Formel 1:Ausgebrannte Rivalen

Nach dem Debakel auf dem Nürburgring läuft bei Mercedes und BMW die Fahndung nach den Schuldigen

Von René Hofmann

Seine Hände verraten Mario Theissen. Mit durchgedrücktem Rücken steht der BMW-Sportchef vor dem Motorhome und spricht mit ruhiger Stimme sorgfältig gewählte Worte. Nein, Juan Pablo Montoya, der am Ende Platz acht belegte, trage keine Schuld an der Startkollision und dem frühen Ausscheiden seines Teamkollegen Ralf Schumacher.

Formel 1: Ungewohnter Zieleinlauf: Ralf Schumacher kam nach seinem Unfall mit dem Roller ins Ziel, und durfte nicht einmal selber fahren.

Ungewohnter Zieleinlauf: Ralf Schumacher kam nach seinem Unfall mit dem Roller ins Ziel, und durfte nicht einmal selber fahren.

(Foto: Foto: dpa)

"Die erste Kurve lädt zu solchen Situationen ein", sagt Theissen und weiter: "Uns fehlen derzeit drei Zehntelsekunden auf Renault und fünf Zehntel zu BAR." Wie er die finden will? "Den Hubraum", sagt Theissen, "werden wir nicht erhöhen." Der maximale Hubraum ist vorgeschrieben. Es soll ein Witz sein, und Theissen lächelt auch kurz, doch wie ihm tatsächlich zumute ist, erzählen seine Hände, die er vor der Gürtelschnalle zusammengesteckt hat.

Unablässig mahlen die zitternden Finger aneinander, greifen und kneifen sich. Theissen steht unter Druck wie ein Dampfkochtopf. Bei Norbert Haug ist es die Haut. Der Mercedes-Sportchef sieht blass aus, fahl. Im Zwielicht des frühen Abends wirkt er in seiner schwarzen Lederjacke vor den grauen Wänden seines mobilen Büros wie ein Schattenriss. Kein Fältchen gräbt sich in sein Gesicht, als seine Lippen versuchen, das Unerklärliche zu erklären. "Wir vermuten ein Kolben-Problem", sagt Haug tonlos.

Drei rauchende Mercedes-Motoren

Nachdem sich drei Mercedes-Motoren in Rauch auflösten, stehen Kimi Räikkönen und David Coulthard wieder ohne Punkte da. In der Konstrukteurswertung kommt das riesige Team gerade einmal auf halb so viele Zähler wie Sauber. Seit Menschengedenken ist McLaren nicht mehr so schlecht in eine Saison gestartet. Wann es besser wird? "Das braucht Zeit", sagt Haug.

Mit großen Schritten hatten er und Theissen in diesem Jahr den Rückstand zu Ferrari aufholen wollen. Der Williams trägt eine Nase, wie sie die Formel1 noch nicht gesehen hat, der McLaren eine Wespentaille. Doch Theissen und Haug haben sich offenbar zu viel vorgenommen, das Korsett zu eng geschnürt. Im Heck des McLaren ist kaum mehr Platz für einen Motor, und der Williams reckt seine Nase recht ungelenk in den Wind.

Um Boden gutzumachen, haben beide Parteien zuletzt die Entwicklung forciert. Der Williams bekommt ein neues weiß-blaues Kleid geschneidert, der Mercedes-Motor wurde drehfreudiger und sparsamer. Beständiger wurde er nicht. Zwischen 140 und 250 Kilometern brach am Wochenende jedes Mal das gleiche Teil: wahrscheinlich ein Kolben. Ohne Vorwarnung durch die Telemetrie mussten die Ingenieure sehen, wie ihre Konstruktion plötzlich Feuer spuckte und einen langen Rauchschweif hinter sich herzog.

Bricht ein Kolben, dauert es nur einen Wimpernschlag, bis Öl aus dem Aggregat auf den durchsichtig glühenden Auspuff schießt. Weil in der Formel 1 jedes Gramm zählt, hat jeder Bolide nur wenig Schmierstoff dabei. "Aber auch mit ein bisschen Öl lässt sich viel Rauch erzeugen", sagt Mario Illien. Seit zehn Jahren konstruiert der Schweizer für Mercedes Formel-1-Motoren. Der 54-jährige Techniker pflegt einen Fatalismus, den Haug und Theissen nicht teilen. Nicht teilen können.

Theissens schwere Stunden

Theissen redet in der schweren Stunde von Ressourcen, Prozessketten, Um- und Ausbauten. Der 51-Jährige spricht die Sprache, die er von früh auf gelernt hat: die eines Großkonzerns. Kaum Diplom-Ingenieur fing Theissen bei BMW an. Motorenentwicklung, Promotion zum Dr.-Ing., Leiter Produktkonzepte, Leiter der Innovationszentren, Leiter Motorsport. Analysieren, strukturieren, kapitalisieren - das ist seine Arbeitsweise. Bisher hat sie immer funktioniert. Stück für Stück hat sich BMW-Williams hinaufgearbeitet. In diesem Jahr droht der erste Absturz, das Versagen all der üblichen Systeme.

Das Auto ist zu langsam, schon zweimal erlosch ein Motor, Juan Pablo Montoya baut einen Crash nach dem anderen und Ralf Schumacher weiß immer noch nicht, ob er das Team verlassen will. Am Mittwoch erwartet Theissen einen Bericht von Williams, welche Veränderungen wann am Chassis kommen könnten. Die Entwicklung bei den Briten geht Theissen zu langsam voran. Er will etwas tun, greift aber bislang ins Leere. Er hat die Kontrolle verloren. Für Mächtige immer ein traumatisches Erlebnis.

Norbert Haug hat das in diesem Jahr schon einmal erfahren. Im April in Bahrain. Dort brach eine Bremsscheibe, die zuvor noch nie Probleme bereitet hatte, und eine Benzinleitung leckte, die zuvor hundert Prüfläufe tadellos überstanden hatte. Die Ausfälle waren schlicht Pech, aber diese Kategorie existiert in der Formel 1 nicht. Das Netz der Qualitätskontrolle müsse dichter werden, kündigte Haug in Bahrain an.

Drei aus 5000 Teilen reichen

Ein Motor besteht aus gut 5000 Teilen. Jetzt sind wieder drei schlechte durch das Netz gerutscht. "Kann sein, dass einem im Bemühen, etwas besonders gut zu machen, erst recht Fehler unterlaufen", sagt Haug. Es fällt ihm sichtlich schwer, das zu akzeptieren.

Früher ist er Journalist gewesen. Er weiß: Wie Theissen muss er seinen Kopf für das Desaster hinhalten. Motoren machen keine Fehler, für die Fehler sind immer Menschen verantwortlich. Als Haug vor zwei Jahren 50 wurde, hielt Mercedes-Chef Jürgen Hubbert eine Laudatio.

"Wir verdanken Norbert unendlich viel. In den ersten Jahren hat er uns gelehrt, mit Anstand zu verlieren. Danach hat er uns gelehrt, mit Anstand zu gewinnen", sagte Hubbert. Seitdem hat er sich nicht mehr öffentlich über seinen Sportchef geäußert.

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