Football:Verstärkte Erschütterungen

Die neue NFL-Saison beginnt mit einem Paukenschlag, den bewährten Favoriten, beunruhigenden Quoten und einigen Bedenken. Was sonst zu erwarten ist von dieser Spielzeit, verrät dieser Rund- und Ausblick.

Von Maximilian Länge

Die NFL-Spielzeit 2017 hat begonnen. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag eröffneten die New England Patriots, Super-Bowl-Sieger der Vorsaison, und die Kansas City Chiefs die neuerliche Jagd auf die Vince-Lombardi-Trophy. An diesem Sonntag steigen fast alle weiteren Mannschaften in den Spielbetrieb ein. Die SZ stellt Personen, Teams und Geschichten rund um die Saison in der National Football League vor.

Die Favoriten

New England Patriots: Wer sich mit der Favoritenfrage beschäftigt, muss sich in diesem Jahrtausend der NFL-Geschichte mit den Patriots beschäftigen. Das Team aus Boston gewann den Super Bowl zwischen 2001 und 2016 fünfmal, so oft wie kein anderes Team in diesem Zeitraum. Zuletzt erhielt die Euphorie jedoch einen Dämpfer. Erst verletzte sich Star-Receiver Julian Edelman in der Vorbereitung schwer, dann gab es zum Saisonauftakt eine 27:42-Niederlage, bei der das letzte Viertel mit 0:21 verloren ging.

Atlanta Falcons: Die Falcons sahen schon wie der sichere Sieger von Super Bowl 51 aus und gingen am Ende doch leer aus. 28:3 führte Atlanta kurz nach der Pause, um in der Verlängerung noch mit 28:34 zu verlieren. Von Hangover (Kater) sei trotzdem keine Spur, versichern Quarterback Matt Ryan und seine Mitspieler - und setzen mit unverändert starkem, in der Defensive sogar verstärktem Kader, allerdings ohne Offensive Coordinator Kyle Shanahan zum erneuten Anlauf an.

Pittsburgh Steelers: In der Offensive gehören die Steelers schon seit einigen Jahren zu den Spitzenteams der Liga. Der Grund: BBB - Quarterback Ben Roethlisberger, Spitzname Big Ben, der auch mit 35 Jahren noch Pässe über das halbe Spielfeld zu seinen Mitspielern bringt, Receiver Antonio Brown, oft Empfänger dieser Bälle, und Runningback Le'Veon Bell, nach seinem Gehaltsstreik rechtzeitig wieder Teil des Teams. Dass Pittsburgh nun zum Favoritenkreis gehört, ist der personell verbesserten Defensive zuzuschreiben.

Die Stars

David Johnson: Jedes Jahr, kurz bevor in den USA die NFL-Saison beginnt, treffen sich die Fans, um ihre Teams für das virtuelle Football-Manager-Spiel mit dem Namen Fantasy Football zusammenzustellen. Wer als erstes die Wahl hat, entscheidet sich in diesem Jahr für Johnson, denn der Runningback der Arizona Cardinals war 2016 Sieggarant seines Teams und Fantasy-Punktelieferant. In 16 Spielen sammelte er 1239 Yards Raumgewinn und 16 Touchdowns als Läufer sowie 879 Yards und vier Touchdowns als Passfänger.

J.J. Watt: Als die Fluten in Houston ihre zerstörerische Kraft entfalteten, saß Watt mit seinen Teamkollegen von den Houston Texans in einem Hotel in Dallas. Näher an seinen Wohnort war er mit dem Flugzeug nach dem Vorbereitungsspiel in New Orleans nicht herangekommen. Er bat in einer Videobotschaft um Spendengelder, 200 000 Dollar waren sein Ziel. Stand heute hat Watt, einer der besten Quarterback-Jäger der NFL, mit der Hilfe vieler NFL-Kollegen und Promis über 29 Millionen Dollar gesammelt.

Tom Brady: Wer seinem Team in 238 Spielen 183 Siege beschert und im Alter von 40 Jahren noch zu den Besten seiner Zunft gehört, darf in dieser Auflistung nicht fehlen. Dass der Spielmacher dabei mit einer Ziege, englisch goat, verglichen wird, kommt nicht von ungefähr. Die Abkürzung für greatest of all time darf mit Bradys Namen getrost in Verbindung gebracht werden, denn kein anderer Quarterback besitzt so viele Super-Bowl-Ringe (5) und war so oft Super-Bowl-MVP (4). Karriereende? Unklar.

Die Geheimfavoriten

Oakland Raiders: Die goldenen Zeiten der "Silver and Black" sind über 30 Jahre her - und lange wurden die Raiders danach als eines der schwächsten Teams der Liga bezeichnet. Inzwischen macht sich Optimismus breit, was vor allem daran liegt, dass Quarterback Derek Carr 2016 große Fortschritte machte, tolle Anspielstationen hat und in diesem Jahr auf die Dienste von Comeback-Runningback Marshawn Lynch setzen kann. Oakland ist "nur" Geheimfavorit, weil die Defensive außer Khalil Mack keine Leistungsträger hat.

Tennessee Titans: Man nehme den braven, zurückhaltenden Schwiegersohn und stelle ihm viele talentierte und erfahrene Helfer zur Seite. Die Team-Verantwortlichen haben in der Offseason dafür gesorgt, dass Spielmacher Marcus Mariota in der neuen Saison eine starke Offensive anführen darf. Größtes Fragezeichen: Die Gesundheit Mariotas. Der besonnene Quarterback absolvierte in zwei Jahren NFL noch keine Saison ohne Verletzung. Mit ihm steht und fällt das Ziel Playoffs.

Tampa Bay Buccaneers: Man nehme den lautstarken, risikofreudigen Leader und gebe ihm eine TV-Show. Das Team von der Westküste Floridas wurde in der Vorbereitung von einem Kamerateam begleitet. Besonders eindrücklich: Jameis Winston, Quarterback der Bucs, gibt sich trotz seiner erst 23 Jahre als Anführer einer hungrigen, talentierten Mannschaft. Größtes Fragezeichen: Die Leichtsinnsfehler Winstons. Unter Bedrängnis erzwingt er noch zu oft Aktionen, statt unspektakulär auf Sicherheit zu spielen.

Die Bedenken

Gehirnerschütterungen: Eine Hirnstudie der Neuropathologin Dr. Ann McKee brachte in der Offseason neue Erkenntnisse. In 110 von 111 untersuchten Gehirnen ehemaliger NFL-Profis wies die Medizinerin chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE) nach, die degenerative Krankheit, von der man glaubt, dass sie durch wiederholte Kopfstöße ausgelöst wird. Die Symptome reichen von Gedächtnisverlust über Depressionen bis hin zu Demenz. Kritiker merkten an, dass es sich bei der Stichprobe ausschließlich um Gehirne von Ex-Spielern handle, bei denen der Verdacht auf die Krankheit aufgrund auffälligen Verhaltens sowieso bereits bestanden habe.

Prävention: Dass ein Zusammenhang zwischen CTE und American Football besteht, kann die NFL nicht mehr leugnen. Inzwischen beteiligt sich die Liga an Forschungsprojekten, die dem besseren Schutz der Spieler dient. Der Helm "Vicis Zero101" erinnert mit seinem Innenleben an die Kopfbedeckung, die bei den Römern der Centurio trug - und schnitt bei Helmtests am besten ab. Er schützt bei Kollisionen effektiver, weil er durch säulenförmige Dämpfstäbe sowohl geradlinige als auch rotatorische Kräfte absorbiert und sich beim Aufprall kurzzeitig leicht verformt.

Sinkende TV-Quoten: 14 Prozent weniger Amerikaner schalteten in der vergangenen Saison ein, wenn die NFL im Fernsehen lief. Ein Grund: Der Präsidentschaftswahlkampf beeinflusste die Quoten. Nach der Wahl verfolgten wieder mehr Menschen die Spiele. Nachdem aber das Eröffnungsspiel zwischen Patriots und Chiefs rund vier Millionen Zuschauer weniger als in den vier Jahren zuvor sahen, geht die Ursachensuche von neuem los. Sind die Fans gelangweilt von einseitigen Partien und genervt von den vielen Werbe-Unterbrechungen? Oder verfolgten sie einfach nur die Nachrichten zu Hurrikan Irma?

Der Super Bowl

Minneapolis, Minnesota: Die Stadt im hohen Norden der USA ist nicht gerade bekannt für Freiluftsport-freundliche Temperaturen im Februar. Sie hat auch nur den Zuschlag für die Austragung des Endspiels bekommen, weil dort seit Mitte 2016 das U.S. Bank Stadium steht, die vollständig überdachte Heimstätte der Minnesota Vikings. Eine Super Bowl unter freiem Himmel hatte es zuletzt 2014 in New Jersey gegeben. Lange war unklar, ob ein Schneesturm und Minusgrade dazwischenkommen würden, am Ende fand das Spiel statt. Die NFL kehrte zurück zum Grundsatz: Freiluft-Finale nur in warmen Gefilden.

Super Bowl LII: Auch in der 52. Ausgabe des Endspiels wird am 4. Februar 2018 wieder der Sieger der National Football Conference (NFC) auf den Gewinner der American Football Conference (AFC) treffen. Die Bilanz zwischen den beiden Conferences ist fast ausgeglichen. Die NFC gewann 26 Endspiele, die AFC 25.

Rekordsieger: Sechsmal haben die Pittsburgh Steelers den Super Bowl gewonnen und sind damit alleiniger Rekordhalter. Jeweils fünf Titel gewonnen haben die New England Patriots, Dallas Cowboys und San Francisco 49ers. 15 weitere Teams durften die Vince-Lombardi-Trophy schon in die Höhe stemmen.

Die Deutschen

Unter Vertrag: Nur einer von vier deutschen NFL-Spielern hat den Sprung in den endgültigen Kader seines Teams geschafft: der Hamburger Kasim Edebali, 28, gehört zum 53 Mann starken Kader der Denver Broncos. Das fränkische Brüderpaar Mark und Eric Nzeocha darf aber ebenfalls noch hoffen: Mark wurde von den Dallas Cowboys für die Trainingsmannschaft verpflichtet, Eric gehört seit Beginn der Vorbereitung zum erweiterten Kader der Tampa Bay Buccaneers.

Entlassen: Für Moritz Böhringer und Kevin Davis ist der Traum von der NFL Stand heute außer Reichweite. Der Aalener Böhringer wurde von den Minnesota Vikings entlassen, er hatte die vergangene Saison in der Trainingsmannschaft des Teams verbracht, aber nicht die für einen Kaderplatz nötigen Fortschritte gemacht. Er absolvierte am Mittwoch ein Probetraining bei den Detroit Lions. Davis, Sohn einer Bayreutherin, schaffte bei den Los Angeles Rams den Cut nicht. Er hat sich schon vor dem Ausflug in die NFL vorgenommen, im Falle einer Entlassung als Feuerwehrmann zu arbeiten.

Karriereende: Nach der Saison 2016 hörten die drei prominentesten deutschen Footballer auf. Björn Werner ist immer noch der einzige Deutsche, der in der ersten Runde des Drafts, dem Auswahlverfahren für Talente, ausgewählt wurde. 2016 wurde er von den Indianapolis Colts entlassen, er entschied sich gegen die Fortsetzung seiner Laufbahn, als er merkte, dass die Teams ihm wegen seiner kaputten Knie keine neue Chance geben würden. Markus Kuhn ist der einzige Deutsche, der in der NFL einen Touchdown erzielt hat. Er verpasste 2016 nach vier Jahren bei den New York Giants den Sprung in den endgültigen Kader der New England Patriots und machte daraufhin Schluss. Sebastian Vollmer ist der einzige Deutsche, der den Super Bowl gewonnen hat - und das sogar zweimal. Beim zweiten Mal 2016 fehlte er jedoch verletzt.

Die Kuriositäten

Spielen oder nicht spielen: Der eine möchte mehr Geld, der andere einfach nur einen Vertrag. Aaron Donald ist der wichtigste Verteidiger der Los Angeles Rams - und einer der besten NFL-Spieler auf der Position des Defensive End. So möchte er auch bezahlt werden. Weil das bislang nicht passiert ist, streikt Donald. Was Colin Kaepernick darüber wohl denkt? 2013 führte der Quarterback die San Francisco 49ers in den Super Bowl, jetzt ist er arbeitslos und findet im Gegensatz zu einigen weniger talentierten Spielmachern keinen Job mehr. Schreckt seine politische Haltung gegen rassistische Polizeigewalt die Teams ab? Wahrscheinlich ja.

Rücktritt vom Rücktritt: "In welche Kamera soll ich schauen?", fragte Marshawn Lynch in einem Interview 2016 und sagte dann, er komme definitiv nicht zurück in die NFL. Ein Jahr später steht er jetzt wieder auf dem Feld, für das Team seiner Heimatstadt Oakland. Warum? Weil die Raiders 2019 von der Westküste nach Las Vegas umziehen. Wenn sie geblieben wären, wäre er vermutlich nicht zurückgekehrt, sagt er.

Welcome back to Los Angeles: Die Raiders sind nicht das einzige Team, das umzieht. Vor ihnen haben sich 2016 die St. Louis Rams auf nach Los Angeles gemacht. Dort werden sie 2017 mit den ehemaligen San Diego Chargers um die Gunst der Fans kämpfen. Die milliardenschweren Stadionneubauten untermauern, wie sehr die NFL vor allem eines ist: ganz großes Business.

Die Gesperrten

Vontaze Burfict: Jahr für Jahr verschärft die NFL die Regeln, die festlegen, wie ein Spieler seinen Gegner attackieren darf. Burfict, Verteidiger der Cincinnati Bengals, scheint die Änderungen zu ignorieren, weshalb er von der Liga nun für drei Spiele gesperrt wurde. Der 26-Jährige fiel in der Vorbereitung wiederholt mit krass unsportlichem Verhalten auf, immer wieder attackierte er auch in den vergangenen Jahren gezielt den Kopf seiner Gegenspieler.

Ezekiel Elliott: Der Runningback der Dallas Cowboys bestreitet, im Juli 2016 mehrfach auf seine damalige Freundin losgegangen zu sein. Die NFL hält dagegen und behauptet, "glaubwürdige Beweise" zu haben, dass Elliott gegenüber der Frau gewalttätig geworden ist. Die sechs Spiele Sperre, die die Liga daraufhin verhängte, wurden am Freitag auf Eis gelegt, weil der Richter zur Ansicht gelangte, Elliott habe keine faire Anhörung erfahren. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen - und bis dahin ist Elliott spielberechtigt.

Jalen Collins: Weil er wiederholt des Dopings überführt wurde, sperrte die NFL den Verteidiger der Atlanta Falcons für zehn Spiele. Mit der kryptischen Begründung, der Spieler habe gegen die Richtlinie für leistungssteigernde Substanzen verstoßen, wurden in der Offseason mehrere Akteure gesperrt. Die Zahl liegt im niedrigen zweistelligen Bereich, ist aber noch kein Beweis für hartes Durchgreifen gegen Doping.

Die Trainer

Bill Belichick: Wenn der Cheftrainer der New England Patriots wie so oft grimmig aus seinem Kapuzenpulli blickt, fragt man sich, ob seine Spieler Angst vor ihm haben. Vielleicht ist das tatsächlich so, denn Belichick ist für eine kompromisslose Personalpolitik bekannt, mit der er sein Team Jahr für Jahr zum Favoriten macht. Kritiker dagegen führen den Erfolg der Patriots zurück auf Belichicks Hang zum Ausreizen des Reglements - und bezeichnen ihn als notorischen Regelbrecher.

Sean McVay: Der neue Trainer der Los Angeles Rams ist der Julian Nagelsmann der NFL. Anfang 2017 übernahm er als jüngster Head Coach der modernen NFL-Geschichte den Chefposten. McVay, 31, gilt als Offensiv-Genie, er soll das junge und bislang wenig überzeugende Quarterback-Talent Jared Goff zum Star des Teams machen. McVay zur Seite steht in dieser Saison Defensiv-Guru Wade Philips - und der hebt mit seinen 70 Jahren den Altersschnitt wieder deutlich an.

Pete Carroll: Der Cheftrainer der Seattle Seahawks ist mit 65 Jahren zwar der älteste der Liga, doch das hindert ihn nicht daran, jubelnd am Spielfeldrand auf und ab zu rennen wie ein 20-jähriger Rockstar. Sein Mantra: "Always compete", immer im Wettbewerb stehen, wird vielleicht gerade deshalb gut angenommen. So hat Carroll in Seattle eine Kultur geschaffen, die es auch zunächst schwächer eingeschätzten und übersehenen Spielern ermöglichte, den Durchbruch zu schaffen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: