Formel 1 in Barcelona:Alonso gewinnt das Reifen-Schach

Formel-1-Fahrer Fernando Alonso beim Großen Preis von Spanien

Mit gutem Gummi: Fernando Alonso nach dem Großen Preis von Spanien

(Foto: Getty Images)

Während Fernando Alonso gewinnt und Sebastian Vettel Vierter wird, gestaltet sich der Große Preis von Spanien für das Mercedes-Team als Albtraum - Lewis Hamilton und Nico Rosberg werden nach hinten durchgereicht.

Von Michael Neudecker, Barcelona

Es gab vor kurzem eine Debatte in der Formel 1 über die Tatsache, dass der komplette Funkverkehr von den Fernsehsendern und damit der Weltöffentlichkeit mitgehört werden darf, ungefiltert und live; ein paar Fahrer finden das nicht gut, weil die Konkurrenz ja auch zur Weltöffentlichkeit zählt. Die Vermarkter der Formel 1 sind allerdings eher keine debattierfreudigen Menschen, und zumindest in diesem Fall ist das durchaus gut: Manchmal reicht ja schon ein Funkspruch, um ein ganzes Rennen zu verstehen.

In Barcelona kam der Spruch des Tages in Runde 20, als die Box von Mercedes Lewis Hamilton anwies, er möge seine Hinterreifen schonen. Hamilton antwortete: "Ich kann nicht mehr langsamer fahren."

Lewis Hamilton hat den Großen Preis von Spanien von Platz zwei begonnen, in Runde 20 war er 15., in Runde 53 wurde er überrundet, am Ende war er Zwölfter. Den Sieger Fernando Alonso, den Zweiten Kimi Räikkönen und den Dritten Felipe Massa sah er nicht einmal aus der Ferne.

Sie haben Fernando Alonso natürlich gefeiert in Barcelona, er fuhr mit der spanischen Flagge eine Ehrenrunde, danach stieg er auf die Nase seines Wagens, reckte die Fäuste in den Himmel, keine drei Minuten nach dem Rennen reichte ihm schon jemand ein Handy mit dem ersten Gratulanten dran, und dann verteilte er großzügig Sektspenden auf dem Podium: das ganze Jubelprogramm eben.

Und Hamilton? Und Rosberg? Das ganze Ärgerprogramm.

Es hätte ein so gutes Wochenende für Mercedes werden können, sie haben das Auto extra in neu erstrahlendem Silber lackiert, und dann war auch der Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche angereist. Mit seiner gut fotografierbaren Tochter Nora ließ Zetsche sich Sonntagvormittag im Fahrerlager fotografieren, er trug Turnschuhe und Baseball-Cap, am frühen Nachmittag in der Startaufstellung plauderte er mit Niki Lauda und sogar mit Bernie Ecclestone, da stand er ganz vorne im Fahrerfeld. Seine beiden Piloten Nico Rosberg und Lewis Hamilton waren ja am Samstag die großen Sieger gewesen, Rosberg hatte sich als Schnellster die Pole Position geholt, die dritte für Mercedes im fünften Saisonrennen, Hamilton eben Startplatz zwei.

Großer Verlierer: Mercedes

Am späten Sonntagnachmittag aber war Mercedes der große Verlierer, wenngleich es Rosberg in den letzten Runden immerhin gelang, einen Zweikampf gegen Force-India-Pilot Paul di Resta für sich zu entscheiden. Rosberg wurde Sechster. "Nico ist ein mega Rennen gefahren", fand Motorsportchef Toto Wolff, "er hat uns besser aussehen lassen als die Perfomance unseres Autos war." Heißt: Das Auto ist im Moment nicht besser als Platz zwölf.

Elf Runden lang hatte Rosbergs Führung gehalten, beziehungsweise 13, wenn man den erst spät zum ersten Boxenstopp gerufenen Sauber-Piloten Esteban Gutiérrez außer Acht lässt. Dann aber wurde Rosberg innerhalb weniger hundert Meter von Alonso, von Sebastian Vettel und auch von Felipe Massa überholt - Hamilton hatte seine Position schon in der ersten Runde verloren, Massa hatte ihn schließlich in Runde acht überholt. Es war sehr früh klar am Sonntag, dass Rosberg und Hamilton mit dem Sieg nichts zu tun haben würden. "Ich habe schnell akzeptiert, dass es heute nicht reicht", sagt Rosberg.

Seine Konkurrenten hatten das schon vor dem Rennen prophezeit, niemand im Fahrerlager nannte auf die Frage nach dem möglichen Sieger einen der beiden Mercedes-Fahrer. Das war kurios: Dass der Erste und Zweite des Qualifyings im Rennen so selbstverständlich keine Rolle spielen, ist selten. Natürlich hatte das wie derzeit alles in der Formel 1 mit den Reifen zu tun, Mercedes verfügt zwar über ein leistungsfähiges Auto, aber auch eines, dass die Reifen kaum verschont. Graining heißt das Phänomen, wenn der Reifen der Belastung nicht standhält und sich schält, die Gummifetzen verklumpen und kleben am Reifen. In Barcelona war Graining nun das Hauptproblem für die Reifen, und es scheint, als hätte Mercedes damit das größte Problem unter den Spitzenteams gehabt. Aber - Sechster? Zwölfter?

Bis zum ersten Reifenwechsel sah es noch gut aus für Rosberg, "ich dachte echt: Vielleicht kann ich sogar gewinnen", sagte Rosberg hinterher. Aber dann: "ging es sowas von nach hinten los, echt heftig". Er habe Probleme mit allen Reifen gehabt, so extrem wie selten, befand Rosberg.

"Wir haben damit gerechnet, dass Mercedes ein Problem im Rennen haben könnte", sagte Fernando Alonso, "aber wir wussten nicht, was wirklich passieren würde." Für den 32. Sieg seiner Karriere musste sich Alonso also nicht mit Rosberg oder Hamilton, sondern vor allem mit Kimi Räikkönen auseinandersetzen. Räikkönen kam dabei seine Strategie zugute: Als einziger unter den Topplatzierten fuhr er mit drei statt vier Boxenstopps. Auch Sebastian Vettel war da machtlos, er habe "eingesehen", sagte Vettel, "dass es keinen Sinn macht, großartig dagegenzuhalten". Auch er wollte mit drei Stopps auskommen, Mitte des Rennens aber musste er feststellen, dass er mit den Reifen nicht so gut auskam wie Räikkönen, "da war ich angefressen", sagte Vettel. Überhaupt: Die neuen Hartreifen seien "ein Griff ins Klo". Das ganze sei im Moment wie Schach, befand Red-Bull-Teamchef Christian Horner, "und Schach ist kein Zuschauersport".

Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery sprach am Sonntagabend davon, demnächst nochmal Änderungen am Reifen vorzunehmen, "vier Stopps sind zu viele", räumte Hembery ein. Das ganze Fahrerlager schimpfte da schon wieder über die Reifen, besonders deutlich der gerne deutliche Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda. Die Reifensache sei "absurd, ein Witz für die Zuschauer", ja: "für alle".

Außer für Fernando Alonso.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: