Formel 1:Die neue Wichtigkeit des Nico Rosberg

F1 Grand Prix of Japan

Nico Rosberg

(Foto: Getty Images)

Mit einer neuen Härte fährt Nico Rosberg seinem ersten WM-Triumph in der Formel 1 entgegen. Sein Leitspruch: "Man kann sich aussuchen, was man denkt."

Von Elmar Brümmer, Austin

In Nico Rosbergs Augen blitzt Furcht auf. Er streckt seine Hand wie ein Ertrinkender aus. Es ist die blanke Angst, zu fallen. Höhenflüge in der Formel 1 bringen das so mit sich: Nachdem der Mercedes-Fahrer aus dem Cockpit klettert, läuft er auf seine Mechaniker in der Boxengasse zu, häufig heben ihn die starken Männer hoch, wirbeln ihn durch die Luft, reichen ihn über ihren Köpfen weiter wie einen Rockstar beim Konzert.

Neun Siege in dieser Saison, da müsste das Bad in der Menge mit dem geringen Absturzrisiko doch Routine werden. Zumal bei 33 Punkten Vorsprung auf seinen Teamkollegen Lewis Hamilton und nur noch vier ausstehenden Rennen die Große-Preis-Frage auch an diesem Wochenende in Texas nur die ist: Kann Nico Rosberg den Titel noch verlieren? Selbst diese Frage kann den WM-Führenden erschrecken: Er will den Titel doch zum ersten Mal überhaupt gewinnen.

Der Nico Rosberg, der am Circuit of the Americas mit fester Stimme erklärt, dass er jeglichen Gedanken an den scheinbar so nahen Triumph aus dem Gedächtnis verbannt, hat nichts mehr mit dem Rosberg zu tun, der nach dem vorzeitig verlorenen Titelrennen 2015 gegen Lewis Hamilton die Kappe durch den Raum hinter dem Siegerpodium pfefferte. Schon im vorigen Jahr hatte sich der 31-Jährige akribisch vorbereitet, immer noch mehr Aufwand in die Technik, die Fitness, die PR-Auftritte gesteckt. Er wollte den ganz großen Erfolg erzwingen, und er machte den Fehler, dass er seine Taktik schon früh im Jahr verriet.

Das kam Lewis Hamilton gelegen, der zwar nicht minder ehrgeizig ist, das aber verbergen und als Lässigkeit erscheinen lassen kann. Zudem diente Rosbergs Eifer Hamilton als weitere Motivation; der Brite war für den Wiesbadener einfach nicht greifbar, obwohl er doch so nah dran war.

Zu Beginn dieser Saison und jetzt wieder am Ende stellt sich das Bild umgekehrt dar. Nico Rosberg gibt sich selbstsicher: "Ich denke nicht daran, dass mir zweite Plätze reichen könnten, ich bin hier, um zu gewinnen. Mit dem Auto, das ich habe, kann ich Lewis auf jeder Strecke schlagen."

Rosberg vermeidet das Wort "Titel", er setzt auf autogenes Training: "Man kann sich aussuchen, was man denkt." Die für das Auditorium langsam langweilige Kurzzeit-Denke hilft ihm, sich zu fokussieren, und das macht ihn zugleich so schwer greifbar für den Gegner. Kleiner Seitenhieb auf den Konkurrenten diesmal inklusive: "Ich weiß nicht, wie sehr sich Lewis unter Druck setzt . . ." Das Grinsen dabei ist kaum versteckt. Es ist der stärkste Rosberg, den Toto Wolff und Niki Lauda, die Weltmeistermacher von Mercedes, je erlebt haben.

"Das Zeug zum Weltmeister musst du in dir tragen"

Sicher, die komfortable Tabellenposition ist begünstigt durch die technischen Pannen, die immer nur den Silberpfeil von Titelverteidiger Hamilton trafen. Der hat vor dem Großen Preis der USA schon vorsorglich darüber gesprochen, wie es werden würde, sollte er endgültig gegen Rosberg verlieren: "Das ist Teil des Spiels. Ich glaube immer noch, dass alles möglich ist. Aber wenn es sich gegen mich entscheiden sollte, werde ich es nehmen wie ein Mann. Das einzige, was ich dann tun kann, ist mich um die Zukunft zu kümmern und hoffentlich stärker zurückzukommen."

Noch nie zuvor hat er gegen einen Teamkollegen einen Titel verloren. "Ich habe noch nicht daran gedacht, dass ich verlieren kann", trompetet Rosberg, "das wären mir definitiv zu negative Gedanken. Die würden mich sicher nicht schneller machen."

In diesem Jahr steckt auch etwas in Rosberg, was man nicht mit der aufgestauten Wut der letzten Jahre, der Wartezeit seit 2010 erklären kann. Der dreimalige Champion Jackie Stewart sagt darüber: "Das Zeug zum Weltmeister musst du in dir tragen." Hamilton, der Intuitiv-Rennfahrer, braucht nur eine Initialzündung, um seine Leistungsgrenze hinauszuschieben. Rosberg, der Stratege hinterm Steuer, erarbeitet sich die Dinge über Perfektionismus. Als würde er einen Fahrschul-Fragebogen abhaken, fuhr er in dieser Saison Siege ein auf Strecken, auf denen er nie zuvor gewonnen hatte, darunter in Spa, Monza, Singapur und Suzuka. Pisten, wo die Siege in der Regel den Champions vorbehalten sind.

Die fahrerische Stärke kommt auch in den Qualifikationsrunden zum Ausdruck, seiner alten Stärke - zu der er aber nach der weitgehenden Chancenlosigkeit von 2015 zurückfinden musste. Als ob er den Zweifler in sich besiegt hat. Inzwischen hat er mehrmals bewiesen, nach Rückschlägen stärker zurückzukommen - was früher als Hamilton-Tugend galt.

Auch die Ruppigkeit, mit der sich Hamilton im vorigen Jahr in Austin schon in der ersten Kurve zum späteren Titelgewinn rempelte, hat sich Rosberg angeeignet - und damit jenem Vorwurf entgegengesteuert, er sei zu weich. Eine Handvoll Manöver aus dieser Saison beweisen das, der große Crash der Mercedes-Piloten von Barcelona inklusive. Der muss indes der letzte dieser Art bleiben, sonst werden die Freifahrscheine für die Rivalen ungültig. Emanzipation auf die harte Tour, das war der große Überraschungsangriff, auf den auch Hamilton nicht vorbereitet war.

Geblieben ist die Akribie, Rosberg hat beim ehemaligen Kollegen Michael Schumacher die optimale Fahrzeugeinstellung studiert. Auch über das komplizierte Startsystem von Mercedes hat er sich lange mit den Ingenieuren ausgetauscht. Er definiert das im Erfolgsfall für sich: "Der Fahrer ist noch bedeutender geworden." Die neue Wichtigkeit des Nico Rosberg. Insgesamt mache er ja nichts anders als im vergangenen Jahr. Außer vielleicht, den Titel zu holen.

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