Formel 1:Der Held, an dem nun alles hängt

Michael Schumacher bleibt das Maß aller Dinge in einem fragil gewordenen Milliardenspiel.

Bemerkenswert gefasst hat Michael Schumacher gewirkt, als er Einzug in die Sporthistorie hielt. Weil sein Teamkollege Rubens Barrichello den Großen Preis von Japan vor McLaren-Pilot Kimi Räikkönen gewann und Schumacher selbst Achter wurde, führt er die Formel-1-Tabelle auch zum Ende der Saison 2003 an. Mit zwei Punkten Vorsprung. Zum sechsten Mal. Ein Kunststück, das vor ihm niemandem gelang.

Viel ist an der Rennstrecke von Suzuka deshalb von nationalen Sportheroen wie Max Schmeling und Boris Becker die Rede gewesen, von internationalen Größen wie Muhammad Ali und Pele, davon, dass Schumacher nun als "lebende Legende" gelten müsse. Michael Schumacher hat sich all das freundlich angehört, aber zustimmen wollte er nicht. Gerührt, aber keineswegs überwältig nahm er die Glückwünsche entgegen, wirkte vielmehr erschöpft als euphorisch.

Eine wilde, turbulente, verrückte Hatz ist diese letzte Rundfahrt durch einen Vergnügungspark auf der Insel Honshu gewesen. Schumacher brauchte lediglich noch einen WM-Punkt, um sich den historischen Titel zu sichern. Einen einzigen Punkt - wie lächerlich wenig das doch ist für einen, der in seiner Karriere schon 1037 Zähler geholt hat. Michael Schumacher war schon vor dem Rennen klar: Ein Scheitern hätte tragische Dimensionen.

Vielleicht wirkte er vor dem Start deshalb ungewohnt angespannt. In den vergangenen sieben Monaten hatte er in vielen schwierigen Situation ein gelassenes Lächeln gezeigt: nach den drei Fahrfehlern in den ersten drei Rennen, nach dem Brand beim Tankstopp in Österreich, nach der Überrundung in Ungarn. Vor dem Start in Suzuka zeigte er Nerven: Dünnhäutig und schmallippig stieg er ins Auto, und entsprechend ungestüm fuhr er auch los. Nach sieben Umläufen sah er eine Überholmöglichkeit, wo es keine gab. Sein Frontflügel zerbarst in hundert Teile, als er Takuma Satos' Hinterreifen touchierte. Schumacher fiel auf den letzten Platz zurück, musste sich mühsam wieder durchs Feld kämpfen. Bei der Aufholjagd geriet er zweimal mit seinem Bruder aneinander. 1:25:11,740 Stunden Hoffen und Bangen.

Erst als Teamkollege Rubens Barrichello als Erster über die Ziellinie brauste, herrschte Gewissheit. Jubel brach los. In der Ferrari-Box. In Kerpen. In Maranello. 2000 Fans tanzten in Schumachers Heimatort, etwa zehnmal so viele vor dem Ferrari-Firmensitz. Auf Großbildleinwänden konnten sie verfolgen, wie Rubens Barrichello seinen siebten Grand-Prix-Erfolg feierte, als habe er gerade die größte Trophäe überhaupt gewonnen, und wie Michael Schumacher sich wacker mühte, in der Stunde seines sechsten Erfolges das Team in den Vordergrund zu rücken. Fünfmal hintereinander habe man nun zusammen die Konstrukteurswertung gewonnen. "Das hat noch keiner geschafft", lobte Schumacher - offenbar gewillt, der eigenen Einmaligkeit etwas gegenüberzustellen.

Inzwischen absolviert er auch Momente der Würdigung souverän, in denen es ihm früher die Sprache verschlug, Momente, in denen er Tränen vergoss oder sich krampfhaft mühte, die Emotionen zu verbergen. Dieser sechste Triumph bringt nun das Bild eines sicher in sich ruhenden 34-Jährigen hervor, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass er seinen sportlichen Zenit möglicherweise schon überschritten hat. Gemessen an den eigenen Standards, leistete sich Michael Schumacher in diesem Jahr außergewöhnlich viele Fehler. Die jüngeren Herausforderer - Kimi Räikkönen ist 23, Fernando Alonso 22, Juan Pablo Montoya 28 - kamen ihm schon ziemlich nahe. Noch konnte er die Jäger knapp auf Distanz halten. Die Gegenwart trägt den Namen Michael Schumacher. Welchen trägt die Zukunft?

Im kommenden Jahr wird Michael Schumacher der einzige Weltmeister im Formel-1-Starterfeld sein. Dass er aufhört, wünscht sich - von den entnervten Konkurrenten einmal abgesehen - trotzdem niemand. Die Branche braucht ihren Star. Gerade jetzt, da die Sponsoren nicht mehr so bereitwillig ihr Geld an der Rennstrecke abliefern wie in der Börsen-Hausse und die Einschaltquoten bröckeln. Obwohl die Saison so kurios und spannend wie selten verlief, erzielte RTL vor dem letzten Rennen im Schnitt eine schlechtere Quote als im Jahr 2000, als Schumacher zum ersten Mal mit einem roten Auto siegte. Steigt er aus, droht der Formel 1 auf einem der wichtigsten Automärkte ein jäher Absturz. Eine Entwicklung, die alle Beteiligten am Milliardenspiel fürchten. Diese Angst schwingt mit, wenn die Konkurrenten von Mercedes bis Toyota nun artig gratulieren. Natürlich will am liebsten jeder selbst gewinnen, doch ohne den bisher übermächtigen Gegner verlöre das Spiel doch arg an Reiz.

In einer Zeit, in der die Autoindustrie die Konjunktur maßgeblich stützt, ist der einstige KfZ-Mechaniker zu einem echten Konjunkturfaktor geworden. Als er mit 18 aus der Kartbahn in Kerpen loszog, die Rennstrecken der Welt zu erobern, musste sich Michael Schumacher oft fragen lassen: Haben Sie kein schlechtes Gewissen, die Natur zu verpesten? An diesem Sonntag empfing er ein Fax von Bundeskanzler Gerhard Schröder und eines von Bundespräsident Johannes Rau. Gut gemacht!, fanden die beiden.

René Hofmann

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