Formel 1:Jagd auf Generation Playstation

F1 Testing In Barcelona - Day Two

Neuer Wagen, neue Farben: Sebastian Vettel beim Training in Barcelona.

(Foto: Getty Images)
  • Am Wochenende startet die Formel 1 mit dem Großen Preis von Australien in Melbourne in die neue Saison.
  • Im vergangenen Jahr stiegen zwei Rennställe wegen Insolvenz aus, die Zuschauerzahlen gingen zurück und auch der neue Rennkalender ist unklar.
  • Wegen schwächerer Einschaltquoten verkürzt der Fernsehsender RTL zur neuen Saison die Übertragungszeit im Vorlauf der Rennen.
  • Mit futuristischen Design-Studien und neuen Vermarktungsmöglichkeiten versucht die Szene die Wende zum Guten zu schaffen.

Von René Hofmann

Die Sache mit den Helmen erzählt schon viel. Ein paar Wochen erst ist er her, da trafen sich in kurzen Abständen die maßgeblichen Formel-1-Gremien, um darüber zu beraten, welche Änderungen es in den kommenden Jahren geben soll. Im Gespräch waren einschneidende Änderungen. Motoren mit furchterregenden 1000 PS und mehr. Hinterreifen, breit wie Dampfwalzen. Und Flügel, die an Kampfjets erinnern. Laut und aggressiv - so sollte die höchste Kategorie des Motorsports wieder daherkommen, finden nicht wenige. Die nötige Mehrheit dafür aber war nicht zu finden. Die Gedankenspiele wurden verschoben, mindestens bis 2017.

Eine Neuerung verkündete der Automobilweltverband, der über das Spektakel wacht, kurz darauf aber doch: Damit die Zuschauer sich leichter merken können, wer wer ist, wird den Fahrern ab sofort verboten, ihr Helmdesign ständig zu wechseln. "Ach ja, die Helme", stöhnte der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel, als er nach der Neuerung gefragt wurde. Und im Subtext war mehr als deutlich zu vernehmen, wie der Satz weiterging: Dabei gäbe es so viel Wichtigeres zu entscheiden . . .

Das Startgeld ist den Veranstaltern zu hoch

Die Formel 1 - im Moment bringt sie sogar ihre Protagonisten zum Verzweifeln. In einer Woche beginnt in Melbourne die neue Saison. Normalerweise ist der Start eine rauschende Party, zu der mehr als hunderttausend Feierwütige in den Albert Park strömen. Dieses Mal aber wird der Auftakt von Unsicherheiten überwölkt. Im Kalender stehen zwei Rennen, von denen unklar ist, ob sie stattfinden: Dass es tatsächlich einen Großen Preis von Südkorea geben wird, gilt als ausgeschlossen. Und auch für den Deutschland-Grand-Prix, am 19. Juli auf dem Nürburgring geplant, sieht es nicht gut aus. In beiden Fällen ist den Veranstaltern das Startgeld zu hoch.

Aber nicht nur die Bühne wackelt. Auch die Schausteller werden zunehmend knapp. Im vergangenen Jahr gingen zwei Teams in die Insolvenz, Caterham und Marussia. Nun wollen noch zehn Rennställe beim Auftakt dabei sein. Aber ob die alle bis Ende November über alle Runden kommen?

Auch ein Zeichen der Baisse: die zurückgehenden Zuschauerzahlen. RTL, seit dem Einstieg von Michael Schumacher der deutsche Formel-1-Sender, verkürzt in diesem Jahr die Übertragungszeiten. Nur noch 60 Minuten Vorlauf bei jedem Rennen, nicht mehr 75. Das ist ein Schwund um 20 Prozent. Und in dieser Situation ändert die Formel 1: die Vorschriften zur Helmfarbe. Nur die Vorschriften zur Helmfarbe. Das ist nicht nur der kleinste gemeinsame Nenner, der sich finden ließ. Es ist der allerallerkleinste.

Formel 1: SZ-Grafik; Quelle: SZ

SZ-Grafik; Quelle: SZ

Vor den Treffen der maßgeblichen Regelgremien hatte Ferrari, der traditionsreichste Rennstall, eine Designstudie veröffentlicht, die zeigen sollte, wie sich künftig wieder mehr Menschen für den Sport begeistern lassen könnten: Die Studie zeigte ein futuristisches, rotes Geschoss. Im Internet löste es rege Debatten aus. Ein paar Wochen zuvor hatte Maurizio Arrivabene, der neue Ferrari-Teamchef, bereits erklärt, wo er die wichtigste Zielgruppe sieht. Arrivabene, 57, ist ein Marketing-Spezialist. Bis vergangenen November arbeitete er für einen Tabakkonzern. Er weiß so einiges über Zielgruppen und darüber, wie man sie erreicht.

Spielkonsole als schärfster Rivale

Der schärfste Rivale der Formel 1, findet er, sei kein anderer Sport. Der schärfste Rivale sei die Playstation, die Spielkonsole, an der die nachwachsende Zielgruppe selbst zum Akteur werden kann. Und in deren virtuellen Welten vermeintlich mehr Action geboten wird als in der Realität. "Wir müssen wieder aufregender werden als die Playstation": So lautet, gerafft, Arrivabenes Maxime.

Es gibt Schritte in diese Richtung, doch: Im November wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sogenannte "Promotional Working Group". Sie soll neue Vermarktungsmöglichkeiten ausloten und schauen, wie die Serie Anschluss finden kann in den Sozialen Medien. Kopf der Gruppe ist Claire Williams; die 38-Jährige ist die Stellvertretende Teamchefin des ruhmreichen Williams-Teams. Egal, wie gut die Ideen der Runde aber auch sein mögen: Entscheiden darüber werden andere.

Immer noch gewaltiges Potenzial

Die Machtstrukturen der Formel 1 sind komplex. Es gibt eine Strategiegruppe, in der fast alle Teams einen Sitz haben - sie kann Ideen an die Formel-1-Kommission weitergeben, in der noch mehr mitreden. Damit sich schnell etwas Einschneidendes ändert, ist allerdings Einstimmigkeit nötig, die so gut wie nie erreicht wird, weil in dem unerbittlichen Geschäft jeder stets nur den eigenen Vorteil im Blick hat. Die Vermarktungsrechte hat der Automobilweltverband zudem abgetreten. Über sie wacht, trotz seiner inzwischen 84 Jahre, immer noch Bernie Ecclestone. Er ist der von CVC Capital Partners eingesetzte Geschäftsführer. Die Formel 1 ist die einzige bedeutende Sportart weltweit, die einem auf den schnellen Gewinn ausgerichteten Finanzinvestor gehört.

Bernie Ecclestone

Der Boss der Formel 1: Bernie Ecclestone, 84

(Foto: dpa)

Was Ecclestone von Youtube, Facebook, Twitter und Spielkonsolen hält, hat er im vergangenen Jahr - indirekt - dem Wirtschaftsmagazin campaign verraten: "Ich weiß nicht, warum die Leute die sogenannte junge Generation erreichen wollen. Wollen sie ihnen etwas verkaufen? Die meisten dieser Kinder haben doch ohnehin kein Geld." Nachdem die Aussage im Fahrerlager einige Aufregung auslöste, präzisierte Ecclestone sie noch einmal: Es sei ihm ausschließlich um Kinder gegangen. Und: "Ich weiß nicht, wie viele Sechs- oder Siebenjährige mit einer Rolex es gibt."

Dabei weisen die Welten durchaus Schnittmengen auf. Red-Bull-Chefkonstrukteur Adrian Newey, der wohl erfolgreichste, im Moment in jedem Fall aber bekannteste Rennwagen-Konstrukteur, wurde vor einigen Jahren gebeten, seiner Phantasie einmal freien Lauf zu lassen und einen Traum-Rennwagen zu entwerfen, bei dem er keinerlei Rücksicht auf jedwede Regelvorgaben nehmen sollte. Herauskam eine spektakuläre Studie, die so pfeilschnell um jede Kurve schießen konnte, dass die Fahrer das Bewusstsein verloren hätten. Das Projekt fand viel Aufmerksamkeit. Auch, weil der Wagen schließlich tatsächlich fuhr - in einem Videospiel.

Ein Rennen vor der Skyline von New York - das wäre eine Show gewesen

Das Potenzial, das die Formel 1 hat, ist immer noch gewaltig. Wie gewaltig es ist, zeigt sich an den Menschenmassen, die überall dort zusammenlaufen, wo einer der hochgezüchteten Motoren gezündet wird und das Publikum nicht mehrere hundert Euro Eintrittsgeld zahlen muss, um etwas zu sehen oder zu hören. Es zeigt sich aber auch dort, wo viele Menschen sich Eintrittskarten für mehrere hundert Euro leisten können: beim flirrenden Nachtrennen in Singapur, das es seit 2008 gibt, oder bei der gut besuchten Jagd in die Dämmerung in Abu Dhabi, die 2009 ins Programm rückte. Auch die Rückkehr in die USA glückte in Austin/Texas.

Formel 1 - GP Abu Dhabi - Lewis Hamilton

Formel 1 in der Dämmerung, hier beim Grand Prix in Abu Dhabi 2009

(Foto: dpa)

Neben diesen Volltreffern hat es beim Streben auf neue Märkte aber auch Fehlschläge gegeben. Aus der Türkei (2005-2011) ist die Formel 1 ebenso wieder verschwunden wie aus Indien (2011-2013). Das Stadtrennen in Valencia (2008-2012) hat sich nicht gehalten. Aus dem geplanten Grand Prix in New Jersey, der vor der Skyline von New York stattfinden sollte, wurde trotz jahrelangen Anlaufs nichts. Bei den Klassikern in Spa und in Monza schwindet der Zulauf. Bei den Klassikern in Monte Carlo und in Silverstone ist er aber nach wie vor groß. Die These, es gehe prinzipiell und überall bergab, lässt sich deshalb nicht halten. Was aber eindeutig ist: Ohne Mühen geht es sicher nirgends mehr weiter bergauf.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: