Großer Preis von Frankreich:Die Formel 1 ist zurück im Mutterland des Motorsports

Formel 1: Nico Hülkenberg vor dem Großen Preis von Frankreich

Renault-Fahrer Nico Hülkenberg erfüllt Autogrammwünsche in Le Castellet.

(Foto: Getty Images)
  • Nach zehn Jahren fährt die Formel 1 wieder in Frankreich - mit Folgen für den Rennkalender.
  • 2008 wurde im Niemandsland von Magny-Cours der letzte Grand-Prix gefahren, nun hält der Tross in Le Castellet an der Côte d'Azur.
  • Geholfen hat auch, dass mittlerweile wieder vier Franzosen hinter der Boxenmauer das Sagen haben.

Von Elmar Brümmer, Le Castellet

Sogar den Mistral haben sie frisch geteert, damit Frankreich wieder zu einer Grand-Prix-Nation wird. Hunderte von Schulkindern sitzen am Donnerstag auf Stahlrohrtribünen und starren auf die mehr als anderthalb Kilometer lange und nach dem Fallwind Mistral benannte Gerade auf der Rennstrecke zwischen Marseille und Nizza. Für sie ist es eine Art rasender Geschichtsunterricht: Viele von ihnen waren noch nicht geboren, als zum letzten Mal Formel-1-Autos beim Großen Preis von Frankreich im Kreise kurvten.

2008 wurde im Niemandsland von Magny-Cours der letzte Grand-Prix gefahren. Das Geld war ausgegangen, das Interesse ebenso: Für das Land, das den Motorsport erfunden hat, 1906 den allerersten Grand Prix erfand und seit Formel-1-Beginn dabei war, waren nur noch die billigen Zuschauerplätzen geblieben. Zehn Jahre lang tiefergelegter Nationalstolz. An diesem Wochenende kommt es zum Comeback, mit Folgen für den WM-Kalender, der nun 21 Rennen umfasst: Beginnend mit Le Castellet wird an drei Wochenenden hintereinander gefahren; diese Verkehrsdichte gab es noch nie.

Dort, wo die Provence sanft in die Côte d'Azur ausläuft, eine Rennstrecke auf ein staubiges Hochplateau zu bauen, ist eine ziemliche Schnapsidee. Und das im Wortsinn: Monsieur Paul Ricard, der sich der Legende nach von einem Schafhirten das Rezept für seinen populären Pastis geben ließ, legte nach seinem Rückzug aus dem Großunternehmen Ende der Siebziger Jahre in Rekordzeit die Rennpiste an. Sie trägt, wie der Longdrink, seinen Namen, und umgeht damit immer noch geschickt das Alkoholwerbeverbot in Frankreich. Dass der Mann, der mit Anis, Fenchel und Lakritz hantierte, viel für die darstellenden Künste übrig hatte, passt ebenfalls gut zur bisweilen künstlichen Welt des Motorsports.

Erwogen wurden Rennen in Paris und Euro-Disneyland

Große Pläne hatten die Formel-1-Abstinenzler aus Frankreich für die Rückkehr immer wieder: Mal wurde ein Stadtkurs in Paris skizziert, dann sollte eine Strecke rund um das Euro-Disneyland führen. Aber nach der verschwendeten dreistelligen Millionensumme in Magny-Cours fand sich für weitere Investitionen dieser Art keine öffentliche Mehrheit mehr. Frankreich hatte ja nicht mal mehr einen ordentlichen Formel-1-Rennfahrer. Nur Alain Prost, erstaunlicher Weise der einzige Weltmeister, den das Land aus einer Vielzahl von Piloten in den Siebziger und Achtziger Jahren hervorgebracht hat.

