Formel 1:Erst Letzter, dann Weltmeister

Mexican Grand Prix 2017

Fiesta mit Fahne: Lewis Hamilton feiert in Mexiko.

(Foto: REUTERS)
  • Lewis Hamilton wird in Mexiko zum vierten mal Formel-1-Weltmeister.
  • Ihm reicht ein neunter Platz. Zwischenzeitlich war er sogar Letzter und wurde überrundet.
  • Mit vier WM-Titeln sind nur noch Juan Manuel Fangio (fünf WM-Siege) und Michael Schumacher (sieben) besser als der Brite.

Von Philipp Schneider

Vielleicht dachte Lewis Hamilton an die Küche eines Österreichers, als er Sonntagnachmittag mit Tempo 300 auf dem Autódromo Hermanos Rodríguez kreiste. Genug Zeit zum Grübeln hatte er ja. Vor ihm fuhr der Rennfahrer Carlos Sainz junior und hinter ihm: niemand. Es lief zwar erst die 14. Runde des Grand Prix' in Mexiko, aber wenn niemand hinter einem fährt, dann ist das eine sehr schlechte Nachricht in der Formel 1, das gilt sogar für Lewis Hamilton. Denn dann ist man Letzter. Hamilton wird die Situation in diesem Moment vielleicht sogar ein bisschen lustig gefunden haben. Er ahnte ja, dass er trotzdem Weltmeister werden würde. Denn Sebastian Vettel, sein einziger verbliebener Konkurrent, fuhr nur drei Positionen vor ihm, nachdem beide zugleich Opfer eines wilden Startcrashs geworden waren. Hamilton wusste: Vettel musste Zweiter werden, um Hamiltons abermaligen Weltmeistertitel noch zu verhindern. Gut möglich also, dass der letztplatzierte Hamilton auf dem Weg zu seinem vierten Titel an einen Abend im vergangenen Dezember in der Küche seines Chefs Toto Wolff dachte und grinste.

Zwei Männer redeten damals ein bisschen miteinander. Und dann kam sicher nicht nur ein vorzüglicher Wiener Tafelspitz mit Erdäpfelschmarrn auf den Tisch, sondern die ganzen Befindlichkeiten des zurückliegenden Jahres. Der Neid und die Missgunst im Team von Mercedes. Man darf davon ausgehen, dass der Österreicher Toto Wolff eine tolle Küche mit viel technischem Schnickschnack besitzt, aber die dort geführte Diskussion mit seinem Angestellten war keine Plauderei.

Hamilton, Weltmeister der Jahre 2008, 2014 und 2015 war ja im letzten Saisonrennen absichtlich langsam gefahren, um zu verhindern, dass sein Teamkollege Nico Rosberg Weltmeister werden würde. Vergeblich. Wolff war selbstredend trotzdem noch mächtig sauer auf Hamilton. An diesem Abend in Wolffs Küche, zwei Wochen vor Heiligabend, unterschrieben der Österreicher und der Engländer keine Vertragsauflösung. Sie schlossen einen Pakt. Sie hätten ein "fantastisches Meeting" gehabt, erzählte Wolff. Und Hamilton sagte: "Wir wollten euch wissen lassen, dass wir nächstes Jahr weiter die stärkste Partnerschaft haben werden." Was man so sagt. Und doch legten Wolff und Hamilton die Basis für eine sensationelle Saison, die von Beginn unter der Hypothek litt, dass dem Team mitten in der Vorbereitung der für die Entwicklung des neuen Autos nicht unwichtige Weltmeister Rosberg entlaufen war.

Es muss diese Saison mit Ausnahme des Rennens in Mexiko ein wunderbares Gefühl gewesen sein, Lewis Hamilton zu sein. Einfach mal schön rollen lassen. Auch wenn der Konkurrent Vettel, ebenfalls viermaliger Weltmeister und deshalb bis Sonntag in den Geschichtsbüchern eine Zeile weiter oben notiert als Hamilton, lange vorne lag in der Gesamtwertung. Auch wenn Vettel nach seinem Wutrempler beim Rennen in Baku tatsächlich ungestraft blieb und keinen Punktabzug erleiden musste. Die ganze Zeit blieb Hamilton: recht lässig.

