Formel 1:Bei Mercedes knirscht es gewaltig

F1 Grand Prix of Mexico

Feiern darf Nico Rosberg mit einem Sombrero im Konfetti-Regen.

(Foto: Clive Mason/Getty)

Von Elmar Brümmer, Mexiko-Stadt

Alles nur eine Verständnisfrage: Wenn sich ein Rennfahrer einer eindeutigen Anordnung über den Funk widersetzt, dann hat er diese vielleicht nicht verstanden. In diesem Fall aber will er sie nicht verstehen. Besser gesagt: Ihm fehlt komplett das Verständnis für die Anweisung. Nach dem Großen Preis von Mexiko versucht Lewis Hamilton, sich den Ärger über den an seinen Rivalen Nico Rosberg verlorenen Formel-1-Sieg nicht anmerken zu lassen. Aber die Körper- sprache verrät seinen Ärger.

Hamiltons Lächeln ist breit, aber falsch, seine Lippen sind zusammengekniffen. Er trommelt mit den Fingern auf dem Tisch, kaut an den Nägeln. Das kann nicht allein daran liegen, dass ihm sein deutscher Gegen- spieler bei der entscheidenden Szene in Kurve eins des Autódromo Hermanos Rodríguez diesmal keine Chance ließ.

Wie es um das Gefühlsleben des Weltmeisters bestellt ist, wird eher aus dem Dialogen zwischen der 48. und 50. Runde des drittletzten WM-Laufs ersichtlich. Rosberg hatte als Führender die Wahl, seinen Boxenstopp zu bestimmen. Eine Runde später, so will es plötzlich die um Chancengleichheit bemühte Teamstrategie, soll Hamilton folgen: "Plan B, Lewis", bekommt er am Funk zu hören. Damit hätte der jetzt in Führung liegende Brite aber keine Möglichkeit, das Rennen doch noch für sich zu entscheiden. Hamilton ignoriert den Befehl, verdutzt und untätig stehen die Mercedes-Mechaniker in der Box.

Befehlsverweigerung: Das würden sie wohl selbst Hamilton nicht einfach durchgehen lassen

"Kann ich fragen warum", kommt es aus dem Cockpit. "Deine Reifen sind runtergefahren bis auf die Leinwand", entgegnet der Ingenieur, "es geht um deine Sicherheit. Komm sofort rein!" Hamilton trotzt: "Ihr solltet Nicos Reifen checken, meine fühlen sich gut an. Das kann nicht sein." Doch die Schärfe im Tonfall signalisiert dem Briten, dass er besser folgt. Befehlsverweigerung würde man selbst ihm nicht so einfach durchgehen lassen. Hamilton stoppt schließlich doch. Anschließend aber schiebt er am Funk nach: "Guckt euch die Reifen noch mal genau an . . . !"

Hamilton ist sicher, dass seine Siegchance so verspielt wurde. Einige Konkurrenten spulten mehr als doppelt so viele Runden mit den weichen Pneus ab wie er. Und selbst wenn die optimistische Einstopp-Strategie nicht aufgegangen wäre - wenig später hätte ihm eine Safety-Car-Phase die Möglichkeit zu einem Reifenwechsel ohne Zeitverlust gegeben.

Die verbale Kraftprobe aktivierte umgehend die Verschwörungstheoretiker im Fahrerlager: Das Team habe Rosberg zum Ausgleich für Hamiltons jüngste Gnaden- losigkeiten bevorzugt, nachdem das Titelrennen gelaufen ist. Rosberg, der sich vor der großartigen Kulisse mit mehr als 100 000 Zuschauer "wie ein Rockstar" gefühlt hat, will an dem Tag der Genugtuung nicht über Hamilton reden. Obgleich ihm der zweite Platz in der Fahrerwertung, den er jetzt Sebastian Vettel wieder abgerungen hat, wenig bedeutet: "Meine Motivation ist es immer, den Kerl in der Garage nebenan zu schlagen."

Rosberg: "Ich brauchte keine Diskussionen"

Mercedes Formula One driver Nico Rosberg of Germany celebrates next to his teammate Lewis Hamilton of Britain after winning the Mexican F1 Grand Prix at Autodromo Hermanos Rodriguez in Mexico City

Freudensprung: Nico Rosberg glückt im Autódromo Hermanos Rodríguez in Mexiko-Stadt der erste Sieg nach mehr als vier Monaten.

(Foto: Edgard Garrido/Reuters)

In Brasilien (15. November) und in Abu Dhabi (29. November) will Rosberg seine Ausgangsposition für 2016 verbessern, Ego und Stellung aufwerten. Der Team- kollege ist für ihn ohnehin meist nur "der andere", der obligatorische Handschlag nach dem Rennen war kurz, kühl und mit abgewendetem Blick. Auch er habe sich über den Befehl zum zweiten Boxenstopp gewundert, sagt Rosberg. Gibt aber an: "Ich brauchte keine Diskussionen. Denn ich weiß, dass wir gleich behandelt werden."

Genau diese immer penibler gehandhabte Gleichmacherei zwischen den beiden ist die Crux für Mercedes. Deshalb hatte Hamiltons Guerillataktik auch keine Aussicht auf Erfolg. Sie könnte aber zum Problem werden, wenn es mehr gleichwertige Gegner gibt.

Teamchef Toto Wolff hatte nach der Ellbogenaktion Hamiltons in der ersten Kurve beim vorausgegangenen Rennen in Austin den von Nico Rosberg geforderten Runden Tisch verweigert und stattdessen beide Fahrer in Einzelgesprächen darauf eingeschworen, aggressiv, aber fair zu bleiben - und nicht wieder zu kollidieren. Ein frommer, kurzfristiger Wunsch.

"Es geht darum, das Gleichgewicht zu wahren", weiß Wolff, "die Kombination der beiden macht uns aus. Wir haben die Konstrukteurs-WM auch gewonnen, weil Nico so ein starker Gegner für Lewis ist." Im aktuellen Fall ist Wolffs Meinung klar: "Wir waren bei den weichen Reifen auf null Prozent und hatten 25 oder 27 Sekunden Vorsprung, genug also für einen Sicherheitsstopp. Lewis' Reifen waren die schlechteren. Es war überhaupt keine Taktik dabei."

Hamilton tat später vor den Kameras so, als könne er sich nicht mehr an die Funksprüche erinnern. In der offiziellen Teammitteilung bestritt er jegliche Stress- Situation: "Ich war nur nicht der gleichen Meinung, weil ich nicht sicher war." Niki Lauda entgegnete kompromisslos: "Wann gewechselt wird, wird vom Team entschieden. So gehört sich das."

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