Der viermalige Champion war Ende 2015 eine treibende Kraft hinter der Rückkehr eines eigenen Werksrennstalls von Renault. Der Staatskonzern hatte es satt, als Motorenhersteller immer nur dann Erwähnung zu finden, wenn sein Kundenteam Red Bull mal wieder über mangelnde Leistung klagte. Zur gleichen Zeit als Prost den Konzernlenker Carlos Ghosn beim Ehrgeiz packte, wurde der ehemalige Formel-3- und Motorradpilot Christian Estrosi Präsident der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur, in der die als modernste Teststrecke der Welt geltende Piste von Le Castellet liegt. Der ehemalige Bürgermeister von Nizza hatte schon zuvor Lobbyarbeit betrieben, um den Großen Preis zurückzuholen, der hier 15 Mal ausgetragen worden war, zuletzt 1990 mit dem Sieger Prost. Region und Renault sahen die Chance für eine konzertierte Aktion zur Imagepolitur.

Der Traum von einer weiteren Erfolgswelle ist nun auf fünf Jahre ausgelegt. Es ist auch der erste neue Grand Prix unter der Ägide des neuen Formel-1-Besitzers Liberty Media. Der Hollywood-Manager Chase Carey ist damit betraut, die Formel 1 zu einer weltumspannenden Familienshow zu machen, und er setzt dabei vornehmlich auf spektakuläre Stadtrennen wie in Miami und Ho Chi Minh-City. Andererseits hat er versprochen, den Kernmarkt Europa nicht weiter zu schwächen, nachdem sein Vorgänger, Bernie Ecclestone, die Rennen jahrelang meistbietend an jeden noch so fragwürdigen Machthaber verkauft hatte. Viele der Länder, in die Ecclestone expandierte, zahlten allein das an Startgeld, was nun der ganze französische Formel-1-Grand Prix kosten soll - um die 30 Millionen Euro; knapp die Hälfte davon wird von der öffentlichen Hand finanziert.

Vier Franzosen haben inzwischen hinter der Boxenmauer das Sagen

Geholfen hat natürlich, dass mit Cyril Abiteboul (Renault), Eric Boullier (McLaren), Frederic Vasseur (Sauber) und dem Red-Bull-Cheftechniker Gulliaume Roquelin wieder vier Franzosen hinter der Boxenmauer das Sagen haben. Und dass Frankreich mit drei Piloten die stärkste Nation im Fahrerfeld stellt. Romain Grosjean (Haas-Ferrari) und die Talente Esteban Ocon (Force India) und Pierre Gasly (Toro Rosso) sind momentan gutes Mittelmaß. "Ich habe ewig auf diese Rückkehr gewartet", sagt der 21 Jahre alte Ocon, der von Mercedes gefördert wird: "Ich konnte als Kind überhaupt nicht verstehen, warum es kein Rennen in Frankreich gab." Gefahren wird am Sonntag auf einem 5,8 Kilometer langen Kurs, der der ursprünglichen Streckenführung nahekommt. Auffällig sind die weitläufigen, mit markanten roten und blauen Streifen verzierten Auslaufzonen. Le Castellet gilt als sicherste Piste der Welt.

Das Pikante bei der Rückkehr: Der ehemalige Zampano Ecclestone ist seit der Jahrtausendwende Besitzer der Anlage, zu der auch ein eigener Flugplatz gehört. Eine bleibende Erinnerung an ihn ist das Hotel samt Spa in einem direkt an der Piste gelegenen Pinienhain: fünf Sterne die Zimmer, drei Sterne das Restaurant, vierstellige Übernachtungspreise. Das war selbst den Teamchefs zu teuer.

Alle anderen 65 000 Menschen, die sich das nicht leisten können, werden vor dem Geschwindigkeitsrausch wohl einen halben Tag in Schrittgeschwindigkeit verbringen müssen - egal aus welcher Richtung sie nach Le Castellet kommen. Es gibt nur eine Provinzstraße, und die Verkehrsregler waren schon bei der Ankunft der Schulbusse überfordert. Vielleicht richtet Liberty Media deshalb parallel in Marseille ein Formel-1-Festival mitten in der Stadt aus.

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