Formel 1:Hoch bezahlter Störenfried

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15 Siege in diesem Jahr, der nächste Konstrukteurstitel: Mercedes dominiert die Formel 1. Doch Titelverteidiger Lewis Hamilton kommt mit den Siegen von Nico Rosberg immer schlechter zurecht.

Von Elmar Brümmer, Suzuka

Kein Twitter, kein Snapchat, nicht einen einzigen öffentlichen Account. Sebastian Vettel muss sich in dieser Rennwelt langsam verloren vorkommen, in der sich das Geschehen von Kurve 18 auf die Schikanen der sozialen Netzwerke verlagert. Der Heppenheimer ist immerhin viermaliger Weltmeister, also das, was Lewis Hamilton unbedingt werden will in diesem Jahr. Und was angesichts von jetzt 33 Punkten Rückstand auf Nico Rosberg bei nur noch vier Rennen nicht bloß theoretisch immer schwieriger wird. Rosberg, zum neunten Mal in diesem Jahr Grand-Prix-Sieger, hat Hamilton in Japan mehrmals den Schneid abgekauft. Mit einer perfekten Runde zur Pole-Position, mit einem vom Start weg kontrollierten Rennen, und dann auch noch live im Netz. Während Hamilton mit den Mercedes-Bossen Toto Wolff und Niki Lauda im Flugzeug saß, ließ sich Rosberg dabei filmen, wie er dem Ironman-Sieger Jan Frodeno gratulierte. Lewis Hamilton konnte an diesem Sonntag auch auf der digitalen Piste keinen Stich gegen Rosberg machen.

Hamilton kam am zweiten ruinierten Renntag innerhalb von einer Woche nicht nur am Start mit seiner Kupplung durcheinander. Auch der Protest gegen das umstrittene Blockademanöver von Max Verstappen, das sich kurz vor Schluss in Biegung Nummer 18 zutrug und das Rang zwei des Briten verhinderte, ging daneben. Ausgetragen wurde das Hin und Her nicht allein auf dem Dokumentenweg mit den Rennkommissaren, sondern auch über den Kurznachrichtendienst Twitter.

Fremdkörper auf der Siegerfeier: Während Nico Rosberg (mit Champagner) mit seinem Team feiert, hat sein Teamkollege Lewis Hamilton (graue Kappe) wenig Grund zur Freude. (Foto: Clive Rose/Getty)

Hamilton hatte sich von unterwegs eingeschaltet und die Meldung abgesetzt, dass es keinen Protest gebe - das hätte nur "ein Idiot" behauptet. Sein eigenes Team hatte allerdings sehr wohl eine Beschwerde gegen die Aktion deponiert. Hamiltons Idioten-Nachricht wurde gelöscht und durch die Kampfansage ersetzt: "Wir sind Champions. Wir machen weiter!"

Ob der Fahrer den Rennstall zum Rückzug drängte oder ob Teamchef Toto Wolff die Anweisung zum Rückzug gab, ist unklar. Die große Siegesfeier mit den 1500 Angestellten am Montag in der Rennfabrik in Brackley hätte jedenfalls nicht stattfinden können, wäre das Ergebnis des Großen Preises von Japan provisorisch geblieben. Das drohte, weil sich die Rennkommissare darauf verständigt hatten, den Fall erst beim nächsten WM-Lauf in Austin in zwei Wochen verhandeln zu wollen. Sie waren sich offenbar uneinig über den Sachverhalt, zudem waren die beiden Zeugen ja schon abgereist. Solch sportjuristische Problemchen kann Mercedes angesichts der Überlegenheit in dieser Saison (Siege in 15 von 17 Rennen) und den vergangenen drei Jahren getrost vernachlässigen. Bis auf Hamiltons Kupplung hat es der aus Stuttgart finanzierte Rennstall zur Perfektion gebracht, und auch das komplizierte Startsystem ist nur Ausdruck des Konzernanspruchs, der da lautet: "Das Beste oder nichts." Die Kupplung ist kniffelig zu bedienen. Sie zu vereinfachen, würde aber zu lange dauern. Die Saison endet ja bereits Ende November in Abu Dhabi.

Eines aber ist offenbar noch schwieriger als das Spiel mit dem Kupplungshebel: die Seelenlage von Lewis Hamilton zu balancieren. Der Motorschaden in Malaysia, der ihn die WM-Führung kostete, belastet den 31-Jährigen wohl doch stärker als gedacht - und auch stärker, als er zugeben kann. Hamiltons digitale Kaspereien und seine Dünnhäutigkeit gegenüber den britischen Medien, die ihn dafür kritisierten, sind wohl Ausdruck einer großen Unsicherheit. In der Niederlage sonst zumindest verbal ein Mann von Größe, sprach er in Suzuka einsilbig über seine Pläne: "Erst mal nach Hause fahren. Anschließend zum nächsten Rennen nach Austin. Und dann freue ich mich, bald in die Winterpause zu kommen."

Selten in seiner Karriere hat es ihm über einen so langen Zeitraum am richtigen Timing und am nötigen Fingerspitzengefühl gefehlt. Die am Sonntag erreichte Marke von 100 Podiumsbesuchen in der Formel 1 ist für Hamilton wenig bedeutend - er habe ja "nur" 49 Mal ganz oben gestanden. Der ersehnte 50. Grand-Prix-Erfolg belastet ihn wie ein Fluch. Das Streben nach der Marke macht ihn offenbar empfindlich und lässt ihn zweifeln. Vielleicht sogar verzweifeln.

Rosberg hat nun schon 33 Punkte Vorsprung. Vier Rennen folgen noch. Die Frage, die den Rest dieser WM bestimmen wird, unabhängig davon, wie diese ausgeht, richtet sich an Arbeitgeber Mercedes: Wird das Team seinen Fahrer wieder unter Kontrolle bekommen? Die Alleingänge von Suzuka entsprechen dem Habitus eines echten Ausnahmefahrers, mit leichten Anleihen an Rockstar-Exzentrik. Diese Art macht Hamilton im Erfolgsfall zum besten Rennfahrer der Formel 1. Dass ihn Nico Rosberg jetzt mit ordentlichen deutschen Tugenden auskontert, damit kommt er offenbar nicht richtig klar. Wie soll das dann erst in der kommenden Saison werden, mit einer auf dem Papier vertauschten Rangfolge? Etwa 21 Rennen lang eine Machtprobe? Die Unruhe würde schnell ins Team getragen. Das kann Mercedes nicht gefallen.

Momentan lässt sich Hamilton, der bislang als Meister der Psychospielchen galt, doch mehr von Nebensächlichkeiten beeinflussen als es förderlich ist. Schon vor dem Suzuka-Wochenende hat er gestanden, dass er sich momentan manchmal "machtlos" fühle - und davon profitiere der Rivale. Die Verantwortlichen wissen aus Erfahrung und Hamiltons Zeit bei McLaren, wie empfindlich und unberechenbar der dreimalige Weltmeister auf zu großen Druck oder gar Zwang reagiert. Aber sie müssen auch verhindern, dass Hamilton sich selbst aus der Balance bringt. Gut, dass so ein Rückflug von Japan aus weit mehr als zwölf Stunden dauert, reichlich Gelegenheit, von der Seelenmassage-Funktion Gebrauch zu machen. Bislang konnte Teamchef Wolff nur feststellen: "Lewis braucht ein Feindbild. Manchmal sogar mehr als eins. So funktioniert er." Und wenn er dafür sich selbst zum Gegner nehmen muss.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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