Formel 1:"Ich erwarte, dass sie alle zurückschlagen werden - besonders Lewis"

Formel 1: Das Etikett "zu nett" hat Nico Rosberg mittlerweile abgelegt.

Das Etikett "zu nett" hat Nico Rosberg mittlerweile abgelegt.

(Foto: Yuri Kadobnov/AFP)

Beim Großen Preis von Russland steht Rosberg zum 24. Mal auf der Pole Position. Obwohl er die aktuell die Nummer 1 der Formel 1 ist, kann er sich nicht entspannen.

Von Elmar Brümmer

Nico Rosberg befindet sich auf einer Promotion-Tour, als ob er bereits Weltmeister wäre. Modeaufnahmen da, Illustrierten-Interviews dort, ein Auftritt in der Fernseh-Blödelshow "Circus Halligalli". Vielleicht kostet der Mercedes-Pilot den Ruhm so früh aus, weil er nicht sicher ist, dass er bleibt - obwohl er die drei letzten Rennen des vergangenen Jahres gewonnen hat und auch die drei ersten in dieser Saison. In der Qualifikation zum Großen Preis von Russland hat Rosberg am Samstag die 24. Pole-Position seiner Karriere eingefahren, so viele wie einst Niki Lauda, der Aufsichtsratschef von Mercedes.

Rosberg, in den vergangenen zwei Jahren jeweils WM-Zweiter hinter Lewis Hamilton, ist plötzlich die Nummer 1 in der Formel 1. Mit momentan 36 Punkten Vorsprung auf Hamilton wird er das auf jeden Fall auch beim Europastart in zwei Wochen in Barcelona noch sein. Doch das scheint ihm keine Sicherheit zu geben, er scheint immer noch eine Attacke von Hamilton zu erwarten, auch wenn der Rivale in Sotschi zum zweiten Mal nacheinander von einem Motorschaden ausgebremst worden ist.

Vor zwei Jahren lag Nico Rosberg sieben Rennen vor dem Saisonende mit komfortablen 29 Zählern vor Hamilton, ehe der Brite mit einer ungeheuren Siegesserie noch Champion wurde. So etwas vergisst man nicht. "Ich erwarte, dass sie alle zurückschlagen werden - besonders Lewis", sagte Rosberg nun in Sotschi, "ich bin gut gefahren bisher. Aber meine Gegner hatten einen ziemlich schwierigen Start." Daher rührt also der Zweck-Pessimismus bei dem Mann, der sonst gern in Superlative ("mega", "wow") verfällt, wenn man mit ihm spricht.

Irgendwo in Texas muss Rosberg die nötige Entschlossenheit gefunden haben

Die Frage, ob man gerade den besten Nico Rosberg sieht, beantwortet er nur indirekt: "Es ist der erfahrenste Nico, nach den Erfahrungen der letzten beiden Titelkämpfe." Dann verweist er auf das Pech von Vettel und Hamilton. Über den Titel mit ihm reden zu wollen, ist gleich vollkommen sinnlos: "Es sind immer noch 450 Punkte zu vergeben in dieser Saison." Und trotzdem muss irgendetwas anders sein, und das kann nicht nur die Geburt von Tochter Alaia sein, auch wenn Rosberg plakativ sagt: "Meine Siege sind auch Siege meiner Familie." Der Reifeprozess außerhalb des Cockpits scheint Nico Rosberg aber gut zu tun. Vielleicht hat er tatsächlich nur mal einen Befreiungsschlag gebraucht. In seinem Fall war es der Tag nach der WM-Niederlage gegen Hamilton in Austin, bei dem der Brite sich auf der Piste rüde seinen ersten Platz erkämpft hatte. Der frustrierte und mit dem Etikett "zu nett" ausgestattete Deutsche fuhr ziellos durch Texas, und irgendwo da draußen hat er offenbar die nötige Entschlossenheit gefunden, denn seitdem ist er ungeschlagen.

"Es läuft wie geschmiert für Nico", lobt sogar Vater Keke, der 1982 das Kunststück fertig brachte, mit nur einem Rennsieg Formel-1-Weltmeister zu werden. Für gewöhnlich äußert sich der Vater nicht über die Leistungen des Sohnes, übers Rennfahren sprechen die beiden schon gar nicht - höchstens übers Verhandeln. Das steht ja auch noch an in dieser Saison, Nico Rosbergs Kontrakt läuft zum Ende der Saison aus. Jeder Sieg erhöht seinen Marktwert. "Vielleicht sollten wir uns beeilen", sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff, der aber glaubt, dass grundsätzlich "alles unter Kontrolle" sei. Kollege Hamilton soll angeblich 27 Millionen Euro im Jahr einstreichen, Rosberg wird auf rund zehn Millionen weniger taxiert.

Jeder, der mit drei Siegen in eine Saison gestartet ist, ist Weltmeister geworden

Mit mittlerweile 17 Grand-Prix-Erfolgen hat der 30 Jahre alte Mercedes-Pilot den Briten Stirling Moss in einer Wertung abgelöst, die in der Erfolgsbranche Formel 1 nicht gerade erstrebenswert ist: die der erfolgreichsten Nicht-Weltmeister. Er habe nicht erwartet, so in diese Saison zu starten, gesteht Rosberg. Die Statistik weist aus, dass alle Fahrer, die ein Rennjahr mit drei Siegen begonnen haben, am Ende auch Weltmeister geworden sind. Vor allem, wenn sie so kalkuliert und präzise zu Werke gehen wie der Wiesbadener mit Wohnsitz in Monte Carlo.

Hamilton ist der Bauchmensch bei Mercedes, Rosberg der Kopfmensch. Was für das Team prima ist, weil zusätzlich zum überlegenen Silberpfeil auch dessen Chauffeure scheinbar für jede Situation gerüstet sind. Intern prallen aber diese Philosophien häufig aufeinander; auch der derzeitige Friede zwischen den beiden Erzrivalen dürfte kein Dauerzustand sein. Hamilton hat vor dem vierten WM-Lauf schon süffisant gewarnt: "Bislang war ich noch in keinem richtigen Zweikampf mit Nico, daher war er auch in den vergangenen drei Rennen im Aufwind. Das ist gut für ihn. Genieße es, solange du kannst, weil du nie weißt, wie lange es hält."

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