Formel 1 in Silverstone:Gift zum Champagner

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Der Brite Lewis Hamilton gewinnt sein Heimrennen, verkürzt den Rückstand auf seinen Mercedes-Kollegen Nico Rosberg - und heizt das Titelduell weiter an.

Von René Hofmann, Silverstone/München

Inzwischen gibt es nur noch selten die Gelegenheit, Lewis Hamilton und Nico Rosberg in einer spannenden Situation zusammen zu erleben. Vor der Siegerehrung des Rennens in Silverstone bot sich an diesem Sonntag einer dieser raren Momente. Hamilton hatte seinen Heim-Grand-Prix gewonnen, zum dritten Mal nacheinander und zum insgesamt vierten Mal. Sein Mercedes-Teamkollege Rosberg war als Zweiter ins Ziel gekommen, musste aber mit der Unsicherheit leben, ob ihm die Rennkommissare diesen Platz noch nehmen würden - was sie dreieinhalb Stunden nach Rennende mit einer Zehn-Sekunden-Strafe für einen unerlaubten Fahrtipp am Funk auch taten.

Als Dritter mit im Raum: Max Verstappen. Hamilton wand sich umgehend an den jungen Red-Bull-Fahrer - unter anderem mit der durchaus giftigen Frage, wie der 18-Jährige Rosberg mit einem Manöver habe abgekochen können. Rosberg und Hamilton? Würdigten sich kaum eines Blickes und schenkten einander kein Wort mehr, als es das absolute Mindestmaß an Höflichkeit gebot. Der Auftritt war ein wunderbarer Beleg, wie eisig die Atmosphäre zwischen den beiden Titelkandidaten ist.

"Ich werd' ihn abfangen", rief Hamilton den vielen britischen Fans kurz darauf von der höchsten Stufe des Siegertreppchens aus zu. Nach seinem Sieg beim Rennen zuvor in Österreich, wo er im letzten Umlauf mit Rosberg kollidiert war, war Hamilton vor der Champagnerdusche ausgepfiffen worden. "Hier hört man keine Pfiffe. Das zeugt vom großartigen britischen Sportsgeist", lobte Hamilton - was ziemlich zynisch klang. Denn als Rosberg das Siegerpodium betreten hatte, waren durchaus Pfiffe aufgebrandet.

Obenauf: Lewis Hamilton lässt sich in Silverstone feiern, Nico Rosberg erntet Pfiffe. (Foto: Matthew Childs/Reuters)

Monaco, Kanada, Österreich, jetzt England: Für Hamilton war es der vierte Sieg 2016. Nach Rosbergs Erfolgsserie zum Saisonstart - vier Siege in den ersten vier Rennen - hat der Brite die Kräfteverhältnisse gestürzt. Von den jüngsten vier Rennen gewann er drei. Außergewöhnlich anstrengen musste er sich für den Triumph in Silverstone allerdings nicht - was auch am typisch englischen Wetter lag.

Kurz bevor die Autos losgelassen werden sollten, war ein schwerer Landregen niedergegangen. Deshalb wurde der Start aus Sicherheitsgründen hinter das Safety Car verlegt. Sechs Runden kreiste der dritte Mercedes im Feld, was für die Zuschauer recht ermüdend war. Hamilton indes blieb offenbar hellwach: Als es endlich richtig losging, legte er flugs einen gewaltigen Abstand zwischen sich und Rosberg. Im Verfolgerfeld pokerten viele - und wechselten umgehend von den zunächst vorgeschriebenen Regenreifen auf Allwetter-Pneus.

Eine Strafe am Samstag, eine Strafe am Sonntag: Vettel wird nur Neunter, gibt sich aber milde

Der Reifenpoker: Er sollte auch im weiteren Verlauf des Nachmittages ein beliebtes Spiel bleiben. Ein Verlierer der ersten Runde: Sebastian Vettel. Der Ferrari-Fahrer musste sich beim Reifentausch hinter seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen anstellen. Das ließ ihn bis auf den 18. Rang zurückfallen. Die Szene passte ins Bild: Vettel erlebte ein miserables Wochenende. Am Samstag in der Qualifikation hatte er lediglich den sechsten Platz belegt. Zu der Enttäuschung über das mäßige Abschneiden gesellte sich dann schnell noch der Frust, dass sein Getriebe erneut vorzeitig getauscht werden musste. Wie sieben Tage zuvor in Österreich bedeutete das eine Strafversetzung um fünf Plätze in der Startaufstellung.

Durch diese Umstände mitten ins Feld geworfen, hatte Vettel zu kämpfen. Bei einem Duell drängte er während des Rennens Williams-Lenker Felipe Massa kurz von der Strecke. Die Rennkommissare bedachten Vettel dafür mit einem Zeitaufschlag von fünf Straf-Sekunden, worüber der viermalige Champion grollte ("Ist ein bisschen unnötig, das zu bestrafen"). Am Ende wurde Vettel Neunter, womit er zwei Plätze hinter Nico Hülkenberg im Force India landete. In der Fahrerwertung rutschte Vettel auf Rang fünf zurück - hinter seinen Teamkollegen Kimi Räikkönen und Red-Bull-Fahrer Daniel Ricciardo, den Fünften und den Vierten des Silverstone-Gastspiels. "Heute war einfach nicht unser Tag", gab Vettel sich milde.

Der Sieger stand quasi nach Ende der Safety-Car-Phase bereits fest. Der zweite Platz aber war umkämpft. Der Parallelflug der beiden Mercedes-Fahrer zog sich dieses Mal nicht durch den gesamten Grand Prix. In Runde 17 schob sich der junge, freche und unerschrockene Max Verstappen mit einem Zwischenspurt auf den Allwetter-Reifen an Rosberg vorbei auf Platz zwei - mit einem gewagten Manöver in der Mutkurve "Becketts", die mit fast 300 km/h genommen wird. Selbst Niki Lauda, der Oberaufseher des Mercedes-Teams, lobte den Rivalen: Verstappen sei "ein Jahrhunderttalent" und fahre "wie ein Alter". Dabei ist der Niederländer erst seit zehn Monaten volljährig.

Rosberg war verdutzt über den unerwarteten Gegner. Aber er behielt einen kühlen Kopf und setzte darauf, Verstappen auf der abtrocknenden Strecke wieder abfangen zu können. Dies glückte Rosberg im finalen Renndrittel dann auch. Das Ende der Aufregung war für Rosberg mit der Rückkehr auf den zweiten Platz allerdings nicht gekommen. Fünf Runden vor der Zielflagge gab es ein technisches Problem. Das Team funkte, er solle den siebten Gang meiden. Weil Fahrhilfen per Funk seit diesem Jahr verboten sind, nahmen die Rennkommissare Ermittlungen auf und verhängten schließlich einen Zeitaufschlag von zehn Sekunden, der Rosberg auf Platz drei rutschen ließ. Mercedes kündigte an, Einspruch einlegen zu wollen. "Ich bin heute einfach nicht an Lewis herangekommen, Glückwunsch an ihn", gratulierte Rosberg jovial. Bei den nächsten Rennen am 24. Juli in Budapest und am 31. Juli in Hockenheim will er die Reihenfolge wieder umdrehen. In der Gesamtwertung bleibt der Deutsche mit 168 Punkten der WM-Führende, Hamilton aber hat nun nur noch einen Zähler Rückstand.

© SZ vom 11.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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