Formel 1 in Aserbaidschan:Rempeln wie auf der Rheinkirmes

Azerbaijan F1 Grand Prix

Sebastian Vettel fuhr auf Lewis Hamilton (hinten) auf und wurde bestraft - am Ende war er trotzdem schneller.

(Foto: Getty Images)
  • Kuriose Momente beim Grand Prix von Aserbaidschan: Sebastian Vettel rammt seinen Rivalen Lewis Hamilton während einer Safety-Car-Phase.
  • Der Deutsche wird bestraft und landet trotzdem vor seinem WM-Konkurrenten.
  • Sieger wird überraschend ein Australier.

Von Philipp Schneider

Aserbaidschan ist für den Beobachter ein unterhaltsamer Binnenstaat in Vorderasien. Das war schon vorher bekannt. Gelegen zwischen dem Kaspischen Meer und dem Kaukasus, regiert von einem Autokraten, bevölkert von 9,5 Millionen mehr oder weniger glücklichen Einwohnern. Und auch die Rennstrecke in der Hauptstadt Baku hatte sich schon vor dem zweiten Formel-1-Grand-Prix ihrer Geschichte einen gewissen Ruf erarbeitet.

Es gibt dort bereits vor dem Start eine kleine Eröffnungsfeier, dazu Flammentürme, Altstadtmauern und breite Boulevards. Aber was sich dann am Sonntag auf der Piste abspielte, das sprengte auch die Fantasie des kreativsten Drehbuchautors. Das Rennen geriet nahezu zur Farce. Dreimal musste das Safety Car auf die Piste, es gab einen Rennabbruch - und maßgeblich Schuld an dem ganzen Chaos hatte der WM-Führende Sebastian Vettel, der sich mit Lewis Hamilton einen zornigen Zweikampf lieferte, als wäre er noch in der Pubertät.

Am Ende rollte er als Vierter durchs Ziel, Hamilton wurde Fünfter. Das Podium geriet zur Pointe: Daniel Ricciardo vor Valtteri Bottas und, tatsächlich: Lance Stroll. Ausgerechnet der für seine Crashs berühmte Kanadier rollte an diesem Tag voller Crashs unbeschadet ins Ziel.

Am Samstag hatten die Mechaniker Vettel vor dem Qualifying einen alten Motor in seinen Wagen geschraubt. Das Aggregat einer früheren Ausbaustufe, das weniger Kraft entfaltet, hatte die Scuderia wieder reaktiviert, nachdem Vettels frischer Bausatz geleckt hatte. Es war eine Entscheidung, die der Risikominimierung dienen sollte. Die Techniker hatten auf die Schnelle nicht den Grund für das Leck in Erfahrung bringen können.

Und statt Gefahr zu laufen, dass ihr Spitzenfahrer im Rennen mit Motorschaden ausscheiden würde, kramten sie ihr altes Material wieder raus, mit dem sie durch die ersten fünf Rennen dieser Saison gerollt waren. So aber parkte Vettel seinen Ferrari sogar noch hinter dem von Teamkollege Kimi Räikkönen. "Ich will nicht nach Ausreden suchen. Die Lücke zu Mercedes ist größer, als wir es erwartet hatten", sagte Vettel.

In der Tat hatte ihn Hamilton regelrecht düpiert in den Tagen vor dem Rennen, als er mit der Eroberung der 66. Pole Position seiner Karriere Ayrton Senna überholte. In jedem Durchgang hatte der Brite die schnellsten Runden gefahren.

Zweifelsfrei ist die Strecke in Aserbaidschan eine der ungewöhnlichsten im Kalender. Sie windet sich durch das Herz von Baku; es gibt verwinkelte Ecken und enge Passagen, die sich durch die Altstadt schlängeln - und dann aber auch eine 1,9 Kilometer lange Zielgerade für die Freunde von Geschwindigkeiten jenseits der 350 km/h. Die vergleichsweise harmlose Frage zu Beginn war: Würde Räikkönen noch vor der ersten Kurve Platz machen für Kollege Vettel? Nun, das tat er nicht. Schon der Start geriet viel wilder.

Um die erste Kurve bogen die Führenden noch analog ihrer Parkposition, doch dann ging es in die zweite Biege. Räikkönen versuchte, Bottas außen zu überholen, der Mercedes-Pilot konterte, machte den Weg möglichst eng, die Wagen touchierten einander. Diese Kollision nutzte wiederum Vettel, er zog an beiden vorbei und nahm so gleich in der ersten Runde die Verfolgung von Hamilton auf. Bottas zog sich bei dem Unfall die stärkere Beschädigung zu, er hatte einen Plattfuß vorne rechts - und fuhr an die Box, um an seinem Wagen einen neuen Frontflügel anschrauben zu lassen. Räikkönen klagte nur über Probleme an seiner Hinterachse, die zwei Finnen wurden nach hinten durchgereicht.