Streiten kann man sich, welches Ereignis die Wende brachte in diesem Duell mit Vettel, der ja vor allem von der maroden Technik in seinem Ferrari ausgebremst wurde. War es Hamiltons fast irrwitzige Dominanz in Silverstone? War es das Rennen in Ungarn, als sich Hamilton kurz vor der Sommerpause noch den Luxus erlaubte, seinen zuvor per Stallorder ausgebremsten Teamkollegen Bottas vor der Ziellinie passieren zu lassen? Oder war es der eine Anlass, bei dem Hamilton für einen Moment nicht mehr ganz so lässig war? Als er beim Rennen in Monza, dem Heimspiel der Scuderia, eine leicht arrogante Show aufführte und erzählte, mittlerweile würde ihn die Hälfte der Tifosi fragen, wann er denn zu Ferrari wechsle?

Vettel gelingt ein schönes Schlusswort

Die ironischste Pointe hatte sich diese Saison für Mexiko aufgespart. Hamilton startete ausnahmsweise von Platz drei. Ganz vorne parkte Vettel, den die technischen Defekte diesmal ausnahmsweise schon im Training heimgesucht hatten und nicht erst im Rennen. Am Freitag war dann aber der Feuerlöscher (!) in seinem Ferrari losgegangen, der blöderweise unter dem Sitz montiert ist. Vettel spürte Flüssigkeit unter seinem Po, die er zunächst für Säure hielt. Ätzendes Gefühl sicher. Nachdem er am Samstag im Qualifying die Bestzeit vorgelegt hatte, freute er sich über "eine andere Explosion im Cockpit" - jenen Moment, als er von seiner erst vierten Pole Position in dieser Saison erfuhr.

Und dann ging es um die zweite Kurve in Mexiko. Erinnerungen wurden geweckt an den Start-Crash von Singapur. Diesmal waren gleich vier Fahrer involviert: Vettel kam nicht schnell genug los, gemeinsam mit dem zweitplatzierten Max Verstappen und Hamilton fuhr er auf die erste Kurve zu. Verstappen presste sich auf der Außenseite vorbei, berührte Vettels Ferrari. Hamilton versuchte, die Gelegenheit auszunutzen, zog seinerseits an Vettel vorbei. Vor Kurve drei kam es zur Kollision: Vettel schlitzte Hamilton den rechten Hinterreifen auf, verlor aber seinen Frontflügel. Beide mussten an die Box. Plötzlich war Hamilton Letzter und Vettel Vorletzter - und schuldig war: eigentlich niemand.

Allerdings war der Ferrari wohl weniger stark beeinträchtigt als Hamiltons Auto. Nach 25 von 71 Runden war Vettel Elfter. Hamilton blieb lange Zeit hinten. Nach 31 Runden war er 16. und durchlitt eine weitere Grenzerfahrung. Max Verstappen, der spätere Sieger, überrundete ihn, den späteren Weltmeister. Vettel kämpfte sich vorbei an Sergio Perez, vorbei an Esteban Ocon, 20 Runden vor Schluss war er Sechster, dann fuhr er vor auf Rang vier, lag hinter seinem Kollegen Räikkönen, aber dieses Rennen generierte nur noch Spannung bei Freunden der unnötigen Arithmetik. Weil Vettel an Bottas, den Zweitplatzierten, nie näher heranrückte als 40 Sekunden.

Da Hamilton noch Neunter wurde, hätte Vettel sogar gewinnen müssen.

Immerhin gelang Vettel noch ein schönes Schlusswort, das, wenn man so wollte, die ganze Misere beim so stolzen italienischen Rennstall in dieser Saison kommentierte. Der Kommandostand der Scuderia informierte Vettel, dass sein Rückstand auf Räikkönen noch immer 23 Sekunden betrage. Und Vettel sagte: "Mamma Mia!"

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