Formel 1:Hamiltons Rutscher eröffnet Dreikampf um den Titel

Lewis Hamilton Hamilton vergibt in China die Titelchance, Ferrari-Pilot Räikkönen gewinnt und kämpft gegen Alonso und Hamilton um die WM.

Elmar Brümmer

Genau eine Stunde lang ist Lewis Hamilton der jüngste Formel-1- Weltmeister der Geschichte gewesen. Nach 31 Runden unter dem silberpfeilgrauen Himmel beim Großen Preis von China ist er zwar immer noch WM- Spitzenreiter, aber nur noch einer von drei Piloten, die in zwei Wochen beim Saisonfinale in Brasilien den Titel holen können. Der Knick in Richtung Box wurde dem McLaren-Mercedes zum Verhängnis. Hamilton schlitterte mit einem verschlissenen rechten Hinterrad von der Piste ins weit und breit einzige Kiesbett. Der erste Fehler des Jahres, der erste Ausfall - WM-Entscheidung vertagt. Kimi Räikkönen fuhr nach 56 Runden seinen fünften Saisonsieg ein, und ist plötzlich wieder dick im Rennen, Hamiltons Kollege Fernando Alonso als Zweiter ebenso. Das Podium rundete Felipe Massa im zweiten Ferrari ab.

"Ein Hornochsen-Verein"

"Als ich aus dem Auto gestiegen bin, war ich schon sehr frustriert", gab Hamilton zu. Dann kündigte er an: "Ich fliege jetzt nach Hause und dann geht's zum letzten Rennen. Keine Angst - ich kann das schaffen." Zum ersten Mal seit 1986 (Nigel Mansell, Alain Prost, Nelson Piquet) wird die WM wieder beim Finale zwischen drei Piloten entschieden. Es war beinahe rührend, wie Hamilton und sein Team den Fauxpas gegenseitig auf sich nahmen, der die historische Chance fürs Erste zunichte machte. "Es war unsere gemeinsame Entscheidung. Sie war richtig, wir hatten nur Pech", rechtfertigte Hamilton das Wagnis, die Reifen lange nicht zu wechseln und auf einen weiteren Schauer zu spekulieren.

Premiere-Stichwortgeber Hans-Joachim Stuck hielt sich in bewährter Manier weniger zurück: "Ein Hornochsen-Verein!", nannte er die Teamleitung von McLaren-Mercedes, die Hamilton mit der riskanten Reifen-Strategie dem Sieg nachjagen ließ, anstatt ihn sicher in die Punkte zu lotsen. Nach seinem Ausfall klatschte Hamilton jeden Mechaniker in der Box einzeln ab. "Das ist ein Großer", lobte Norbert Haug den 22 Jahre alten Piloten. "Wir hätten den Sack zumachen können", gab der Mercedes-Sportchef mit Blick auf die Fahrerwertung zu. "Das ist eine bittere Enttäuschung für mich und das Team", sagte Hamilton. Noch am Abend flog er nach London. Seine Gemütslage lotete eine einzige Frage aus: "Was haben Sie gedacht, als Sie da im Kies standen?" Antwort Hamilton: "Was hätten Sie gedacht?"

Sein Teamkollege Fernando Alonso dachte über den Ausrutscher seines Stallrivalen offiziell: "Nichts." Aber für ihn war der Fehler das Wunder, das er seit Tagen herbeigeredet hatte. Der Spanier sorgte in China erneut für mächtig Wirbel. Seine Beziehung zum Team ist längst zerrüttet. Beim vorletzten Saisonrennen aber erreichte die Liaison einen neuen Tiefpunkt. Nachdem er in der entscheidenden Qualifikationsrunde 0,6 Sekunden hinter Hamilton geblieben war und alle WM-Chancen verloren glaubte, erhob Alonso unverhohlen Manipulationsvorwürfe gegen das Team. Er sagte: "Ich kann mich an kein Rennen erinnern, in dem ich sechs Zehntelsekunden hinten lag. Ich würde schon gerne wissen, wo ich diese Zehntel verloren habe."

Alonso greift seinen Teamchef an

Benachteiligt fühlt sich der Spanier schon lange. Beweise blieb er bisher schuldig. Auch in China. Allgemein sagte er: "Wenn du siehst, dass dein Chef so eine väterliche Zuneigung zu deinem Rivalen zeigt, weißt du, dass du kein Vertrauen haben kannst."

Offiziell hat sich der Rennstall eine Friedenspflicht bis zum Saisonende verordnet. Diese stellte Alonso mit einer heftigen, persönlichen Kritik an Teamchef Ron Dennis auf eine harte Probe. "Es ist besser zu schweigen als zu lügen. Das hätte sich Ron auch öfter zu Herzen nehmen sollen, dann würde es dem Team besser gehen", sagte Alonso. Und: "Es geht so viel gegen mich, was sie sagen, was sie tun, und das im eigenen Team!" Und: "Ich habe nichts Unwahres gesagt. Das Team hat viele, viele schlechte Dinge über mich verbreitet." All das klingt, als wolle der 26-Jährige einen Rauswurf provozieren. Die Anwälte von McLaren-Mercedes prüfen bereits die Verträge. Weder Ron Dennis noch Mercedes-Statthalter Norbert Haug wollten sich in Schanghai zu der Causa äußern. Ihre Mienen verrieten aber, was geschehen wäre, wenn sie es doch getan hätten: Es wäre sicher justitiabel geworden. Die Wortführer müssen loyal bleiben, gerade jetzt, da der Intrigant Alonso wieder zurück im WM-Spiel ist. Was wäre das für ein Schlusspunkt: eine Titelverteidigung, beschleunigt vom Verfolgungswahn.

Großes Finale in zwei Wochen

Hoffnungen auf seinen ersten Titel kann seit Sonntag auch der Finne Kimi Räikkönen wieder hegen. Der Ferrari- Pilot holte sich, von Hamiltons Schicksal gewarnt, rechtzeitig die richtigen Reifen und gewann den kuriosen Grand Prix mit einer Fahrt auf Nummer sicher. Wenn das Wetter sich wechselhaft zeigt, ergeben sich immer turbulente Rennen. Vor einer Woche in Japan war das so, als sich Alonso einen Ausrutscher erlaubte. In China glich Hamilton in den Ausläufern des aufziehenden Taifuns Krosa in der Patzer-Statistik aus. Das große Finale steigt nun in zwei Wochen zur besten Sendezeit - das ist das Lieblingsszenario von Vermarkter Bernie Ecclestone. "Wie man heute gesehen hat, kann alles passieren", sagt Kimi Räikkönen, der nach seinem fünften Grand-Prix-Erfolg nun die meisten Siege in dieser Saison hat. Für Ferrari war es Formel-1-Erfolg Nummer 200. Generaldirektor Jean Todt nahm die Huldigungen dafür mit gefalteten Händen entgegen.

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