Formel 1:Hamilton dankt Lady Luck

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Glück gehabt: Sieger Lewis Hamilton rutscht wegen eines Reifenschadens seines Kollegen Bottas erst kurz vor dem Ziel auf Platz eins. (Foto: Getty Images)
  • Lewis Hamilton gewinnt ein kurioses Formel-1-Rennen in Baku - mit dem Sieg hatte er gar nicht mehr gerechnet.
  • Sebastian Vettel verspekuliert sich bei einem Überhol-Manöver und fällt auf Platz vier zurück.
  • Durch seinen Sieg übernimmt Hamilton auch die Führung in der WM-Wertung von Vettel.

Von Philipp Schneider, Baku/München

Man kann sich nicht erinnern, wann zuletzt ein derart ernüchterter Sieger über die Ziellinie eines Formel-1-Rennens gerollt ist. Lewis Hamilton erhob keine Faust aus seinem Cockpit, er brüllte keine frohen Botschaften in sein Helmmikrofon, das erste, was man von ihm hörte, war eine Entschuldigung. "Lady Luck" habe er gehabt, Unterstützung von einer Glücksgöttin sozusagen.

Kurz darauf nahm er seinen Helm ab, zeigte dem Publikum seine extrem mutig rasierte Frisur, die ja eine Reminiszenz an einen mit Mais bepflanzten Acker darstellen soll, und sagte: "Fühlt sich ein bisschen komisch an. Valtteri ist ein außergewöhnliches Rennen gefahren und hätte den Sieg verdient, Sebastian ist auch toll gefahren. Aber ich nehme den Sieg natürlich hin." Valtteri Bottas, Hamiltons Teamkollege, und Sebastian Vettel, Hamiltons größter WM-Rivale, standen nicht einmal neben Hamilton, als das Orchester in Baku die britische Hymne spielte. Dort stand Vettels Teamkollege Kimi Räikkönen. Und der gut gelaunte Mexikaner Sergio Perez, der gerade aus seinem Force India geklettert war.

Wenn Sergio Perez auf dem Podium steht, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass etwas Außergewöhnliches passiert ist. Bei diesem Großen Preis von Aserbaidschan fiel es schwer, den Zeitpunkt zu definieren, an dem der Wahnsinn einsetzte. Dieses Rennen, in dem Vettel die Führung im Gesamtklassement an Hamilton verlor, war weniger ein Rennen als ein böser, schmerzender Peitschenhieb des Schicksals. Und wieder einmal war der junge Max Verstappen beteiligt.

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Seit sechs Rennen ist der Formel-1-Weltmeister nun schon ohne Sieg, Mercedes scheint so verwundbar zu sein wie lange nicht mehr. In Baku gibt sich der Brite kämpferisch - aber er hat Vettel vor sich.

Von Elmar Brümmer

Vettel verbremst sich

Diesmal fuhr Verstappen nicht Hamilton oder Vettel ins Auto, diesmal geriet er mit seinem Teamkollegen Daniel Ricciardo aneinander. Der Australier krachte Verstappen auf der Zielgerade ins Auto, hob das Auto leicht an, ruinierte sich den Frontflügel in einem Moment, als er schneller war, aber nicht ausscherte, um den Niederländer zu überholen. Oder war es andersrum? Hatte Verstappen zu scharf gebremst und nicht den Weg frei gemacht?

"Egal, wie man das sieht, so etwas darf nicht passieren", sagte Helmut Marko, der Berater des Rennteams, "da sind beide beteiligt." Er werde sich nun teaminterne "Maßnahmen überlegen", wie sich solche Unfälle in Zukunft vermeiden ließen.

Das Safety Car bog auf die Strecke - und Bottas lag zu diesem Zeitpunkt nur deshalb in Führung, weil er anders als Vettel noch keinen Boxen-Stopp absolviert hatte. Den holte der Finne nun nach, zu einem Zeitpunkt, als das Fahrerfeld mit gedrosselter Geschwindigkeit fuhr. Die Zeit, die Bottas dabei sparte, genügte, um die Führung vor Vettel zu behalten. Und als der Wiederstart freigegeben wurde, unterlief Vettel der einzige Fahrfehler des Tages.

Er verbremste sich beim Vorhaben, Bottas zu überholen, zwei Plätze verlor er sofort, Hamilton rollte vorbei, Räikkönen auch, irgendwann ging auch noch Perez vorbei, Vettel wurde Vierter. "Ich habe nichts Außerirdisches probiert, aber es hat halt nicht funktioniert", sagte Vettel. Und schließlich erbte Hamilton auch noch den Sieg, weil Bottas der Reifen platzte, den er sich möglicherweise aufgeschlitzt hatte. An einem der multiplen Trümmerteile, die dieses Rennen von Baku, das schon im Vorjahr ein Trümmerrennen gewesen ist, mal wieder produziert hatte.

Vier Punkte liegt Vettel nun hinter Hamilton in der Gesamtwertung. "So ist es eben, manchmal ist es ein bisschen Lotterie", sagte Vettel - der ja schon vor 14 Tagen in Shanghai mit bemerkenswerter Lakonie erstaunt hatte, als er ruhig geblieben war, obwohl ihn Verstappen von der Piste geräumt hatte. Aber vielleicht lässt sich so ein Rennen auch nur verarbeiten, wenn man es in einen Teil des Gehirns schiebt, in dem sich ansonsten nur Buntes und Vermischtes sowie kuriose Schicksalsschläge sammeln, die sich auch ohne Verdrängung nicht aufklären lassen.

Vettel war in Baku frohgemut gestartet von seiner dritten Pole Position in diesem Jahr. Hinter ihm lauerten Hamilton und Bottas. Vettels Helfer Räikkönen war nur Sechster, dazwischen lagen Ricciardo und Verstappen.

Mit einer Länge von zwei Kilometern zieht sich die Start- und Zielgerade fast endlos hin in Baku. Am Sonntag blies ein Wind, in dem sich vielleicht Sylter Möwen wohlfühlen, nicht aber Rennwagen in Aserbaidschan. "Ich werde heute Abend eine Menge essen, damit ich morgen vom Wind nicht weggeblasen werde", sagte Ricciardo, als er noch nicht wissen konnte, dass ihn Verstappen wegblasen würde. Noch gefährlicher allerdings als die Böen sind in Baku die engen Kurven.

Was passiert, wenn ein Rennstall keinen Cheffahrer bestimmt

Im Vorjahr gab es vier Safety-Car-Phasen in Baku, diesmal gab es bei der Rundfahrt durch das Unesco-Weltkulturerbe die erste nach dem Start. Räikkönen fuhr beim Versuch, sich eines Überholmanövers von Esteban Ocon zu erwehren, in dessen Wagen. Räikkönen ließ sich eine neue Nase an den Ferrari schrauben. Auch Sergey Sirotkin und Fernando Alonso gerieten aneinander, Alonso verlor einen Reifen. "Was für ein dummer Junge", funkte Alonso. "Da nimmst du Rücksicht in Kurve eins und zwei, und dann fahren sie dir ins Auto." So ist das manchmal.

Nach dem ersten Wiederstart behauptete Vettel seine Führung vor Hamilton, dahinter überholte Verstappen seinen Teamkollegen Ricciardo, der im Zweikampf an Tempo verlor und so auch noch Carlos Sainz im Renault passieren lassen musste. Sainz überholte auch Verstappen, genau wie sein Teamkollege Nico Hülkenberg, der sich dann aber nach einer Mauerberührung aus dem Rennen verabschiedete.

In der Folge ließ sich beobachten, was passiert, wenn sich ein Rennstall nicht darauf festlegt, welcher seiner Fahrer der Chef ist. Verstappen und Ricciardo beackerten sich beim Kampf um Platz fünf. Und ja, Verstappen fuhr mindestens einmal zu ungestüm und berührte das Vorderrad von Ricciardo.

Vorne reihten Vettel und Hamilton abwechselnd schnellste Runden aneinander, nach 21 Umdrehungen betrug der Vorsprung des Ferraris fast fünf Sekunden. Hamilton klagte über Funk, er bekomme (wie schon während der ganzen Saison) seine Reifen nicht auf Temperatur. Dann verbremste er sich in der Kurve nach Start und Ziel, geriet von der Strecke, mit acht Sekunden Rückstand fuhr er an die Box, wechselte die Reifen. Vettel sah wie der sichere Gewinner aus. Nach 30 Runden lag Bottas weniger als zehn Sekunden hinter ihm. Vettel fuhr an die Box, doch Bottas fuhr weiter, immer weiter, bis seine Gummis fast in Fetzen lagen. Als hätten sie bei Mercedes gewusst, dass die Red Bulls zehn Runden vor Schluss ineinander fahren würden, bog der spätere Sieger erst an die Box, als mal wieder ein Safety Car ein Rennen entschied.

© SZ vom 30.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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