Motorsport:Der "Halo" entzweit die Formel 1

F1 Testing at Silverstone

Gar nicht so einfach rauszuschauen: Pierre Gasly testet in Silverstone den Schutzschild Halo, der ab 2018 Pflicht sein wird - und für Diskussionen sorgt.

(Foto: Mark Thompson/Getty Images)
  • Der lange diskutierte und umstrittene Cockpitschutz Halo wird ab der Saison 2018 in der Formel 1 eingeführt.
  • Doch neun von zehn Teams wollen den Schild nicht. Es geht um die Ästhetik und um den Gedanken, dass Halo im Falle eines Fahrzeugbrandes den Piloten ihren Ausstieg erschweren könnte.
  • Wenn es nach dem Dachverband FIA geht, dann soll die Überlebenschance der Fahrer dank Halo ab 2018 um 17 Prozent steigen.

Von Philipp Schneider

In ihrem Kern ist die Formel 1 nicht anders organisiert als ein Kreisverwaltungsreferat. Es gibt lange Flure und viele Türen und hinter ihnen sitzen Sachbearbeiter, die komplizierte Fälle zu beackern haben, die zum nächsten Kollegen weitergereicht werden. Die genauen Abläufe sind nicht sehr transparent, für den Außenstehenden oft nicht nachzuvollziehen, aber wen stört das schon, wenn er irgendwann den dringend benötigten provisorischen Reisepass ausgehändigt bekommt?

In der Formel 1 gibt es für die wichtigsten Themen Arbeitsgruppen, die ihre Ideen an eine sogenannte Strategiegruppe weiterreichen. Diese besteht aus Vertretern von sechs Rennställen (derzeit Mercedes, Ferrari, McLaren, Red Bull, Williams und Force India), des Dachverbands FIA sowie der Formula One Group, die für die kommerzielle Verwertung der Formel 1 verantwortlich ist und seit diesem Jahr in Händen des Unterhaltungskonzerns Liberty Media ist. Die anderen Teams sitzen am Tisch, dürfen aber nicht abstimmen.

Die Strategiegruppe entscheidet mehrheitlich und gibt dann ihren Beschluss an die Formel-1-Kommission weiter, die den Vorschlag entweder durchwinkt oder ablehnt. Am Mittwochabend hat die Strategiegruppe getagt und im Anschluss wurde eine folgenschwere Entscheidung verkündet: Der lange diskutierte und umstrittene Cockpitschutz Halo wird ab der Saison 2018 eingeführt. Der neue Schild umfasst eine Reling aus Titan, die seitlich am Kopf des Piloten nach vorne geführt wird und in der Mitte von einer Hauptstrebe gestützt wird. Die FIA berief sich in ihrer Mitteilung nicht auf einen aktuellen Beschluss, sondern auf den aus dem Vorjahr. Klar, es hatte am Mittwoch keine Mehrheit gegeben.

2009 kam eine Sicherheitsdebatte in Gang

Bereits am Abend sickerte durch, dass neun von zehn Teams den Schild noch immer nicht haben wollen. FIA-Präsident Jean Todt soll das System aber mit seinem Sonderrecht bei "sicherheitsrelevanten Änderungen" durchgedrückt haben. Und so hieß es: "Nach der einstimmigen Zustimmung der Strategiegruppe im Juli 2016 zur Einführung eines zusätzlichen Frontschutzes für die Formel 1 und der wiederholten Unterstützung durch die Fahrer, bestätigt die FIA die Einführung des Halo für 2018."

Nachdem in den vergangenen fünf Jahren "eine Vielzahl von Geräten entwickelt und ausgewertet" worden ist, sei nun klar, dass Halo "die beste Gesamtsicherheit bietet". In der Tat wurden verschiedene System getestet, um den Kopf der Fahrer vor fliegenden Teilen zu schützen. Die Einführung von Halo ist die Konsequenz einer Sicherheitsdebatte, die 2009 in Gang geraten ist und die von vier Unfällen befeuert wurde.

Vor acht Jahren verunglückte Felipe Massa in seinem Ferrari, als in Ungarn eine Metallfeder bei voller Fahrt an seinen Helm krachte. Er zog sich schwere Kopfverletzungen zu und lag einige Zeit im Koma. Im gleichen Jahr verstarb der Formel-2-Pilot Henry Surtees nach einem Unfall in Brands Hatch. Ein Hinterrad hatte sich an einem Wagen vor ihm gelöst, war über die Strecke gehüpft und dann an den Helm von Surtees, der das Bewusstsein verlor und in die Leitplanke fuhr. 2014 in Japan krachte Jules Bianchi in einen Bergungskran und erlag später seinen Kopfverletzungen. Und in der verwandten IndyCar-Serie in den USA verstarb 2015 Justin Wilson, nachdem ihm ein Teil einer Fahrzeugnase gegen den Helm gesegelt war.

Eine Studie besagt: Halo erhöht die Überlebenschance um 17 Prozent

Eine Feder, ein Reifen, ein Kran, eine Nase: Die Summe an Teilen, die einem Rennfahrer im offenen Cockpit begegnen kann, ist beachtlich. Wenn es nach der FIA geht, dann soll die Überlebenschance der Fahrer dank Halo ab 2018 um 17 Prozent steigen. Das geht aus einer Studie hervor, die die FIA öffentlich gemacht hat. Und seither gab es eigentlich auch kein Weg mehr zurück. Denn sollte es künftig einen Unfall mit Kopfverletzung geben an einem Formel-1-Wagen ohne Halo, dann könnte dem Verband eine Klage drohen, weil sich der Kläger auf die Dokumentation berufen kann, die die FIA selbst freigegeben hat.

"Es kann hässlich sein, aber nichts rechtfertigt es, dass die beiden Männer nicht mehr bei uns sind", hat Sebastian Vettel in Anspielung auf Surtees und Wilson gesagt, nachdem er Halo im April 2016 testen musste. Selbst Lewis Hamilton, aus ästhetischen Erwägungen lange Zeit ein Gegner des Sicherheitsbügels, lenkte kürzlich erstmals ein: "Der Halo erhöht die Überlebenschance um 17 Prozent. Das können wir nicht ignorieren." Der Gedanke, dass Halo im Falle eines Fahrzeugbrandes den Piloten ihren Ausstieg erschweren könnte, ist in dieser Rechnung aber nicht enthalten.

Was wäre die Alternative gewesen? Ein geschlossenes Cockpit beispielsweise, das beim IndyCar immer mal wieder im Gespräch ist. Oder das sogenannte Shield, einer Schutzscheibe, die Sebastian Vettel zuletzt beim England-Grand-Prix getestet, dann aber über schlechte Sicht geklagt hatte. Die FIA hat zumindest versprochen, am Design des Halo zu arbeiten. Und zeitgleich soll der Shield weiter verbessert werden, um die Scheibe möglicherweise 2019 zum Halo-Nachfolger zu machen.

Einen Rennwagen für echte Kerle stellt man sich natürlich anders vor. Steve McQueen wäre nicht eingestiegen in einen Ferrari mit Überrollbügel. Allein schon, weil der auch die Armfreiheit beim Abaschen einer Zigarette einschränkt. Andererseits ist McQueen schon vor 37 Jahren verstorben. Und die Formel 1 geht nun mit der Zeit.

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