Formel 1:Gleich große Eimerchen für alle

Yas Marina Circuit Abu Dhabi United Arab Emirates Thursday 23 November 2017 Chase Carey Chairm

Pläne mit der Formel 1: Chase Carey (links) und Ross Brawn (rechts) von Liberty Media mit dem Chef des Yas Marina Circuits, Al Tareq Al Ameri.

(Foto: Tee/imago)

Vor dem letzten Rennen in Abu Dhabi geben die Weltmeister Vettel und Hamilton einen launigen Rückblick auf die Saison. Doch im Hintergrund der Formel 1 knarzt es.

Von Philipp Schneider, Abu Dhabi/München

Und dann sinniert Sebastian Vettel doch noch über das Überholen. In Abu Dhabi. Etwas zu spät vielleicht: vor dem Start des letzten Rennens dieser Formel-1-Saison, in der sämtlich Pokale schon verteilt worden sind. Nicht an Vettel und Ferrari, sondern an Lewis Hamilton und Mercedes. Andererseits hat Vettel natürlich Recht: Worum geht es denn bitteschön im Rennsport, wenn nicht ums Überholen? Die Schaltmanöver und Lenkbewegungen pro Runde, dazu Höchstgeschwindigkeit und Durchschnittsgeschwindigkeit, dann die Temperatur des Asphalts und die kalkulierte Haltbarkeit der Reifen in Rundenzahl - in der Formel 1 wird ja alles gemessen und statistisch erfasst, die Zahlen und Daten kann man ausdrucken, auf den Tisch legen und stundenlang studieren. Aber was bleibt denn hängen in der Erinnerung?

"Überholen", sagt Sebastian Vettel, sollte ein "achievement" sein. Eine Leistung also, eine Großtat, wenn man so will. Überholen, findet Vettel, sollte einem Rennfahrer "nicht einfach so zufallen". Vettels Großtats-Gedanke war eine wunderbare Klammer, die Vergangenheit und Zukunft der Formel 1 vereinte, steht doch die Rennserie vor jeder Reform vor den Fragen: Wie lässt sich mehr Spannung schaffen, wie die Chancengleichheit verbessern? Und was ist zu tun, damit sich die Autos verhalten wie Rennwagen, sich also überholen, und nicht treudoof hintereinander herfahren wie früher die Schlafwagen an den Nachtzügen der Deutschen Bahn?

Vettel blickt zu Hamilton, der neben ihm sitzt auf der Pressekonferenz in Abu Dhabi. "Es gibt nicht vieles, an das man sich erinnern müsste", sagt Vettel, "du musstest dieses Jahr nicht viele Leute überholen!" Naja, antwortet Hamilton, "ich habe zumindest dich ein paar Mal überholt, das war genug! Das waren für mich die aufregendsten Manöver". Tag der Abrechnung in der Formel 1. Alles strömt noch einmal in den Diskurs: Hamiltons rasende Vorbeifahrt an Vettel in Barcelona, Vettels vergebliche Treibjagd auf Hamilton in Spa, und natürlich auch Vettels Frustrempler in Baku, als er dem späteren Weltmeister mit seinem Ferrari sinnfrei in die Seite rumpelte. Für Baku, resümiert Vettel, sollte er den "Preis für das Manöver des Jahres bekommen, für die Persönlichkeit des Jahres und für . . . Fairplay? Okay, dafür vielleicht nicht". Riesenlacher, klar.

Vordergründig ist die Stimmung gut in Abu Dhabi. Am Ende einer Saison, in der es lange so ausgesehen hatte, als würden sich die Weltmeister Vettel und Hamilton bis zum letzten Rennen duellieren. Wenn aber am Sonntag die letzte Zieldurchfahrt Geschichte ist und sich die Fahrer bis März in die Winterpause verabschieden, dann werden die Debatten nicht verstummen, die befeuert werden von den Plänen von Liberty Media, den seit diesem Jahr neuen Rechteinhabern der Formel 1. Im Hintergrund knarzt es gehörig.

Das Triumvirat aus Geschäftsführer Chase Carey, dem Ingenieur Ross Brawn und dem Marketing-Spezialisten Sean Bratches hatte im ersten Jahr viele Ideen. Nicht alle kamen gut an. Das Engagement des kehligen Schreihalses Michael Buffer für das Rennen in Austin etwa sollte Atmosphäre wie beim Boxen schaffen, hinterließ aber nur Lärm wie auf einem mittelalterlichen Fischmarkt. Die kleinen Interviews dagegen mit den schnellsten Fahrern des Qualifyings gleich auf der Strecke: warum nicht? Nach der Vorstellung von Liberty Media soll die Formel 1 näher an die Fans rücken, die Kommunikation über die sozialen Netzwerke gefördert werden. Das alles ist aus Sicht der Teams okay. Widerstand formiert sich gegen die neuen Motoren, die ab 2021 verbaut werden sollen - und die geplante Kostendeckelung.

Bislang ist es nur ein Vorschlag, den Liberty Media unterbreitet hat, und doch drohte Ferrari mit dem Ausstieg, auch Mercedes und Renault waren verärgert. Es bleibt beim 1,6-Liter-V6-Turbomotor mit Turbolader. Die Energierückgewinnung im Abgasstrom fällt weg, die Drehzahl steigt um 3000 Umdrehungen. Batterie, Leistungselektronik und andere Motorenteile werden standardisiert. Die Motoren sollen billiger und lauter werden - das ist die Überlegung, die für Ferrari-Chef Sergio Marchionne ein fürchterliches Szenario ist. Dass sich "die Rennställe nicht mehr so sehr durch den Motor unterscheiden", sei schlimm: "Wenn wir den Sandkasten so umbauen, dass er nicht länger als Sandkasten zu erkennen ist, dann spielen wir nicht mehr mit." Die Formel 1 sei Teil von Ferraris "DNS", aber nach einem Ausstieg würde das Unternehmen so viel Geld sparen, "wir würden feiern bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag", sagt Marchionne.

Zur Strategie der Unterhaltungsspezialisten von Liberty Media gehört in der Tat die Idee, dass in ihrem Sandkasten alle gleich große Eimer erhalten. Kein Kind, und sei es noch so viele Jahre länger Stammgast auf dem Spielplatz, soll eine Schaufel mehr besitzen als seine Kumpels. Dass dann nicht mehr ausgeschlossen ist, dass auch mal ein Kind mit wenig Taschengeld die größte Sandburg bauen könnte, gefällt Ferrari nicht so gut. Die Budgets sollen von 2019 an kontrolliert werden, dieser Plan scheiterte in der Vergangenheit immer wieder an Widerständen der Teams, die ungern einen externen Buchhalter in ihren Finanzen rumschnüffeln lassen. Die Höhe des Kostendeckels wurde noch nicht festgelegt, doch er wird Einsparungen bedeuten für Mercedes und Ferrari, die Personal kürzen müssten, da der diskutierte Vorschlag nur die Honorare für die Fahrer, das Topmanagement und Marketingausgaben ausschließt.

Bis Chase Carey alle Details mit den Teams besprochen hat, wird es noch etwas dauern. Reformen sind unausweichlich. Daran werden auch Vettels philosophischen Betrachtungen zum Mangel an Überholmanövern nichts ändern. Vielleicht, sagte Vettel in Abu Dhabi, "sollten wir uns alle manchmal etwas mehr entspannen und ein langweiliges Rennen, oder zwei nacheinander akzeptieren". Irgendwann folge dann schon wieder ein großartiges Rennen: "Wir können in der Formel 1 nicht alles vorhersehen. Und wir können auch nicht alles kontrollieren."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: