Formel 1: Istanbul:Erste Anzeichen von Übermut

Trotz eines folgenschweren Unfalls im Training holt Sebastian Vettel in der Türkei seinen dritten Sieg in dieser Saison. Eine Geste während des Qualifyings kann als Zeichen eines einsetzenden Hochmuts interpretiert werden.

René Hofmann, Istanbul

Die Formel 1 ist unübersichtlich geworden in diesem Jahr. Verstellbare Heckflügel sorgen dafür, dass es in fast jedem Rennen so viele Überholmanöver gibt wie in der Vergangenheit in einer ganzen Saison. Die Einheitsreifen vom neuen Lieferanten Pirelli sind unberechenbar, was dafür sorgt, dass es in fast jedem Rennen fast hundert Boxenstopps gibt.

Turkish Formula One Grand Prix

Das Lieblingsgetränk von Sebastian Vettel am Sonntagnachmittag: Champagner.

(Foto: dpa)

All das sorgt für ein buntes Hin und Her, für ein wirklich munteres Durcheinander, in dem es nur eine echte Konstante gibt. Sie trägt dunkelblau, die Startnummer eins und wird von Sebastian Vettel bewegt: Der Titelverteidiger gewann am Sonntag in Istanbul auch den Großen Preis der Türkei.

Es war Vettels dritter Erfolg in diesem Jahr. Nur einmal, beim Großen Preis von China in Shanghai, war er nicht der Schnellste gewesen: Dort hatte er vor drei Wochen McLaren-Fahrer Lewis Hamilton den Vortritt lassen müssen. Der aber hatte damals schon geahnt: "Ich habe hier nicht gewonnen, weil wir das schnellste Auto hatten."

Im Istanbul Park rückte Vettel das Bild wieder dem wahren Kräfteverhältnis gemäß zurecht: Das schnellste Auto hatte eindeutig er. Bereits nach einer Runde war er um mehr als eine Sekunde enteilt, wenig später betrug sein Vorsprung schon mehr als zwei Sekunden, und in dem Stil ging es weiter. Dem Tempo, das er mit dem Prototyp vorgab, den der Getränkekonzern Red Bull bauen lässt, konnte keiner folgen. Auch sein Teamkollege Mark Webber nicht. Dessen Rückstand betrug im Ziel nach 58 Runden mehr als acht Sekunden.

1. Vettel, 2. Webber, 3. Fernando Alonso (Ferrari), 4. Hamilton, 5. Nico Rosberg (Mercedes), 6. Jenson Button (McLaren), 7. Nick Heidfeld, 8. Witali Petrow (beide Renault), 9. Sebastien Buemi (Toro Rosso), 10. Kamui Kobayashi (Sauber) - so lautete die Reihenfolge auf den Punkterängen, als nach 1:30,17.558 Stunden die karierte Flagge geschwenkt wurde.

Nach Barcelona, wo in zwei Wochen das fünfte Saisonrennen stattfindet, kann Vettel bereits mit einem beruhigenden Vorsprung reisen. Das Fahrerklassement führt er mit 93 Punkten an, vor Hamilton, der auf 59 Punkte kommt, Mark Webber (55 Punkte) und Jenson Button mit 46 Zählern; für einen Sieg gibt es 25Punkte. Ein so großer Abstand zu einem so frühen Zeitpunkt ist ungewöhnlich. Er ist Ausdruck von einer mehr als beeindruckenden Frühform.

Vettel: "So stelle ich mir das vor!"

"So stelle ich mir das vor", funkte Vettel an seinen Kommandostand, als er zum 13. Sieg seiner Karriere über die Ziellinie fuhr. Es klang wie eine Kampfansage. "Ich bin überglücklich", sagte Vettel, "heute hat von vorne bis hinten wirklich alles gepasst. Ich hatte immer ein Kissen von einigen Sekunden Vorsprung. Das hilft einem natürlich, vor allem, was die Strategie betrifft." Webber nahm das Ergebnis mit einem schmallippigen Kommentar zur Kenntnis: "Zweiter zu werden war heute das Maximum. Seb hat einfach einen Lauf."

Turkish Formula One Grand Prix in Istanbul

Dramatische Überlegenheit: die Red-Bull-Piloten Sebastian Vettel und Mark Webber.

(Foto: dpa)

In einer ähnlich herausragenden Form wie der Rennfahrer, der in Heppenheim aufgewachsen ist, befinden sich im Moment wenige Sportler. Der Türkei-Grand-Prix war ein weiterer Beleg dafür: Wie bei den ersten drei Saisonrennen parkte Vettel auf der Pole Position. Seit Mika Häkkinen 1999 ist so eine Serie keinem Formel-1-Fahrer mehr gelungen. Auf der entscheidenden Runde war Vettel in Istanbul vier Zehntelsekunden schneller als Webber. Das ist viel. Und der Coup hatte noch eine Besonderheit: Er glückte dem 23-Jährigen, obwohl er in den drei Trainingsläufen nur 21 Runden absolviert hatte.

Auf der fünften Runde hatte er am Freitag sein Auto stark beschädigt, als er auf einen nassen Randstein geraten und gegen die Leitplanke geschleudert war. Es dauerte, bis der Wagen repariert war. Sogar Webbers Mechaniker mussten dabei über Nacht helfen. Nicht der einzige Beitrag des 34 Jahre alten Australiers zu Vettels Triumph. "Er hat sehr nützliche Daten gesammelt", lobte der Junior den Senior, was fast schon gönnerhaft klang.

Das dominante Ergebnis in der Qualifikation und im Rennen kam weitgehend mit Hilfe der Kraft aus dem Bremsenergie-Rückgewinnungssystem Kers zustande, das Red Bull bei den ersten Rennen oft Sorgen bereitet hatte. Offenbar hat das Team auch diese Baustelle im Griff.

Die Autos, die das Kürzel RB7 tragen, "sind im Moment einfach schwer zu schlagen", wie nicht nur Alonso erkennen musste. Sie sind sogar so schwer zu schlagen, dass ihre Chauffeure es sich leisten können, gar nicht immer das Maximum zu demonstrieren.

Schon in der Qualifikation war das zu beobachten gewesen: Lange, bevor die rückwärtslaufende Uhr auf Null sprang, kletterten Vettel und Webber aus ihren Autos. Die beiden waren sich sicher: An die Zeiten, die ihnen gelungen waren, würde keiner herankommen - und das, obwohl die Strecke wegen der steigenden Temperaturen und des aufgetragenen Reifengummis immer schneller wird.

Aus den Autos zu steigen, während die anderen noch fahren - das ist eine ziemliche Provokation. "Wir wollten nur Reifen sparen", verteidigten sich Vettel und Webber zwar, aber die Geste blieb ungeschickt. Sie kann als Zeichen eines einsetzenden Hochmuts interpretiert werden.

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