Formel 1:Die Jagd auf Fangio

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Sebastian Vettel möchte seinen ersten WM-Titel für Ferrari gewinnen. (Foto: REUTERS)
  • Erstmals fahren in der Formel 1 zwei Fahrer mit vier WM-Titeln direkt gegeneinander um den Titel.
  • Lewis Hamilton und Sebastian Vettel wollen zu Juan Manuel Fangio bzw. dessen fünf WM-Titeln aufschließen.
  • Wie in der Vorsaison könnte es wieder ein enges Rennen zwischen Mercedes und Ferrari geben.

Von Philipp Schneider, Melbourne/München

Manchmal genügen wenige Bilder, um eine Geschichte auszuleuchten. Je logischer eine Geschichte gestrickt ist, je einfacher sie sich auf ihren Wesenskern reduzieren lässt, desto weniger Bilder sind nötig. Die Geschichte der Rivalität zwischen den Rennfahrern Lewis Hamilton und Sebastian Vettel, die Suche nach einer Antwort auf die Frage, was in diesem Jahr auf dem Spiel steht für sie, diese Geschichte benötigt genau zwei Bilder.

Das erste Bild erinnert an den Film "Ben Hur". Zwei Männer jagen einander in ihren rasenden Gefährten, Rad an Rad, sie kommen sich nahe, gefährlich nahe, der Schnellere demütigt den Langsameren, auch wenn das anschließend keiner so sagen wird. Vettel und Hamilton stehen selbstredend nicht in Streitwägen, sie sitzen in ihren Dienstwagen von Ferrari und Mercedes, doch als der Brite im vergangenen Mai in der 44. von 66 Runden auf dem Circuit de Catalunya bei Barcelona am Deutschen mühelos vorbei zu fliegen schien, da wird Vettel einen stechenden Schmerz empfunden haben, als habe ihn Hamilton von einem mit einem Pferd mehr bespannten Streitwagen herab mit seiner Peitsche getroffen (wovor ja der ab dieser Saison obligatorische Kopfschutz "Halo" möglicherweise schützen würde).

"Ich hab' dir Platz gelassen", sagte Hamilton anschließend zu der Szene, in der Vettel erstmals gedämmert war, wie viel Kraft im Auto seines Rivalen steckte. "Ich dir auch", konterte er mit der Tapferkeit desjenigen, der in den Humor flieht, um einen Hauch Würde zu wahren. Worauf Hamilton mit einem schrägen Lächeln erwiderte: "Eigentlich nicht, nein, Mann."

Das war der nächste Peitschenhieb. Und dann ließ Hamilton eine Botschaft folgen, die klar machte, wie ernst es ihm bei der Jagd nach seiner vierten Weltmeisterschaft war. "Wären wir zusammengerasselt, ich wäre rausgeflogen, er hätte gewonnen, dann würde ich nicht sagen: toller Job, Seb!" Sie rasselten erst drei Rennen später zusammen, in Baku, Aserbaidschan. Aber schon nach dem Wagenrennen von Barcelona überschlugen sich weltweit die Formel-1-Beobachter. Endlich hatte die dröge Mercedes-Dominanz der Jahre zuvor ein Ende! Endlich duellierten sich mal wieder die Fahrer aus zwei Teams um die Weltmeisterschaft! "Wie Federer gegen Djokovic" sei Vettel gegen Hamilton, frohlockte Hamilton. Jaja, so war das tatsächlich. Bis der Defekt einer Zündkerze in Suzuka Vettel seine letzte Chance auf die Weltmeisterschaft raubte. Aber Vettel und die Zündkerze, das ist ein tristes Bild, das nicht einmal Hamilton gerne in Erinnerung behalten möchte.

Das zweite wichtige Bild, das man kennen muss von Vettel und Hamilton, spielt also kurz nach Barcelona in Baku. Es erinnert nicht an "Ben Hur", sondern an "Falling Down", jenen Spielfilm aus den Neunzigern, in dem Michael Douglas mit seinem Auto zu lang im alltäglichen Stau steht, irgendwann ausrastet und daraufhin seinen Mitmenschen, sagen wir, leicht verhaltensauffällig auf die Nerven geht.

