Formel 1:Großes Zittern

2006 dürfen die Triebwerke der Formel-1-Boliden ihre Kraft nicht mehr aus zehn Zylindern schöpfen, sondern nur noch aus deren acht. Dadurch soll das Spektakel billiger werden. So recht umsetzen setzt sich diese Rechnung dann doch nicht.

René Hofmann

Die erste Ausfahrt endete mit Kopfschmerzen. Als Marc Gene Anfang August den ersten Achtzylinder von Ferrari auf der Strecke in Fiorano ausführte, brummte ihm nach 38 Runden mächtig der Schädel. Das neue Aggregat in seinem Rücken hatte den Spanier auf eine Art durchgerüttelt, die weder ihm noch seinen Ingenieuren gefiel: horizontal.

"Schwingungen zweiter Ordnung" heißt das Phänomen, das die Formel 1 in diesen Tagen stark beschäftigt. Nach der Saison tritt eine neue Motorenregel in Kraft. 2006 dürfen die Triebwerke ihre Kraft nicht mehr aus zehn Zylindern schöpfen, sondern nur noch aus deren acht. Dadurch soll das Spektakel billiger werden. Die einfache Rechnung des Automobilweltverbandes: zehn Zylinder minus zwei = zwanzig Prozent billiger. Doch je näher der Stichtag rückt, desto deutlicher zeichnet sich ab: ganz so einfach ist es doch nicht.

"Eine solche Umstellung ist eine schwierige Übung. Den Motorenbauern war das immer klar, inzwischen ist es auch den Autobauern klar", sagt BMW-Sportchef Mario Theissen mit einem Anflug von Ironie. Er war gegen die neuen Regeln. Sein Argument: Kleinere Motoren sind zwar billiger, weil sie aus weniger Teilen bestehen. Aber bevor dieser Effekt eintritt, werden irrsinnige Ausgaben für die Entwicklung anfallen. Genauso ist es gekommen.

Sündteure Prototypen

Alle Motorenlieferanten haben im Moment zwei Programme laufen: Eines, das sich um die Pflege der aktuellen Zehnzylinder kümmert, und eines, das auf 2006 zielt. Die Wege, die dabei eingeschlagen werden, sind äußerst unterschiedlich. Mercedes und Ferrari legten für erste Fahrversuche in aktuellen Modellen schlicht zwei Zylinder lahm.

Honda ließ als erstes Team überhaupt schon im April einen V8 kreischen, einen sündteuren Prototyp, der nur dazu diente, beim endgültigen Entwurf grobe Fehler zu vermeiden. Renault, derzeit führend in der Fahrer- und der Konstrukteurswertung, verzichtet auf Probefahrten und lässt seine neuen Kraftquellen lediglich auf Prüfständen röhren.

Herausgekommen ist bei allen Versuchen das Gleiche: Die Motoren werden kleiner, sie werden schwächer und benötigen weniger Benzin und weniger Frischluft zur Kühlung. Weil sie die Wagen weniger stark beschleunigen, wird die Spitzengeschwindigkeit geringer sein; deshalb muss vor den Kurven weniger Energie abgebaut werden, weshalb wiederum die Kühler für die Bremsen kleiner werden können.

All das lässt sich berechnen. Beim großen Rütteln aber versagen die Kalkulationen. "Mit den Vibrationen zurechtzukommen, ist kniffelig", gibt Renault-Technikchef Pat Symonds zu. Die Sensoren, die Einspritzventile, das Getriebe - alles muss auf das Hin und Her eingestellt werden. Würde man einfach einen der neuen Motoren in eines der alten Autos schrauben - der Pilot sähe nicht, was hinter ihm passiert, weil die Rückspiegel zu stark zitterten. Und nach einigen hundert Metern verlöre er den Heckflügel.

Bläserquintett ohne Fagott

Die Unruhe liegt am Konzept. Je mehr Zylinder ein Triebwerk hat, desto besser ist es ausbalanciert. Auch Zehnzylinder vibrieren, allerdings bei relativ niedrigen Drehzahlen, durch die schnell hindurchbeschleunigt wird. Die Achtzylinder werden bei hohen Drehzahlen und damit wesentlich öfter unangenehm.

Zu Beginn werden sie rund 200 PS schwächer sein als ihre Vorgänger, was einer Leistungseinbuße von gut 20 Prozent entspricht. "Die Tests zeigen aber, dass die Rundenzeiten nicht im gleichen Maße steigen werden", verrät Ferrari-Technikchef Ross Brawn. Weil die Triebwerke ihre Kraft gleichmäßig entfalten, seien alle Fahrer, die sie ausführen durften, angetan gewesen.

Michael Schumacher hat diese Aussicht bisher nicht locken können. Wie die anderen Stammpiloten überlässt auch er die Entwicklungsfahrten den Test-Chauffeuren. Dabei könnte das neue Reglement ihm bei der Rückeroberung seines Titels helfen. Zuletzt waren die Leistungsunterschiede so marginal, dass die Motoren in der Formel 1 keine große Rolle mehr spielten. Das wird sich bald wieder ändern. "Jeder Konzeptwechsel bringt Durcheinander", sagt BMW-Vordenker Theissen: "Neun Monate lang werden wir wieder größere Unterschiede bei den Motoren sehen." Und hören.

Vom Wettrüsten unter der Haube werden die Betrachter auf den Tribünen nur eines mitbekommen: den anderen Sound. Im Vergleich zu den bisherigen klingen die neuen Motoren wie ein Bläserquintett, bei dem der Fagott-Spieler krank geworden ist: schriller, aufgeregter. Damit sich die Ferrari-Fans an die neuen Töne gewöhnen können, hat die Gazzetta dello Sport gleich einen Mitschnitt von Marc Genes Fahrt in die Kopfschmerzen ins Internet gestellt.

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