Formel 1 in Montreal:Rosbergs stiller Sieg

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Stiller Beobachter: Nico Rosberg (li.) neben Kanada-Sieger Daniel Ricciardo

(Foto: AFP)

Der Große Preis von Kanada bietet ein packendes Finale: Weil die zuletzt überragenden Mercedes-Piloten nur mit halber Kraft unterwegs sind, gewinnt in Daniel Ricciardo erstmals in dieser Saison ein Fahrer, der keinen Silberpfeil steuert. Der heimliche Sieger kommt trotzdem von Mercedes.

Von Johannes Knuth

Nico Rosberg wirkte ein wenig verloren auf dem Siegerpodest. Der 28-Jährige musterte seine Champagnerflasche, die er gerade als Belohnung erhalten hatte für seinen zweiten Platz beim Großen Preis von Kanada. Rosberg kippte dem Erstplatzierten Daniel Ricciardo pflichtbewusst ein wenig klebriges Gesöff in den Overall, er winkte pflichtbewusst ins Publikum. Dann schritt er eilig zum Ausgang.

Es war ein schlechter Tag für Nico Rosberg und die Mercedes-Mannschaft, dieser Große Preis von Kanada. Es war zudem ein guter Tag für den Rest des Formel-1-Feldes - zumindest, wenn man die Bilder der Siegerehrung am Pfingstsonntag auswertete. Die Red-Bull-Piloten sprangen erleichtert umher, Sebastian Vettel war Dritter geworden, Teamkollege Daniel Ricciardo strahlte ins Publikum, wischte sich die klatschnassen schwarzen Locken aus dem Gesicht, er stammelte: "Ich bin schockiert." Es war sein erster Formel-1-Sieg überhaupt, zudem hatte er gerade als erster Fahrer in der aktuellen Saison die Serie der Mercedes gebrochen, die hatten zuvor ja alles abgeräumt. Nun Platz zwei für Rosberg, nur Platz zwei. Und Hamilton, der hatte gar nicht das Ziel erreicht, Bremsdefekt. Ein guter Tag für die Konkurrenz?

Tatsächlich war es ein guter Tag für Nico Rosberg, auch wenn der auf dem Podium dreinblickte, als habe ihm jemand die Freundin ausgespannt. Während Hamilton komplett leer ausgegangen war, hatte sich Rosberg 18 Punkte gesichert. In der WM-Wertung führt er nun mit 22 Zählern vor seinem Teamkollegen, ein ordentliches Polster ist das, wenn man bedenkt, wie eng es zuletzt zwischen den beiden Rivalen zugegangen war. Nun hatte Rosberg im siebten Rennen sein siebtes Podium eingefahren, Hamilton war dagegen zum zweiten Mal in der Saison ohne Beute nach Hause gekommen.

Zudem hatte Rosberg die letzten 30 der insgesamt 70 Runden ein kaum konkurrenzfähiges Auto über den anspruchsvollen Kurs in Montreal geschleppt, seine Hybrid-Technik war ausgefallen. "Rund 160 PS" fehlten ihm im Vergleich zur Konkurrenz, sagte Mercedes-Berater Niki Lauda, der Österreicher ordnete Rosbergs Leistung entsprechend wohlwollend ein: "Weltmeisterlich", sagte Lauda. Rosberg selbst urteilte: "Das war von Anfang an eine Schlacht."

Rosberg behauptet die Innenbahn

Rosberg hatte jedenfalls alles geben bei diesem Grand Prix, von der ersten bis zur letzten Runde, mit erlaubten und mal bedingt erlaubten Mitteln. Kurz nach dem Start zog Hamilton an ihm vorbei, Hamilton war schneller, Rosberg, von der Pole Position gestartet, gehörte allerdings die Innenbahn. Und die verteidigte er, Rosberg bremste spät, so spät, das Hamilton der Platz ausging, er schlingerte kurz von der Strecke. 1:0 Rosberg.

Hamilton sammelte sich kurz, dann griff er an. Nach dem ersten Boxenstopp fuhr er nur noch Bestzeiten, persönliche Bestzeit im ersten Sektor, persönliche Bestzeit im zweiten, schnellste Rennrunde überhaupt. Mal war er neun Zehntelsekunden schneller als Rosberg, mal fünf, bald hatte er Rosberg genau vor der Nase. Der Deutsche verbremste sich, während Hamilton sich durch die Schikane kurz vor der Ziellinie zwängte, fuhr Rosberg geradeaus, er behielt seine Führung. "Eigentlich musst du den Fahrer hinter dir nach so einer Aktion vorbeilassen", würde Hamilton später sagen, er wirkte angefressen. Rosberg ließ es darauf ankommen, den Stewards das Urteil zu überlassen. Die Stewards verwarnten ihn, mehr nicht. 2:0 Rosberg.

"Ich war unglaublich langsam"

Hamilton attackierte wütend. Kurz darauf wurde der Brite langsamer. "Wir verlieren Leistung", funkte die Box. Sekunden später erreichte Rosberg der gleiche Spruch. Beide Mercedes-Piloten, bis dato unbelästigt an der Spitze unterwegs, fuhren plötzlich eine Sekunde langsamer - pro Streckenabschnitt. Die Elektronik war bei beiden Autos ausgefallen, der Hybridantrieb verlor schlagartig an Power.

Wieder erreichte die beiden Führenden ein Funkspruch: "Ich glaube nicht, dass wir das Problem lösen können."

Hamilton ließ sich davon zunächst nicht beirren, er zog nach 47 Runden an Rosberg vorbei. Rosberg konterte wenig später, nun verbremste sich Hamilton, allerdings unfreiwillig. Sobald der Brite auf die Bremse stieg, zog weißer Qualm auf. Während seiner Jagd auf Rosberg hatte sich Hamiltons Bremsanlage aufgehitzt, stärker als die von Rosberg. Kurz darauf war das Rennen für den 29-Jährigen beendet. 3:0 Rosberg.

Wie ein Kleinwagen auf der Rallyepiste

Rosberg selbst war nun so flüssig unterwegs wie ein Kleinwagen auf einer Rallyepiste. "Ich wusste gar nicht, was los war", sagte er später, "auf den Geraden war ich unglaublich langsam". Aber Rosberg behauptete seine Führung. Hinter ihm lauerten die schnelleren Riccciardo, Vettel und der verdammt schnelle Felipe Massa im Williams. Nur: Sie alle mussten ihren Angriff vertagen. Zwischen ihnen und Rosberg klemmte der etwas langsamere Sergio Perez im Force India. Ricciardo passierte ihn als Erster, kurz darauf flog er am wehrlosen Rosberg vorbei. Eine Runde vor Schluss zwängte sich Vettel an Perez vorbei, Rosberg und Ricciardo waren da aber schon enteilt.

Der aktuelle Weltmeister hatte Glück, dass er seinen dritten Platz behielt. In der letzten Runde rauschte Massa Perez ins Heck, beide Autos schossen unkontrolliert Richtung Vettel - beide verfehlten Vettel knapp, wie auch immer. Während sich beide Bruchpiloten aus den Autos schälten - beide unverletzt - fuhr Ricciardo von gelben Flaggen begleitet zu seinem ersten Sieg, knapp gefolgt vom enttäuschten Nico Rosberg.

Es sprach für Rosberg, dass er kurz nach dem Rennen den verlorenen Punkten hinterhertrauerte, anstatt das zu feiern, was er wie durch ein kleines Wunder gewonnen hatte. Und sich vermutlich erst später freute, irgendwo im Verborgenen.

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