Formel 1 - jetzt auch in Indien:Logen für Bollywood

Wachstum um jeden Preis: Der Formel-1-Zirkus kommt erstmals nach Indien. Das Spektakel soll dem stolzen Staat prestigeträchtigen Glanz verleihen. Für Motorsportfans und Prominenz erfüllt sich damit ein lang ersehnter Traum - doch die meisten Bewohner des Schwellenlandes können sich einen Besuch beim Rennen überhaupt nicht leisten.

Tobias Matern

Es gilt, eine Schmach auszumerzen. Als Indien im vergangenen Jahr die Commonwealth Games ausrichtete, blamierte sich das stolze Land, das so gerne als aufstrebende Weltmacht wahrgenommen werden will: Die Korruption und Vetternwirtschaft nahm peinliche Ausmaße an, das Sportlerdorf genügte den hygienischen Standards nicht, die Politiker schoben sich gegenseitig die Schuld zu.

Formel 1 - jetzt auch in Indien: Letzte Arbeiten in Noida: Am kommenden Sonntag startet hier erstmals die Formel 1.

Letzte Arbeiten in Noida: Am kommenden Sonntag startet hier erstmals die Formel 1.

(Foto: AP)

Nun kommt der Formel-1-Zirkus am Wochenende erstmals nach Indien - in das etwa 50 Kilometer von der Hauptstadt entfernt gelegene Noida. Alles soll besser werden. Und die Chancen stehen günstig. Denn die Regierung hat mit dem Ereignis nur wenig zu tun.

"Wir werden die schändlichen Erinnerungen an die Commonwealth Games vergessen machen", verspricht Jaiprakash Gaur selbstbewusst. Der 81-Jährige ist Gründer des Jaypee-Konzerns, der maßgeblich für Indiens Formel-1-Debüt verantwortlich ist. Das Unternehmen wirbt mit dem Slogan: "Kein Traum ist zu groß!"

Für Indiens Motorsportfans geht tatsächlich ein Traum in Erfüllung, wenn die Rennwagen über den gerade fertig gewordenen, 5,14 Kilometer langen Buddh International Circuit fahren, den der deutsche Architekt Hermann Tilke entworfen hat. "Es ist eine fantastische Anlage. Sie gehört definitiv zu den fünf besten in der Welt", sagt der indische Fahrer Narain Karthikeyan vom Hispania Racing Team (HRT), der bei seiner Heimpremiere ins Cockpit klettern darf.

Vorausgegangen war dem Traum ein langer Kampf. Vicky Chandhok, Präsident des nationalen Motorsportclubs, erinnert sich noch daran, wie er mit einigen Gleichgesinnten vor mehr als zehn Jahren Formel-1-Chef Bernie Ecclestone ansprach. Ob sie sich denn Hoffnungen machen dürften, eines Tages auch einmal ein Rennen in Indien zu veranstalten, hatte Chandhok Ecclestone gefragt. "Er erwiderte, wir sollten nicht einmal daran denken", erzählt Chandhok. Sie haben dennoch beharrlich dafür gekämpft.

Die Zahl der Formel-1-Fans ist allerdings noch überschaubar in einem Land, in dem Cricket in der Gunst der Menschen ganz oben steht. Darauf folgt lange nichts, dann erst Sportarten wie Hockey, Fußball oder Motorsport. Das soll nun anders werden, hoffen die Veranstalter. "Jeder will Teil des Formel-1-Debüts auf dem Subkontinent sein", titelt ein seriöses Nachrichtenmagazin bereits enthusiastisch und berichtet treuherzig vom "großen Geld und großen Spaß".

Auch wenn die mediale Aufmerksamkeit groß ist: Dass jeder Inder auf das Rennen schaut, ist maßlos übertrieben. "Ich selbst besitze nur ein Fahrrad, das ist alles. Dieses Rennen interessiert mich nicht", sagt etwa ein Farmer aus der Region, in der die Rennstrecke gebaut worden ist. Die Realität von Hunderten Millionen Indern lässt sich mit dem Glamour der Formel 1 nicht in Einklang bringen: Sie kämpfen um jede Mahlzeit.

Rennstrecke als Zeichen neuer Stärke

Nach offiziellen Angaben leben trotz beeindruckender Wachstumszahlen fast 40 Prozent der 1,2 Milliarden Menschen hier unter der Armutsgrenze - sie haben umgerechnet noch nicht einmal einen Dollar am Tag zur Verfügung. Selbst die günstigsten Karten (etwa 60 Dollar) wären für sie unerschwinglich.

Formel 1 - jetzt auch in Indien: Idylle in Noida: Am kommenden Sonntag startet hier erstmals die Formel 1.

Idylle in Noida: Am kommenden Sonntag startet hier erstmals die Formel 1.

(Foto: AP)

Der Fokus wird an diesem Wochenende aber auf dem anderen, dem aufstrebenden Indien liegen. Business-Tycoons, Bollywood-Stars und die konsumfreudige Mittelschicht werten es als Zeichen der neuen Stärke ihres Landes, dass hier nun auch ein gesellschaftliches Großereignis wie ein Formel-1-Rennen ausgetragen wird.

300 Millionen Euro hat die neue Rennstrecke gekostet. Auf dem Gelände der sogenannten Sport City sollen noch weitere Sportstätten entstehen. Auch erhofft sich der Jaypee-Konzern, dass die Immobilienpreise anziehen werden. Am Wochenende selbst werden die Heavy-Metal-Band Metallica und die schrille Lady Gaga auftreten. Angeblich 70 Prozent der 100 000 Tickets sind laut Veranstalter bislang verkauft worden. Bollywood-Größen wie Shak Rukh Khan haben VIP-Logen gebucht.

Für Ärger könnten Tausende Farmer sorgen. Sie mussten ihr Land gegen Entschädigungszahlungen aufgeben, damit die Rennstrecke gebaut werden konnte. So hatte es die Regierung angeordnet. "Wir haben uns hilflos gefühlt", sagte der Bauer Bishamber Singh dem Nachrichtenmagazin Tehelka, schließlich habe die Polizei ihnen keine andere Wahl gelassen, als ihren Besitz abzutreten.

Die Lebensgrundlage sei nun zerstört, von den versprochenen neuen Jobs sei in den umliegenden Dörfern noch nichts zu spüren. Von Seiten des Konzerns heißt es, die Drohungen, dass die Bauern das Rennwochenende stören wollten, würden ernst genommen. "Aber Sorgen bereitet uns das nicht", teilt Jaypee mit.

Auch ein anderer Streitpunkt ist noch nicht gelöst. Gegen die Steuerbefreiung für die Veranstaltung ist geklagt worden. Das Oberste Gericht hat entschieden: 25 Prozent der Einnahmen aus den Ticketverkäufen müssen zunächst zurückgehalten werden. Erst nach dem Rennwochenende soll über den Fall abschließend entschieden werden.

Die Betreiber geben sich dennoch optimistisch und versprechen: Niemand werde nach dem Rennen herablassend mit dem Finger auf Indien zeigen. Sein Land habe "in den vergangenen 15 Jahren ein unglaubliches Wachstum erlebt, das Rennen wird uns weiter nach oben bringen", ist Cheforganisator Sameer Gaur überzeugt.

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