Beim Rennen in Aserbaidschan steckte Vettel im für Rennfahrer alltäglichen Stau, der in der Formel 1 von einem Safety Car verursacht wird. Mit zwölf Punkten führte er die Gesamtwertung zu diesem Zeitpunkt noch an. Und nun das: Vor ihm fuhr Hamilton - aus Vettels Sicht viel zu langsam hinter dem ohnehin schon sehr langsamen offiziellen Bremsfahrzeug.

Gedanken kreisten in Vettels Kopf: Hatte Hamilton zusätzlich gebremst? Hatte er ihn absichtlich auffahren lassen wollen?

Vettel will auch als derjenige in Erinnerung bleiben, der Ferrari den ersten Titel seit 2007 holt

Vettel rollte seinen Wagen neben den von Hamilton, streckte seine Fäuste in die Luft und machte dem Fahrer deutlich, was er von solcherlei unsportlichen Vorgängen (die er anschließend nie belegen konnte) hält. Dann lenkte er seinen Ferrari seitlich in den Mercedes, die Vorderräder touchierten sich, der rote Wagen hob leicht ab. Diese unsportliche Szene hatte für Vettel einen Zehn-Sekunden Strafaufenthalt an der Box zur Folge. Vor allem aber verriet sie viel über die Gefühlslage des Deutschen, der in Baku sicher auch deshalb die Contenance verlor, weil er in seiner dritten Saison bei Ferrari um den Gewinn seiner ersten WM für die Scuderia fürchtete. Am Ende der Saison sprach Ferrari-Boss Sergio Marchionne ein düsteres Urteil über die verpasste Weltmeisterschaft seines rasantesten Angestellten, der auch nach dem Start des Rennens in Singapur bei einem überaus seltsamen Manöver einen Crash mitverursacht hatte: "Es war eine Kombination, vor allem in der zweiten Saisonhälfte, aus technischen Problemen und Fahrfehlern, oder genauer gesagt: Fahrer-Fehleinschätzungen."

Barcelona und Baku: Das erste Bild zeigt, was möglich wäre in der Formel 1, sollten sich Hamilton und Vettel tatsächlich mal bis zum Ende der Saison duellieren. Das zweite Bild zeigt, wie viel vor allem für Vettel auf dem Spiel steht in der am kommenden Sonntag mit dem Rennen in Melbourne beginnenden neuen Saison. Noch mehr als im Vorjahr.

Für Vettel, 30 Jahre alt, geht es schon um sein Vermächtnis. Und um die Frage, ob er als etwas Größeres in Erinnerung bleiben wird als bloß ein überaus erfolgreicher Brauselimonadenpilot, der in seiner imposanten Zeit von 2009 bis 2014 bei Red Bull 38 Siege und vier WM-Titel in Serie herausfuhr. Vettel will ja mindestens in Erinnerung bleiben als fünfmaliger Weltmeister. Als derjenige, der der Scuderia den ersten Titel seit 2007 erstreitet; am liebsten würde er den Italienern eine Sammlung beschaffen wie Michael Schumacher, der fünf Jahre nacheinander Trophäen nach Maranello schickte.

Wie sehr sich der Rennstall nach dem Glanz vergangener Tage sehnt, zeigt auch eine umstrittene Personalie mit dem Ruch des Geheimnisverrats, die Marchionne in dieser Woche durchgedrückt hat. Er hat Laurent Mekies vom Automobil-Weltverband Fia verpflichtet. Mekies war bislang stellvertretender Rennleiter, er kennt sich bestens aus in der gesamten Formel 1, auch bei Ferraris Konkurrenten. Aufnehmen wird er seinen Dienst nach einer obligatorischen Arbeitssperre im September. Zum ersten Mal in der Geschichte der Formel 1 fahren in diesem Jahr zwei viermalige Weltmeister gegeneinander. Als Schumacher gegen Vettel fuhr, hatte letzterer erst zwei Titel. Und Alain Prost fuhr nie gegen Juan Manuel Fangio.

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Von Philipp Schneider

Wer schließt auf zu Fangio? Das ist die Überschrift, unter der sich unweigerlich alle Piloten versammeln werden in diesem Jahr. Kaum auszudenken, sollte der talentierte Max Verstappen in seinem Red Bull die exklusive Party von Vettel und Hamilton derart stürmen, dass Ende des Jahres noch immer kein weiterer Fahrer gleichgezogen hat mit dem Argentinier, dem zweiterfolgreichsten Piloten nach Schumacher.

© SZ vom 17.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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