Formel 1 in Silverstone:Ein gut gelaunter Hamilton ist schlecht für die Konkurrenz

F1 Grand Prix of Great Britain - Qualifying

Lewis Hamilton startet in seinem Heimrennen von der Pole Position.

(Foto: Getty Images)
  • Lewis Hamilton ist derzeit ein sehr entspannter Formel-1-Pilot, denn bei ihm und seinem Mercedes-Team läuft es gut.
  • In Silverstone geht der Engländer mit großen Hoffnungen ins Heimrennen.

Von Philipp Schneider, Silverstone

Diese irren Zahlen. Ja, Wahnsinn! Lewis Hamiltons Stimme überschlägt sich in einer klangvollen Mischung aus Freude und Fassungslosigkeit. "700 Dollar am Tag. Das ist doch irrwitzig!"

700 Dollar sind wahrlich kein schlechter Tagessatz. Auch gemessen an den Maßstäben der Familie Hamilton. Doch das Beste an dem neuen Job ist ja noch etwas anderes: Die 700 Dollar fließen noch zusätzlich zum ohnehin sehr üppigen Gehalt, das der am besten bezahlte britische Sportler mit seinem Rennfahrerdasein verdient. Die 700 Dollar Tagessatz, ganz gewiss, werden der Zucker auf Hamiltons 51 Millionen US-Dollar Gesamtverdienst sein, weil sie nicht mit Rennfahren erwirtschaftet werden, sondern mit Modeln. "Er ist jetzt bei einer Agentur und muss vorsprechen", sagt Hamilton: "Er tritt gegen 15 andere Bulldoggen an. Sie brauchen eine Bulldogge für ein neues Produkt."

Hamiltons gut aussehende Bulldogge heißt Roscoe. Roscoe wohnt in Hamiltons Zweitwohnsitz in Los Angeles. Wenn Roscoe nicht gerade modelt, dann begleitet er Hamilton zu jedem Rennen. Das wusste man. Seit dieser Woche weiß man noch mehr über Roscoe. Vielleicht zu viel. Weil der viermalige Weltmeister zwischen den drei im Wochen-Rhythmus zu fahrenden Rennen in Le Castellet, Spielberg und Silverstone noch die Zeit gefunden hat, einen einstündigen Podcast zu veröffentlichen: "Beyond the grid" - jenseits der Strecke.

Lewis Hamilton ist ein Meister darin, die Lücke zu füllen, die in der Formel 1 jenseits der Strecke klafft. Hamilton verfasst Gedichte zu Ehren von Prinzessin Diana: "There will never be another like you, now a shining star in the midnight sky." Er singt neuerdings allerlei Schlüpfriges mit Christina Aguilera: "I like to play the doctor." Und nun erzählt er in einem Podcast die Geschichte, dass er es zwar bedauert, dass er Roscoe als jungen Hund kastrieren lassen musste, dass er dies aber wiedergutmachen werde. Klugerweise hat er Roscoes Sperma vor dessen so schrecklich endgültigen Eingriff einfrieren lassen: "Wenn ich mich eines Tages vom Rennsport zurückziehe und eine Familie gründe, dann werde ich auch neue Roscoes haben."

Man muss das alles nicht wissen. Aber es schadet nicht. Wenn Hamilton viel verrät von seinem Privatleben, geht es ihm auch als Rennfahrer gut. Und wenn es ihm als Rennfahrer gut geht, dann neigt er dazu, seine Konkurrenten in Grund und Boden zu fahren. Insbesondere bei seinem Heimrennen in Silverstone mit den langen und schnellen Kurven, das Hamilton und seinem Mercedes gleichermaßen gut liegt.

Vor einem Jahr hat Hamilton in Silverstone einer bis dahin nicht rund laufenden Saison die Wende verpasst im Duell mit Ferraris Sebastian Vettel. Angereist war er damals von einem spontanen, obschon vom Arbeitgeber mitten in der Saison tolerierten Kurzurlaub auf Mykonos, in dem er die deprimierenden Erlebnisse in den vorherigen Rennen offenbar gut verarbeitete, wovon auch die vom Privatmann Hamilton im Internet geteilten Party-Videos kündeten: In Aserbaidschan und Österreich hatte sich allerlei Kurioses zugetragen.

In Baku hatte sich seine Cockpitumrandung gelöst, zur Reparatur musste er länger an der Box halten als Vettel zur Strafe für seinen legendären Wutrempler; in Spielberg hatte an Hamiltons Wagen das Getriebe getauscht werden müssen. Die marode Technik hatte ihn zwei Siege gekostet, Vettels Vorsprung in der WM-Wertung war vor Silverstone auf 20 Punkte angewachsen. In diesem Jahr liegt Hamilton nur einen Punkt hinter Vettel. Nach neun Rennen ist der Titelkampf so eng wie seit 2012 nicht mehr. Red Bull, Mercedes und Ferrari haben je drei von ihnen gewonnen.

Hamiltons Teamkollege Bottas nutzt bereits den letzten erlaubten Motor

Es ist der Donnerstag vor dem Rennen, Hamilton sitzt auf dem Podium in Silverstone. Bevor es losgeht, filmt er die sich vor ihm auftürmenden Journalisten mit dem Handy. Er macht das oft, es ist ein Ritual, in dem es ihm offenkundig auch um eine symbolische Umkehrung der Rollen von Publikum und Darsteller geht.

Ob er das desaströse Rennen in Österreich schon verarbeitet habe, in dem zum ersten Mal seit Monza 1955 zwei Silberpfeile mit Defekten ausgefallen waren?

Sicherlich, sagt Hamilton, Österreich sei schlimm gewesen. Es sei aber so: Er habe eine "großartige Energie im Team" gespürt: "Wir sind noch enger zusammengerückt." Schaden kann das nicht. Enger zusammenrücken sollten vor allem die Ingenieure und Mechaniker. Valtteri Bottas hatte in Spielberg ein Hydraulikleck beklagt. Bei Hamilton war der Benzindruck weggefallen, nachdem die Pumpe nicht mehr vorschriftsmäßig gearbeitet hatte. Die Defekte waren sehr unterschiedlich, was eine gute Nachricht ist für Mercedes. Weil damit die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass die Pannen eine Folge der Technik-Upgrades sind, die das Wettrüsten mit Red Bull und Ferrari heraufbeschworen haben könnte.

Chancen und Risiken bei Mercedes

In Le Castellet vor zwei Wochen hatte sich Mercedes erst nach langem Abwägen von Chancen und Risiken für den Einsatz des überarbeiteten Motors entschieden, der intern noch nicht die empfohlene Zahl an Testkilometern abgespult hatte. Lewis Hamilton gewann mit großem Vorsprung. In der Woche danach, in Spielberg, verpasste Mercedes den Wagen auch noch ein Aerodynamik-Paket. Das brachte abermals einiges, die Silberpfeile sausten davon wie lange nicht. Dann beschwor Bottas' Panne indirekt auch noch einen Fehler der Strategieabteilung von Mercedes herauf, die Hamilton um den Rennsieg gebracht hätte - falls sein Auto überhaupt bis zur Ziellinie durchgehalten hätte.

Bottas' Motor wurde am Freitag getauscht, der von Hamilton nicht. Der Finne erhielt bereits die dritte Antriebseinheit. Ab dem vierten Motor drohen Strafversetzungen. Der Umbau ist eine Vorsichtsmaßnahme, der defekte Motor soll untersucht und vielleicht abermals verwendet werden. Vieles deutet inzwischen darauf hin, dass diese Weltmeisterschaft deutlich später entschieden wird als jene im Vorjahr. Es geht hin und her zwischen Vettel und Hamilton, her und hin zwischen Ferrari und Mercedes.

Am Freitag fuhr Hamilton im ersten Training die Bestzeit, Vettel war der Schnellste im zweiten - im Qualifying hieß es dann: Hamilton Pole, Vettel Zweiter. 2017 hatte sich Vettel nach dem Defekt einer Zündkerze - eines der günstigsten Bauteile im Rennwagen - in Suzuka aus dem Titelkampf verabschieden müssen. Nun sagte er in Silverstone, im Vorjahr sei sein Auto zu Beginn des Jahres stärker gewesen, dafür habe der diesjährige Ferrari "größeres Potenzial". Wenn es eng zugeht an der Spitze, dann kann so eine Startplatzstrafe wegen zu vieler getauschter Teile den Unterschied machen.

So sieht sie aus, die Furcht von Mercedes. Dafür haben die Stuttgarter zumindest die berufliche Zukunft von Hamilton geklärt. Die Frage ist nur, wann sein überaus hübsch dotierter Vertrag mit einer Laufzeit bis Ende 2020 endlich verkündet wird. "Vielleicht geht es nur um den richtigen Moment", sagt Mercedes-Chef Toto Wolff.

Der perfekte Moment sieht aus Hamiltons Sicht etwa so aus: Sonntagnachmittag, nach einem Start-Ziel-Sieg in Silverstone, wickelt er sich in den hierzulande beliebten Union-Jack, er tanzt vor 130 000 Fans - und feiert ausgiebig sich und Englands Nationalteam, das im Viertelfinale bekanntlich Schweden besiegte. Hamilton hat sich den Finalsonntag eine Woche nach dem Rennen im Kalender geblockt: "Ich will dann in Russland sein."

Er hofft, dass er dann nicht der einzige Engländer in Moskau ist.

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