Formel 1 in Kanada:Hamilton gewinnt den Reifen-Poker von Montréal

Die Formel-1-Saison bleibt unberechenbar: Sebastian Vettel wird in Kanada trotz Pole Position nur Vierter - Lewis Hamilton ist der siebte Sieger im siebten Rennen und übernimmt die Führung in der WM. Wie Fernando Alonso entscheidet sich der Doppelweltmeister aus Deutschland für die falsche Reifenstrategie.

René Hofmann

Im vergangenen Jahr hat Lewis Hamilton sich beschwert, dass die britische Nationalhymne so kurz ist. "Good save the Queen" - der Formel-1-Pilot aus Hertfordshire hätte nach Triumphen gerne ein paar Takte mehr, um den Sieg auskosten zu können. Nach dem Großen Preis von Kanada an diesem Sonntag in Montréal wirkte der 27-Jährige trotzdem richtig glücklich.

Canadian Formula One Grand Prix

"Irgendwann sind die Rundenzeiten dann eingebrochen" - Sebastian Vettel musste kurz vor Schluss nochmal die Reifen wechseln.

(Foto: dpa)

"Brillant", "ein wunderbar kontrolliertes Rennen" - so war Hamilton von seinem McLaren-Team gelobt worden, kurz nachdem er als er als Erster an der karierten Flagge vorbeigekommen war, vor Lotus-Fahrer Romain Grosjean und Sauber-Pilot Sergio Perez, die sich mit Ein-Stopp-Strategien an einigen Favoriten vorbeigeschoben hatten.

Sebastian Vettel konnte seine Pole Position nicht in seinen zweiten Saisonsieg ummünzen; er wurde Vierter. Fernando Alonso war als Fünfter erneut der beste Ferrari-Fahrer, einen Wimpernschlag vor Nico Rosberg im Mercedes huschte er ins Ziel. Mark Webber, der zweite Red-Bull-Reiter, wurde Siebter vor Kimi Räikkönen (Lotus), Kamui Kobayashi (Sauber) und Felipe Massa (Ferrari). Was das Resultat zeigt: "Man sieht, wie eng alles zusammen ist", fand Sebastian Vettel, der sich über "wichtige Punkte" freute und vorgab: "Zumindest haben wir heute viel gelernt."

Mehr als Erfahrungen nimmt Lewis Hamilton mit. "Ich habe jede Minute genossen", gab er an. In Montréal hatte er einst seinen ersten Formel-1-Erfolg gefeiert. Auch der Triumph dieses Mal könnte ein besonderer sein. Zum ersten Mal in der Formel-1-Geschichte haben die ersten sieben Rennen des Jahres sieben unterschiedliche Sieger hervorgebracht. Hamilton findet in die Liste Eingang nach Jenson Button (McLaren/Australien), Alonso (Malaysia), Rosberg (China), Vettel (Bahrain), Pastor Maldonado (Williams/Barcelona) und Webber (Monaco). Zum sechsten Mal 2012 wechselt die Führung in der Fahrerwertung.

Ganz oben steht dort nun Hamilton mit 88 Punkten, gefolgt vom Spanier Alonso (86 Punkte) und Titelverteidiger Sebastian Vettel (85 Punkte). In Schlagweite zum Top-Trio wird Mark Webber geführt (79 Zähler). Dass das Kuddelmuddel sich über den Sommer zieht, glauben trotzdem nur wenige. Sebastian Vettel jedenfalls meint auf die Frage, ob es am Ende einen Weltmeister geben könnte, der lediglich auf einen Sieg kommt: "Das glaube ich nicht." Nico Rosberg, der als Fünfter in der Fahrerwertung (67 Punkte) in einer Lauerstellung liegt, findet: "Das ist super interessant. Es ist wirklich ein Drunter und Drüber da draußen. Wir müssen alle schauen, dass wir die Reifen verstehen. Das ist der Schlüssel in diesem Jahr."

"Einer, zwei oder drei"

Die Einheitsprodukte der italienischen Firma Pirelli spielten auch in Nordamerika wieder eine Hauptrolle. Am Samstag in der Qualifikation war es kühl gewesen, am Rennsonntag kletterten die Temperaturen schon am Morgen auf um die 30 Grad - der steile Anstieg brachte viele Hochrechnungen durcheinander.

Mit wie vielen Stopps pro Fahrer denn zu rechnen sei, wurde Nico Rosberg vor dem Start gefragt. Der Besitzer eines Prädikat-Abiturs gab zurück: "Einer, zwei oder drei" - und sollte Recht behalten. Sebastian Vettel beispielsweise hatte darauf gehofft, die gut 300 Kilometer Renndistanz mit nur einem Stopp bewältigen zu können. Wenige Umläufe vor dem Ziel musste er dann aber doch noch einmal vor die Box biegen. "Die Reifen haben einfach nicht mehr gehalten. Das kam schleichend. Aber irgendwann sind die Rundenzeiten dann eingebrochen."

Dabei hatte es auf den ersten Metern noch so gut ausgesehen. Am Start hatte Vettel die Pole Position, die er am Samstag mit einem satten Vorsprung erobert hatte, mühelose gegen Hamilton, Alonso und Webber verteidigen können. Bis zu seinem ersten Reifenwechsel nach 16 Runden hatte er den Grand Prix angeführt. Als Hamilton, der eine Runde später stoppte, nach seinem Halt aber vor Vettel lag, deutete sich bereits an, dass es ein schwieriger Nachmittag für den zweimaligen Weltmeister werden würde - nicht nur wegen der Reifen. Auf den Geraden fehlte es seinem Red Bull schlicht an Schwung. Die Höchstgeschwindigkeit des RB8 ist nicht so gut; das macht das Überholen schwierig.

Red Bull baut auch die Bremsen um

Bei der Entwicklung des Wagens wurde das Team zudem zuletzt gebremst - vom Automobilweltverband FIA. Die Regelhüter erklärten nach dem Großen Preis von Monaco einige Schlitze im Unterboden für unzulässig, die zuvor noch als unbedenklich eingestuft worden waren. Das Hin und Her nervte Vettel. "Es ist nicht so, dass wir freiwillig darauf verzichtet haben", gurgelte er. Kaum war der Ärger einigermaßen verflogen, fanden die Regelhüter noch ein Teil, das Red Bull modifizieren musste: Auch die Bremsbelüftungen zierten einige Schlitze zu viel.

Solche Kleinigkeiten können auch erfahrene Rennwagen-Konstrukteure und -Fahrer aus der Balance bringen. McLaren-Chef Martin Whitmarsh zumindest freute sich über den Einbruch der Rivalen. "Wir hatten hier die beste Strategie", sagte er - "und Glück, dass wir richtig lagen." Das Glücksspiel wird in zwei Wochen fortgesetzt. Dann steht in Valencia auf einem engen Stadtkurs der Große Preis von Europa an.

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