Weiter vorne hielt Vettel nicht nur mit, er schloss sogar auf. Er und Hamilton fuhren abwechselnd schnellste Runden, nach zehn von 51 Umdrehungen lag Vettel nur noch 3,4 Sekunden hinter dem Briten. Und dann rollte erstmals das Safety Car auf die Piste. Weil der Toro Rosso von Daniil Kvyat in Kurve zwölf auf der Piste quer stand; und auch aus Verstappens Wagen qualmte eine kleine schwarze Wolke. "Engine, engine!", rief der Niederländer über Funk, dann rollte er an die Box und stellte sein Auto mit Motorschaden ab.

Die Piloten haben ein Problem

Vettel und Hamilton nutzten die Gelegenheit zum Reifenwechsel, beide zogen die zweitweichste Mischung auf, mit der sie nun bis zum Ende durchfahren wollten. Der Brite begann allerdings kurz darauf zu maulen: "Das Safety Car fährt zu langsam. Das ist gefährlich für uns. Die Reifentemperaturen gehen in den Keller", funkte er. Das Problem galt für alle Piloten. Aber nicht einmal Hamilton ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass seine Geschwindigkeit hinter dem Sicherheitsfahrzeug noch zum großen Thema werden würde.

"Die zehn Sekunden sind nicht genug, Charlie, du weißt das", funkte Hamilton

Das Safety Car bog wieder an die Box, die Wagen beschleunigten, doch nun verlor der Ferrari von Räikkönen ohne Fremdeinwirkung Teile, die auf die Piste segelten wie die Federn eines frisch gerupften Huhns. Also bog Bernd Mayländer zurück auf die Strecke, und schon wieder tuckerten die Rennwagen gemächlich hintereinander her.

Dann geschah es: Hamilton fuhr in einer Kurve so langsam, dass ihm Vettel ins Heck rauschte. Vettel rollte links vorbei, nahm die Hände vom Lenker, gedachte seines WM-Rivalen mit wüsten Worten - und rempelte ihm allen Ernstes in die linke Seite. Mit so viel Wucht, dass sein Ferrari beim Rammstoß mit zwei Rädern in der Luft hing. Einfach so. Wie beim Autoscooter-Fahren mit Kumpels auf der Düsseldorfer Rheinkirmes.

"Ich war mit der Art und Weise, wie er gefahren ist, nicht zufrieden", sagte Vettel nach dem Rennen: "Ich bin dann neben ihn gefahren und hab' ihm das gezeigt."

Und Hamilton konterte: "Wenn er zeigen will, dass er ein Mann ist, soll er aus dem Auto steigen, und wir machen es von Angesicht zu Angesicht."

Es ging trotzdem weiter. In Runde 19 folgte der nächste fliegende Start - und die nächste Kollision. Perez und Massa nahmen Vettel in die Mangel, einer links, einer rechts. Vettel bremste spät und konterte, doch weiter hinten gerieten die Force India aneinander. Ocon schickte Perez in die Bande. Und Räikkönen hatte plötzlich den nächsten Plattfuß - diesmal hinten rechts. Genau wie Ocon. Wieder rollte also das Safety Car auf die Strecke. Es war unfassbar, was sich abspielte auf dem von Trümmerteilen übersäten Asphalt von Baku.

Die Rennleitung gab bekannt, dass sie die multiplen Rempler zwischen Hamilton und Vettel notiert habe. Die rote Flagge wurde geschwenkt. Rennabbruch. Ein Reinigungstrupp rückte aus, um die Carbonsplitter von der Strecke zu picken. Vettel musste wegen seines Rammstoßes an die Box - und dort für zehn Sekunden parken. Das war die Strafe der Rennleitung. Zu seinem Glück musste allerdings auch Hamilton an die Box. Weil seine Kopfstütze plötzlich so locker saß, dass sie bei Tempo 35o zu flattern begann, weswegen er die Hände vom Lenkrad nehmen musste, um sie festzuhalten. Diese Strafe kam möglicherweise von ganz, ganz oben.

Das Feld wurde nun völlig durcheinander gewirbelt. An der Spitze rollte Daniel Ricciardo, Vettel lag auf Position sieben, Hamilton auf acht. "Die zehn Sekunden sind nicht genug, Charlie, du weißt das", funkte Hamilton in Richtung von Rennleiter Charlie Whiting. Er war sauer, klar: Er lag ja noch immer hinter dem Deutschen, obwohl der in einem Gebrauchtwagen unterwegs war, dessen Motor schon mehr als 4000 Kilometer gelaufen war. Wenig später war dieses irre Rennen zu Ende.

Den Funkspruch des Tages setzte trotzdem Fernando Alonso ab, der dem Feld seit Monaten in einem hoffnungslos unterlegenen McLaren hinterher tuckert. "Was für eine Schande. Heute hätten wir gewinnen können", sagte Alonso. Der zweimalige Weltmeister wurde trotzdem nur Neunter.

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