Formel 1:Es rauscht im Knisterkanal

Ärger im Stall des Siegers: Lewis Hamilton ist sauer, weil ihm sein Teamkollege Jenson Button in Australien die Schau stahl.

E. Brümmer

Der Boxenfunk ist das Gefühlsventil am Formel-1-Rennwagen. An verzweifelte Hilferufe, orgiastische Jubelschreie und komplizierte Taktikanweisungen hat sich der Zuhörer gewöhnt. Ironie aber ist neu im Knisterkanal. "Das war aber ein tolle Idee, mich zum Reifenwechsel reinzuholen!", teilte Lewis Hamilton während des Großen Preises von Australien dem McLaren-Kommandostand mit, als sich abzeichnete, dass ein zusätzlicher Boxenstopp ihn um die Chance auf einen Podiumsplatz gebracht hatte - und das Team um einen Doppelerfolg. "Es war das Rennen meines Lebens", schimpfte der 25-Jährige, "ich bin glücklich über den Job, den ich gemacht habe. Unglücklicherweise hat mich die Strategie zurückgeworfen."

"Habe Besseres verdient"

Hamilton wurde nach einer Kollision am Ende nur Sechster. Der Sieg ging an seinen Teamkollegen Jenson Button. "Ich denke, dass ich Besseres verdient habe als das", zürnte Hamilton. Button, 30, wurde im zweiten Rennen für seinen neuen Rennstall zum Siegertyp, weil er früh auf Slicks gewechselt hatte. Es war seine eigene Entscheidung, an den Renningenieuren vorbei. "Nur wir Fahrer fühlen, wie es da draußen wirklich ist", gab er als Begründung an. McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh attestiert Button deshalb Führungsqualitäten: "Seine Fahrt war eines Weltmeisters würdig. Seine extreme taktische Schärfe legte die Grundlage für den Sieg."

Unter den Teamduellen ist die britisch-britische Beziehung die mit dem größten Sprengstoff, mehr noch als die Rivalitäten Felipe Massa/Fernando Alonso bei Ferrari und Michael Schumacher/Nico Rosberg bei Mercedes. Den aktuellen Weltmeister und seinen direkten Vorgänger im Team zu haben, das ist eine einmalige Gelegenheit für McLaren. Die ersten Rennen des Jahres, so schwankend Leistungen und Ergebnisse noch sein mögen, sind mit die wichtigsten: Denn früh müssen die Piloten ihren Status innerhalb des Teams manifestieren. Button und Alonso haben das mit ihren Siegen bereits getan, Schumacher liegt von den Punkten her zwar gegen Rosberg zurück, hat aber gleich die Abstimmungshoheit bei Mercedes erlangt.

Hamilton weiß um das wichtige Gesamtbild und lässt der Chefetage ausrichten: "Alle vor mir haben nur einen Stopp gemacht, und als man mich reingeholt hat, waren meine Reifen großartig. Ich weiß nicht, was das sollte." Er weiß genau, dass sich die interne Position nicht nur an den fahrerischen Leistungen orientiert.

Top-Fahrer müssen auch Politik machen. Als er in seinem Debütjahr 2007 den Eindruck hatte, gegenüber Fernando Alonso benachteiligt worden zu sein, den die Stallregie in Monte Carlo auf Platz eins bugsiert hatte, begann hinter den Kulissen ein Intrigenspiel, das McLaren viel Reputation kostete, am Ende des Jahres verließ Alonso entnervt das Team.

Whitmarsh tut daher gut daran, Hamilton zu besänftigen, bevor zwischen den Kollegen jene Feindschaft wächst, auf die die englischen Boulevard-Zeitungen nur warten. Also gab er zu, dass die Zwei-Stopp-Strategie ein Fehler war, und man sei dem Erzürnten gar nicht böse: "Lewis hat mal wieder all seine Entschlossenheit, seine Leidenschaft und seinen Mut aufgeboten, die ihn zu einem der aufregendsten Piloten machen."

Erstaunlich ist der Rollentausch, den die beiden schnellen Briten durchleben. Button, zur Jahrtausendwende als Hallodri in die Formel 1 gekommen, hat sich zu einem der umsichtigsten Fahrer entwickelt und liefert abgesehen von seiner Partnerschaft mit dem Model Jessica Michibata keine Schlagzeilen neben der Piste mehr. Hamilton macht offenbar genau den umgekehrten Reifeprozess durch. Als er vor drei Jahren in die Serie kam, galt er als Klon des perfektionistischen McLaren-Chefs Ron Dennis. In diesem Jahr hat er seinen Vater Anthony als Manager abgesetzt, fliegt zwischen den Rennen kreuz und quer durch die Welt, um Nicole Scherzinger zu treffen, die Sängerin der Pop-Gruppe "Pussycat Dolls", und in Melbourne wurde am Samstag sein privates Auto beschlagnahmt, weil er auf öffentlichen Straßen mit durchdrehenden Reifen einige Kringel gedreht hatte.

Button ist gewarnt, seine Gelassenheit gehört zur Maskierung. Wer es in der Formel 1 zum Champion bringt, ist gelernter Egoist. Wenn er scheinbar allgemein feststellt, "dieser Sieg gibt uns eine Richtung", dann verbirgt sich dahinter die Interpretation: Und ich habe sie festgelegt. Sein Wechsel vom Brawn-Team zu McLaren kam überraschend, viele Insider hatten ihm abgeraten, sich in die Höhle des Lewis' zu wagen. Jetzt sagt er: "Dieser Erfolg gibt mir Selbstvertrauen." Er wird es brauchen. Seine Freundin hat ihm das japanische Wörtchen "Yata" beigebracht. Es bedeutet: "Ich habe es geschafft." Das hat Button im Ziel in sein Helmmikrofon gebrüllt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: