Formel 1:Italien dürstet nach Vettels Erfolg

Motorsports: FIA Formula One World Championship 2017, Grand Prix of Italy

Erdrückende Zuneigung: Sebastian Vettel (vorne, mit Mütze) beim diesjährigen Treffen mit den Ferrari-Fans in der Boxengasse von Monza.

(Foto: Hoch Zwei)
  • In seiner dritten Saison bei Ferrari will Sebastian Vettel endlich den Erfolgshunger der Italiener stillen.
  • Beim Heimrennen in Monza ist der Druck besonders groß, auch von Seiten der Fans.
  • Das Qualifying verlief nur mäßig, Vettel startet von Rang sechs.
  • Das Rennen gibt es ab 14 Uhr hier im Liveticker.

Von Philipp Schneider, Monza

Ob er den Unterschied ausmachen kann, allein am physischen Druck der Menge, den er nun an den Händen fühlt? Der Ordner mit den grauen Haaren an der Absperrung vor der Box von Ferrari, der sich nun mit seinem ganzen Körpergewicht gegen das Gitter stemmt, damit die Menschen nicht turmhoch über Sebastian Vettel zusammenfallen? Der Mann sieht so aus, als könnte er schon damals dabei gewesen sein. Lässt sich das Ausmaß der Zuneigung für einen Rennfahrer daran erkennen, wie sehr die Menschen drücken und drängeln gegen diesen Zaun? Und geht es bei Vettel nun annähernd so wild zu wie damals bei Michael Schumacher? Vettel selbst würde das natürlich verneinen. Vergleiche mit Schumacher lehnt er ab. "Ich möchte nicht in seine Fußstapfen treten", sagt er: "Die ganze heutige Generation bei Ferrari möchte ihre eigenen Spuren hinterlassen." So sieht er das.

An den Tagen vor den Rennen dürfen die Fans in Monza nahe an die Boxengasse heran, die Fahrer kommen dann, um Autogramme zu schreiben. Wenn Schumacher nach Monza kam, dann wackelten die Gitter, die Menge waberte und drückte, und manchmal sah es so aus, als würde Schumacher gleich überschwemmt. Jetzt aber rufen die Tifosi: "Sebastian! Sebastian! Sebastian!", übrigens erstaunlich akzentfrei.

Kimi Räikkönen war eben an der Absperrung. Da war es leiser. Ferraristi sind Traditionalisten, und Räikkönen war der letzte Fahrer, der den WM-Titel mit der Scuderia gewinnen konnte, zehn Jahre ist das her. Aber so konservativ sind die Fans dann nicht, dass sie den Mann, in dem sie die Zukunft sehen, nicht lauter besingen würden, als denjenigen, der für die Vergangenheit steht. Vettel sagt: "Meine Mission ist noch nicht beendet. Ich stelle mir vor, dass einer meiner schönsten Tage der sein wird, wenn ich in Rot den Titel gewinne."

Im Hintergrund macht der knallharte Sergio Marchionne Druck

Zwölf von 20 Rennen sind gefahren in dieser Saison, Vettel hat sieben Punkte Vorsprung vor Lewis Hamilton. In der vergangenen Woche hat ihn Ferrari mit einem neuen Dreijahresvertrag ausgestattet, aber seine Mission will er in diesem Jahr beenden. Vielleicht muss er das sogar. Im Hintergrund macht der knallharte Sergio Marchionne, 65, Druck, der Fiat-Boss und Ferrari-Chef, der nach dem Abschied des schillernden Präsidenten Luca di Montezemolo einen neuen Ehrgeiz begründet hat. Marchionnes Spitzname lautet: Bulldozer. Weil er die Leute vor sich herschiebt an ein Ziel, das er gesetzt hat. Auch Teamchef Maurizio Arrivabene ist hochgradig motiviert, weil seine Weiterbeschäftigung maßgeblich vom Erfolg in dieser Saison abhängen dürfte. Die Mission steht über allem.

Begonnen hat sie 2015, in jenem Jahr, als Vettel einen klaren Auftrag erhielt. Er sollte bei Ferrari eine Ära begründen wie an seiner Ausbildungsstätte bei Red Bull, wo er vier Weltmeistertitel gewonnen hatte. Eine Ära wie Schumacher sollte er prägen, das war die Idee. Der Rennfahrer aus Kerpen war damals 27 Jahre alt, als er 1996 zu Ferrari wechselte - genau wie der Heppenheimer 2015. Die Männer, die Ferrari in seiner 70 Jahre währenden Renngeschichte aus einer andauernden Erfolglosigkeit erlösten, wurden stets am lautesten gefeiert in Maranello und am Zaun in Monza. Niki Lauda gewann 1975 für die Scuderia den ersten Titel seit 1964. Schumacher im Jahr 2000 den ersten seit 1979. Deshalb ging Vettel das Wagnis eines Wechsels ein. Und natürlich, das weiß man nun auch, wegen der Autos seiner Kindheit.

"Ein rotes Auto muss immer in Führung liegen", weiß Vettel

Als kleiner Junge habe er oft mit Spielzeugautos gespielt, hat Vettel in Monza erzählt. Selbstredend hat er Rennen mit ihnen veranstaltet. Was denn sonst? Rückblickend sei ihm nun aufgefallen, dass die Autos, die von seiner Hand geleitet gewannen, erstaunlicherweise immer dieselbe Farbe hatten. Sie waren rot. "Ich weiß nicht, warum das so war", hat Vettel zunächst laut gerätselt. Dann aber hat er eine Erklärung nachgereicht, die wesentlich mehr über Vettel verrät als über rote Spielzeugautos. "Vielleicht ist es das, was einen die Welt um einen herum lehrt: dass ein rotes Auto immer in Führung liegen soll. Nein, muss!" Ja, die Welt um einen herum.

Vettels Welt ist die Formel 1, solange er sich erinnern kann. Schon als Teenager wurde er vom österreichischen Brausehersteller finanziell gefördert, später in dessen Talentprogramm aufgenommen, dort gelang ihm über das Nachwuchsteam Toro Rosso der Einstieg in die Formel 1. Charakterlich ist auch Vettel ein Traditionalist. Das unterscheidet ihn etwa von Hamilton, für den der Weg zu Ferrari für alle Zeit verstellt sein dürfte, nachdem Vettel dort einen Rentenvertrag unterzeichnete. Vettel ist einer, der die sozialen Netzwerke ablehnt, und der früher, als er im Fernsehen Formel 1 geschaut hat, immer Schumacher gewinnen sah.

Er ist aufgewachsen in einer Welt, die ihn früh gelehrt hat, dass er zur Mutter aller Rennställe wechseln muss, wenn er in die Renngeschichte eingehen möchte. Das rote Auto muss immer vorne sein und Vettel hinter dem Steuer sitzen. Deshalb ist er weg von Red Bull. Deshalb hat er 2015 sein "Zuhause" verlassen, wie er damals sagte: "Man zieht im Leben nur einmal von Zuhause aus. Es war eine innere Stimme, die lauter geworden ist. Es ist ein Schritt, auf den ich mich freue."

2016 gab es keinen einzigen Triumph

Er hat allerdings ein bisschen warten müssen, ehe sich die Freude dauerhaft eingestellt hat in seinem neuen Zuhause. Mit drei Siegen im ersten Jahr ging es los, 2016 gab es keinen einzigen Triumph, Rang vier in der Fahrerwertung ließen Zweifel aufkommen, ob diese Liaison eine gute Idee gewesen ist - bei Vettel und bei Ferrari. Doch im Hintergrund trieb Bulldozer Marchionne nach und nach den Umbau des Teams voran. Nach der enttäuschenden Saison 2016 musste Technikchef James Allison gehen, genau wie der Aerodynamik-Experte Dirk De Beer. Allisons Nachfolger Mattia Binotto gilt als Schlüsselfigur für die wiedererstarkte Mannschaft.

"Sehr clever, sehr ruhig und gefasst, sehr konzentriert, sehr diszipliniert", sei Binotto, findet Vettel: "Er ist einer, der sich nicht selbst in den Vordergrund stellt, aber einen sehr guten Überblick hat." Der Schweizer arbeitet seit 1995 für die Scuderia, unter seiner Leitung wurde 2015 schon der Motor wieder konkurrenzfähig. Für die Aerodynamik ist seit dieser Saison David Sanchez verantwortlich, auch der Franzose war schon vorher angestellt. Mit diesen Personalien löste Teamchef Arrivabene sein Versprechen ein, Talenten eine Chance zur Weiterentwicklung zu geben.

Es ist eine funktionierende Einheit gewachsen bei Ferrari. Und es wird ja oft vergessen, dass auch das Team mit Schumacher, Strategiechef Ross Brawn und Rennleiter Jean Todt fast gescheitert wäre. Vier Jahre Anlauf brauchte das beste Team der Formel-1-Geschichte für die erste Konstrukteurs-WM, fünf für die erste Fahrer-WM. Dann allerdings folgten Titel in Serie.

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