Formel 1 in Monza:Sause am Limit

Formel 1 in Monza: Ursache für die Eskalation im Reifen-Streit: der geplatzte Hinterreifen von Sebastian Vettels Ferrari in Spa/Belgien.

Ursache für die Eskalation im Reifen-Streit: der geplatzte Hinterreifen von Sebastian Vettels Ferrari in Spa/Belgien.

(Foto: AP)
  • Nach Sebastian Vettels Reifen-Unfall erlässt die FIA für den Großen Preis von Monza neue Vorschriften.
  • Nicht alle Fahrer sind damit zufrieden. Lewis Hamilton befürchtet Eingriffe in die Taktik.
  • Hier geht es zu den Trainigsergebnissen aus Monza.

Von Elmar Brümmer, Monza

Das Wortspiel verbietet sich eigentlich angesichts der Ernsthaftigkeit des Problems. Doch schon die erste Frage an Sebastian Vettel vor dem Großen Preis von Italien kam nicht ohne aus: Ist die Luft schon wieder raus aus der Reifen- Affäre? "Luft rauslassen?", fragte Vettel zurück: "Das habe ich doch. Ich habe ziemlich deutlich meine Meinung gesagt, und da gibt es auch nix wegzuwischen."

Einen Hals habe er gehabt nach der Explosion seines Hinterreifens bei Tempo 300 kurz vor dem Ziel beim letzten Rennen in Spa/Belgien. Der viermalige Weltmeister hatte anschließend Gefahren benannt und festgestellt: "Die Qualität der Reifen ist miserabel."

Italienischer Konflikt beim Heimspiel

Nicht gerade beruhigende Aussichten vor der Sause am Sonntag auf dem Autodromo Nazionale in Monza, der schnellsten Formel 1-Piste, die ein Tempo bis zu 360 km/h erlaubt. Zumal die Material- Debatte fast als inner-italienische Angelegenheit erscheint: Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene hat schon versichert, dass er den Konflikt mit dem in Mailand ansässigen Reifen-Monopolisten Pirelli nicht weiter schüren wolle.

Doch so leicht ist die Pneu-Affäre nicht zu beruhigen. Sind doch die Reifen bei Rennwagen wie beim herkömmlichen PKW der am meisten unterschätzte Teil des Fahrzeugs. Sie werden erst beachtet, wenn es ein Problem gibt. Um etwas für das Firmen-Image zu tun, ist Pirelli seit 2011 Alleinausrüster der Formel 1, verhandelt wird gerade über eine Vertragsverlängerung bis 2019. Schlagzeilen wie jene vom Vettel-Unfall sind da kontraproduktiv. Doch wie gewinnt man aus Tausenden auf der Strecke von Spa verteilten Gummipartikeln eine korrekte Analyse? Und dann eine plausible Erklärung?

Schnitte sind für Reifenplatzer verantwortlich

Bei der letzten Reifen-Affäre in Silverstone 2013 waren schnell scharfe Randsteinkanten als Verursacher benannt worden. Am Donnerstag kam dann die aktuelle Erklärung, synchron verbreitet als Mitteilung von Pirelli und auf Papier des Automobilweltverbandes FIA. Selbst mikroskopische Untersuchungen der in Spa verwendeten Reifen hätten keinerlei Strukturprobleme erkennen lassen.

Stattdessen habe man eine ungewöhnlich hohe Zahl von Einschnitten durch Fremdteile festgestellt. Statistisch gesehen würden derartige Beschädigungen - durch scharfkantige Steine oder Splitter von Karosserieteilen - nur 1,2 Mal pro Rennwochenende vorkommen, in Belgien jedoch seien im Schnitt 63 Schnitte festgestellt worden. Und da die Lauffläche an Vettels Hinterreifen in der vorletzten Runde bis auf 30 Prozent heruntergefahren war, sei das Risiko sehr hoch gewesen.

Hamilton fürchtet um die Taktik

Die FIA zeigte sich mit der Erklärung zufrieden, dennoch wurden Maßnahmen verkündet. Obwohl in Monza die gleichen Reifen wie in Spa genutzt werden, wird der Reifendruck deutlich erhöht. Auch gibt es dieses Mal nicht nur eine Empfehlung für die Nutzungsdauer, sondern eine bindende Vorschrift. Das passt nicht allen, Weltmeister Lewis Hamilton fürchtet eine Reglementierung der sportlichen Strategie.

Das zeigt das Problem des Fabrikanten: Es allen recht zu machen, ist in der Reifen-Frage unmöglich. Pirelli-Repräsentant Paul Hembery verweist oft darauf, dass die Firma auch ganz andere Reifen bauen könne. Welche, die nicht gezielt an Leistung verlieren, sondern die auf die Hochleistungs-Bedürfnisse zugeschnitten sind. Zumal viele Piloten sich schon länger über die Launen der Reifen bei zunehmender Nutzung beschweren.

Reifen sollen verschleißen

Doch Dauer-Reifen sind nicht gewünscht, wie das " Formula One Managemen" (FOM) in Monza hervorhob: "Soweit es die Sicherheit, die immer Vorrang hat, zulässt, ermutigt die Formel 1 Pirelli, Reifenmischungen zu liefern, deren Laufleistung begrenzt ist. Verschleiß trägt zur Herausforderung und zur Spannung eines Rennens bei." Ein ziemlich schmaler Grat. Zumal Fahrer wie Vettel eine Erklärung erwarten, um den Unfall einordnen zu können. Sonst lässt sich die Sause am Limit kaum unbelastet bewältigen.

Die Heftigkeit der Vettelschen Reaktion von Spa hat viele erstaunt. Der 28-Jährige war selten so deutlich vorstellig geworden, jetzt erntet er Lob für seine Haltung. Er aber will seine Äußerungen als Selbstverständlichkeit verstanden wissen: "Ich handhabe das so: Wenn es was zu sagen gibt, gibt es was zu sagen. Dann habe ich kein Problem damit aufzustehen."

Nun stellt er fest: Die Debatte mit den Pirelli-Ingenieuren sei professionell verlaufen. Vettel akzeptiert die Sofort-Maßnahmen, meint aber: "Auf lange Sicht muss es Priorität sein, die Sicherheit zu entwickeln."

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