nachteil. Klemmt er, häufen sich die Fahrfehler, was die Reihenfolge zusätzlich durcheinanderwirbelt. Michael Schumacher litt zu Saisonbeginn häufiger unter einem fehlerhaften DRS. In Budapest nun wurde Mark Webber in der Qualifikation von einem nicht ordentlich klappenden Flügel zurückgeworfen.

Der Australier wurde auch schon häufiger von einer anderen Fehlerquelle gebremst: dem Bremsenergie-Rückgewinnungs-System Kers. Mal funktionierte es im Red-Bull-Auto, dann wieder nicht, dann nur ein bisschen. Um der erstarkten Konkurrenz von Ferrari und McLaren aber konstant voraus zu bleiben, muss es konstant funktionieren. Schon ein kleiner Fehler kann im Rennergebnis ein Abrutschen bedeuten.

Sebastian Vettel hat das in Silverstone erlebt, als bei einem Boxenstopp ein Wagenheber brach, und am Nürburgring, als er auf einem rutschigen Randstein kurz ins Schleudern kam. In Budapest haderte er damit, dass ihn sein Team bei zwei Boxenstopps "vielleicht eine Runde früher" hätte einbestellen können. Die kleinen Dinge - es sind so viele - haben derzeit eine enorme Bedeutung in der Formel.

Lewis Hamilton, der den Ungarn-Grand-Prix lange anführte, sich aber einmal drehte und einmal für falsche Reifen entschied, hatte für seinen Rückfall auf Rang vier zumindest eine einleuchtende Erklärung: Sein Funk war kaputt! Sein Team hörte ihn nicht. Er war in seinem silbernen Fahrzeug im Regen ganz auf sich alleine gestellt.

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