Formel 1:Angefressen von Würmern

Wegen einer defekten Zündkerze muss Ferrari-Pilot Sebastian Vettel beim Grand Prix von Japan vorzeitig aufgeben - und seinem siegreichen Mercedes-Rivalen Lewis Hamilton damit fast schon den Weltmeistertitel in der Formel 1 überlassen.

Von Philipp Schneider, Suzuka

In den letzten Minuten vor dem Start eines Formel-1-Rennens geht es auf der Start- und Zielgeraden zu wie auf einem mittelalterlichen Marktplatz, auf den sich die Technik der Gegenwart verirrt hat. Zu viele Menschen teilen sich zu wenig Raum. Jeweils sechs Mechaniker rollen die Rennwagen in die vorgesehenen Parkbuchten, vor ihnen stehen auf hohen Absätzen die sogenannten Grid-Girls mit ihren Nummerntafeln und versuchen nicht umzufallen. Und dazwischen wuseln auch noch Reporter und mehr oder weniger berühmte Menschen, wie am Sonntag der in die fußballerische Diaspora Japans ausgewanderte Lukas Podolski, der zusätzlich noch Kameramänner und Fotografen anzieht.

In diesen letzten Minuten vor dem Start müssen Rennfahrer versuchen, ein wenig Ruhe zu finden, Konzentration. Niemand war so unruhig vor dem Start des Rennens in Suzuka wie Sebastian Vettel.

Vettel lehnte an der Absperrung zur Boxengasse, eine Assistentin hielt einen Sonnenschirm über seinen Kopf, damit sein Gesicht ein wenig Schatten finden konnte. Aber Sonne oder Schatten waren Vettel ziemlich egal. Er starrte auf seinen Ferrari, an dem die Techniker vor ihm eine Notoperation vollführten. Sie schraubten die Haube ab. Sie begannen am Motor zu hantieren, sie versuchten, an die Zündkerzen zu kommen, weil sie wussten, dass eine von ihnen defekt war. Die Mechaniker ahnten, dass die Zeit nicht reichen würde, weil die Zündkerzen erst freigelegt werden müssen, bevor man sie ausbauen kann. Sie probierten es trotzdem. So erzählten sie es anschließend. Sie wurden aber nicht fertig und schraubten die Haube wieder zu. Eine einzige Zündkerze. Von sechs.

Es war der Moment, in dem Sebastian Vettel dämmern musste, dass gerade die Weltmeisterschaft entschieden wurde. Nicht von ihm. Von seinen Technikern. Zugunsten seines Rivalen Lewis Hamilton, der einen Start- und Zielsieg feiern durfte. Weil Vettel seinen Ferrari in der fünften Runde mit technischen Problemen würde abstellen müssen. Wegen einer einzigen verdammten Zündkerze.

Vor dem Abflug versichert Vettel trotzig: "Wir haben noch eine Chance"

"Manchmal gehen Dinge halt auch kaputt, so ist das eben", sagte Vettel, ehe er noch während des Rennens in Suzuka verschwand und sich auf den Weg machte, um ein Flugzeug in seinen Schweizer Wohnort zu nehmen. Keine Pressekonferenz mehr. Keine Rede. Keine philosophische Abhandlung von ihm über die Abhängigkeit eines Rennfahrers von seiner Technik. Nur noch ein kleiner trotziger Satz: "Wir sind enttäuscht, aber jetzt müssen wir uns ein bisschen erholen und dann alles in den nächsten paar Rennen rausholen. Wir haben noch eine Chance." Ja, haben sie die?

F1 Grand Prix of Japan

Ein Arbeitstag zum Vergessen: Sebastian Vettel erlebt beim Großen Preis von Japan den nächsten Tiefschlag.

(Foto: Lars Baron/Getty)

59 Punkte Vorsprung hat Hamilton vier Rennen vor Ende der Saison. 100 Punkte sind noch zu vergeben. Nur noch ein Wunder kann Vettel zurück ins Titelrennen bringen. In der technisierten Welt der Formel 1 gibt es aber keine Wunder. Da gibt es allenfalls gerissene Kabel und kaputte Zündkerzen, doch Mercedes bräuchte nach Lage der Dinge schon ein paar Defekte, um Ferrari wieder ranzulassen.

Vettel hat diese WM auf seiner Asienreise verloren. Mit drei Punkten Rückstand war er nach Singapur gereist, mit 59 reist er aus Japan wieder ab. Nicht nur wegen seines Crashs in der ersten Runde von Singapur. Sondern auch, weil die Technik in seinem Ferrari gestreikt hatte: In Malaysia ging er vom letzten Platz ins Rennen, weil vor dem Qualifying ein Kabel gerissen war. Diesmal leistete sich sein Motor Fehlzündungen im Rennen.

"Auf dem Weg in die Startaufstellung haben wir das Problem schon bemerkt. In der Einführungsrunde und dann auch beim Start war schon nicht die volle Leistung da, sonst wäre ich an Lewis vorbeigekommen", sagte Vettel.

Die Probleme in Japan waren für Ferrari vor allem deshalb ärgerlich, weil der Mercedes von Hamilton in Malaysia noch "irgendwo einen Gremlin" drin hatte - also ein Fabelwesen, das der Legende nach die Technik frisst -, wie Mercedes-Chef Toto Wolff erzählte. Hamilton wurde in Sepang zwar Zweiter hinter Max Verstappen, aber die Silberpfeile waren das ganze Wochenende klar langsamer als die Ferraris und Red Bulls. Am Samstag in Suzuka sah dann alles wieder völlig anders aus: Hamilton deklassierte seinen WM-Konkurrenten im Qualifying - als er seine 71. Pole Position gewann, rollte er fast eine halbe Sekunde schneller als Vettel. "Wir scheinen aus schlechten Tagen zu lernen. Wir haben die Daten gecheckt, die richtigen Schlüsse daraus gezogen und auf dieser Basis das Setup optimiert", sagte Wolff am Samstagabend und sprach dabei das Offensichtliche aus. Allein: Wo nur war er denn plötzlich hin, der fiese, kleine Gremlin?

Auch Sergio Perez zieht vorbei - dem Ferrari fehlt es deutlich an Geschwindigkeit auf der Geraden

Eine Erklärung war, dass es am Samstag, anders als am Renntag, als der Asphalt auf 42 Grad Celsius hochkochte, recht kühl war und zudem am Vortag über Stunden ein hartnäckiger Bindfadenregen hernieder geprasselt war, der den Gummiabrieb der Reifen von der Strecke gespült hatte. Der Mercedes liebt solche Bedingungen, im Gegensatz zum Ferrari. "Wenn die Sonne scheint, erhitzt sich der Asphalt mehr, die Reifen werde wärmer", dozierte Vettel vor dem Start: "Es gibt dann ein optimales Fenster, wo der Reifen maximalen Grip abgibt. Wenn man da aber rausfällt, werden die Reifen heißer, und man rutscht mehr." Sollte heißen: Vor allem Mercedes rutscht dann mehr. Schade nur, dass am Sonntag nicht Rutschen oder Nichtrutschen das Rennen entschieden. Sondern wer es zu Ende fuhr. "Ferrari hat wirklich den Wurm drinnen. Das ist schon schlimm", befand Wolff. Offenbar ist ein Wurm im Auto noch nerviger als ein Gremlin.

Vettel rollte beim Start von Position zwei neben Hamilton los, er kam ganz gut weg, dahinter lauerten die Red Bulls von Daniel Ricciardo und Max Verstappen. Der Kurs von Suzuka ist auch deshalb so beliebt, weil auf ihm ordentlich überholt werden kann. Verstappen zog gleich vorbei an Ricciardo. Danach schnappte er sich auch Vettel, der schon sichtbar Probleme hatte.

Noch bevor Carlos Sainz in Kurve sieben das Kiesbett durchpflügte und damit eine Safety-Car-Phase einleitete, lag Vettel hinter Bottas auf Position sechs. Ihm fehlte es deutlich an Geschwindigkeit auf der Geraden. Nach dem Wiederstart, als erneut Vollgas gefahren werden konnte, zog auch noch Sergio Perez an ihm vorbei. Vettel lag nur noch auf Rang acht. "Ich habe versucht, das System zu resetten und alle möglichen Einstellungen zu probieren. Das hat leider nicht funktioniert", sagte er. Vettel wurde an die Box gerufen. Er stieg aus.

Ohne Vettel fuhren die Kollegen eines der besseren, weil taktischeren Rennen in dieser Saison zu Ende. Dass Verstappen Hamilton nicht mehr überholte, obwohl er ihm in den letzten Runden am Heck klebte, lag auch am bewährt selbstlosen Puffer Bottas, der den Niederländer genau zum richtigen Zeitpunkt für ein paar Umdrehungen aufhielt. Und ausgerecht an der Hilfe von Fernando Alonso, der als Überrundeter in der vorletzten Runde Hamilton vorbeiließ, Verstappen aber bremste. So rollte der Brite durchs Ziel vor Verstappen und Ricciardo, den Bottas nicht mehr einholte. In 14 Tagen, beim Rennen in Texas, kann Hamilton Weltmeister werden.

Sebastian Vettel dürfte in Texas ein anderes Problem haben: Weil er vor dem Start am Sonntag in der Aufstellung zur Nationalhymne fehlte (er dachte wohl noch über Zündkerzen nach), wurde er von den Rennkommissaren verwarnt. Klingt nach einer Lappalie - da es aber seine zweite Verfehlung 2017 war, muss der Hesse bei der nächsten Sanktion mit einer Strafversetzung von zehn Startplätzen rechnen.

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