Formel 1 in Abu Dhabi:Gefühlter Sieg aus der Boxengasse

Weil er im Qualifying zu wenig Benzin im Auto hatte, muss Sebastian Vettel beim Großen Preis von Abu Dhabi aus der Boxengasse starten. Am Ende eines turbulenten Rennens wird er dennoch Dritter - und behält seine WM-Führung.

René Hofmann, Abu Dhabi

Formel 1 in Abu Dhabi: Sebastian Vettel feiert seinen dritten Platz von Abu Dhabi.

Sebastian Vettel feiert seinen dritten Platz von Abu Dhabi.

(Foto: AP)

So etwas hat die Formel 1 selten erlebt. Einen Sieger, der seinen Ingenieur am Funk anherrscht: "Lass mich in Ruhe!" Einen Zweitplatzierten, der 24 Stunden zuvor noch wie der große Verlierer des Wochenendes aussah. Und einen Drittplatzierten, der aus der Boxengasse ins Rennen startete und sage und schreibe 21 Plätze gutmachte. Kimi Räikkönen, Fernando Alonso und Sebastian Vettel haben den Großen Preis von Abu Dhabi 2012 geprägt - das turbulenteste Rennen der Saison, bei dem von den 24 Startern lediglich 17 das Ziel erreichten und das Safety Car das Feld zweimal zusammenstauchte.

Der 33-jährige Räikkönen, 2007 Weltmeister mit Ferrari, profitierte bei seinem ersten Triumph seit seinem Comeback mit dem Team Lotus vom Ausfall von Lewis Hamilton, dessen McLaren in Führung liegend ausrollte. Alonso, 31, jagte den Finnen bis zur letzten Kurve, wild entschlossen, seinem Titelrivalen Vettel jedes nur mögliche Pünktchen zu entreißen. Auf zehn Punkte verkürzte er den Rückstand vor den finalen zwei Rennen am 18. November in Austin und am 25. November in São Paulo. Auf nur zehn Punkte.

"Da sieht man, wie schnell sich die Dinge ändern können", sagte Vettel, der am Samstagabend vom dritten auf den letzten Startplatz strafversetzt worden war und im Rennen nach einer ersten Aufholjagd erneut auf den letzten Platz gerutscht war, nachdem er bei einem Ausweichmanöver hinter dem Safety Car gegen ein Schild geprallt war, weswegen er den Frontflügel wechseln lassen musste. "Es hat ziemlich viel Spaß gemacht, das Feld zweimal von hinten aufzurollen", meinte Vettel. Lange hielt er sich allerdings nicht in dem Moment der Genugtuung auf. "Das Auto ist phantastisch und das Team in einer super Form, so kann es weitergehen. Ich freue mich auf die nächsten zwei Rennen", sagte er. Alonso klang ähnlich: "Das Auto war fürs Rennen perfekt, die Strategie war perfekt, die Boxenstopps auch." Wenn es so weitergehe, so Alonso, habe er beim nächsten Auftritt in Texas die Chance, wieder direkt gegen Vettel zu kämpfen.

Alonso gegen Vettel, Ferrari gegen Red Bull: das Duell - jetzt ist es voll entbrannt. Auf dem Asphaltstreifen zwischen dem hellbraunen Wüstensand und dem hellblauen Meer, auf dem es in Abu Dhabi rund geht, war das Gegeneinander an jedem Tag das dominierende Thema. Und von Tag zu Tag steigerte sich das Tremolo der beiden Solisten. Am Donnerstag schimpfte Alonso wie der stets schlecht gelaunte Zauberer Gargamel, seine Mannschaft schleppe stets weniger neue Teile an als Vettels. Am Freitag ging daraufhin schon um vier Uhr früh das Licht in der Ferrari-Box an und am Samstag um fünf Uhr.

"Vom dritten Platz hätte es anders ausgesehen"

Damit verstieß der Rennstall gegen die vorgeschriebenen Ruhezeiten für die Mechaniker, was jeder pro Saison aber viermal straffrei tun darf. In der Fabrik in Maranello war so viel Neues entstanden, dass die Mechaniker es ohne die Frühschichten nicht geschafft hätten, alles an die Autos zu schrauben. Der Aufwand war gigantisch, der Ertrag gemessen daran mickrig: In keinem der drei Trainingsdurchgänge kam Alonso an die Zeiten heran, die Hamilton und Vettel vorlegten. Auch in der Qualifikation zeichnete sich früh ab, dass Alonso kein Kandidat für die ersten Plätze war.

Formel 1 in Abu Dhabi: Jubel bei Lotus: Kimi Räikkönen gewinnt in Abu Dhabi.

Jubel bei Lotus: Kimi Räikkönen gewinnt in Abu Dhabi.

(Foto: AP)

"Die neuen Teile haben funktioniert, aber die anderen haben sich eben auch verbessert", grollte Alonso, nachdem am Samstagnachmittag bloß die siebtschnellste Zeit für ihn gestoppt worden war. Wie ein Schamane murmelte er immer und immer wieder eine Beschwörungsformel: Red Bull hat ein Zuverlässigkeits-Problem.

Und tatsächlich: Am Samstagvormittag tat sich beim Rivalen tatsächlich ein Problem auf. Im dritten Training versagten Vettels Bremsen, weshalb er nur zwei schnelle Runden drehen konnte. Mit Startplatz drei hinter Hamilton und seinem Red-Bull-Kollegen Mark Webber hätte er deshalb gut leben können - wenn es denn dabei geblieben wäre. In einer dramatischen Wendung wurde ihm die aussichtsreiche Position aber wieder entrissen, mitten in der Nacht, viereinhalb Stunden, nachdem die Listen mit dem vorläufigen Samstagsresultat gedruckt worden waren.

Nach vielen Verhören, ausgiebigem Datenstudium und der gewissenhaften Inspektion des Autos entschieden die Regelhüter: Vettels Qualifikationszeit wird gestrichen. Er muss am Start ans Ende des Feldes. Von dort hatte der 25-Jährige kein einziges der 98 Formel-1-Rennen aufgenommen, die er bis Sonntag bestritten hatte. Der Grund für die Verbannung war so simpel, dass er beinahe nicht zu glauben war: Vettel hatte für die wichtige Ausfahrt schlicht zu wenig getankt.

Sein Team gab sich zwar alle erdenkliche Mühe, den Lapsus zu kaschieren. Von Force majeure war die Rede, von höherer Gewalt also, weswegen der Titelverteidiger auf dem Weg zurück wenige hundert Meter vor der Box parken musste. Das Verdikt der Verkehrsrichter aber ließ keinen Zweifel: Eine unsichtbare, größere Macht war keineswegs im Spiel. Ein Liter Benzin muss sich nach der Qualifikation im Auto befinden. Aus Vettels Wagen tropften nur 850 Milliliter. Der Fall war ein klassisches Beispiel dafür, wie menschlich es in dem vermeintlich so perfekten High-Tech-Betrieb gelegentlich zugeht. Einen Betrugsversuch unterstellte kaum einer. Es war wohl schlicht ein Berechnungs- oder ein Bedienungsfehler. Dass McLaren in Barcelona bei Hamilton ähnliches unterlaufen war und die Red-Bull-Belegschaft ausdauernd darauf verwies, das Tanken falle in die Verantwortung von Motorenlieferant Renault, linderte die Blamage auch nicht mehr. "Vom dritten Platz hätte es heute noch ein bisschen anders ausgesehen", wusste Vettel am Sonntagabend.

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