Football:Auf die Knie

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Arbeitslose Protestierer: Colin Kaepernick (links) und Eric Reid klagen gegen die NFL. (Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)

In der Debatte um protestierende Profis betreten Football-Liga und Spielergewerkschaft die nächste Eskalationsstufe. Ein Tweet von Präsident Trump könnte eine wichtige Rolle spielen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Um 18.05 Uhr wird es zum ersten Mal richtig laut auf der Queen Mary, es ist dieser Lärm, wenn Leute entsetzt und erfreut zugleich sind. Die Los Angeles Chargers feiern eine Draft-Party auf dem legendären Kreuzfahrtschiff im Hafen von Long Beach, es dauert noch, bis die Football-Franchise bei der jährlichen Talentbörse selbst an der Reihe ist. Die Fans analysieren deshalb die Wahl anderer Klubs, und schon die erste sorgt für Verblüffung und Schadenfreude: Die Cleveland Browns wählen den Quarterback Baker Mayfield.

Das ist deshalb amüsant, weil diese Wahl die Meinung selbst der meisten Cleveland-Anhänger bestätigt, dass die Browns der am unprofessionellsten geführte Profiklub der Welt ist. Die Browns haben in den vergangenen beiden Spielzeiten insgesamt nur eine Partie gewonnen und in den letzten 13 Jahren sieben Quarterbacks gedraftet, von denen aktuell kein einziger einen Stammplatz bei einem Team der National Football League (NFL) hat.

Zwei Wochen ist diese Draft nun her, in Verbindung mit einigen Enthüllungen rund um die NFL verdeutlicht sie, wie dieses Sportunternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 14 Milliarden Dollar funktioniert, welche gesellschaftliche Rolle sie in den USA hat, was der US-Präsident Donald Trump mit allem zu tun hat. Wer die Puzzleteile zusammensetzt und das Gesamtbild betrachtet, dürfte über die Vorgänge so erstaunt sein wie die Chargers-Fans über die Draft-Strategie der Browns.

New York, Oktober 2017. In der NFL-Firmenzentrale auf der Park Avenue treffen sich Ligaverantwortliche, Teambesitzer und Spieler. Der Inhalt der Gespräche, darum bittet NFL-Chef Roger Goodell gleich zu Beginn, soll geheim bleiben; der New York Times wird sechs Monate später dennoch eine Aufzeichnung des dreistündigen Gesprächs zugespielt. "Dieses Hinknien", sagt Robert Kraft damals, Besitzer der New England Patriots und Freund von Trump: "Das Problem ist doch, dass wir einen Präsidenten haben, der das als Munition für seine Mission nutzt, die meiner Meinung nach nicht im besten Interesse der USA ist. Das Hinknien ist polarisierend und deshalb schrecklich." Bob McNair, Eigentümer der Houston Texans, wird noch deutlicher. "Ihr Jungs müsst euren Kumpels sagen, dass sie das bleiben lassen sollen", fordert er die anwesenden Profis auf.

Zwei Jahre zuvor hatte Colin Kaepernick mit diesem Hinknien während des Abspielens der Nationalhymne angefangen, um gegen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner zu protestieren. Andere Profis machten es dem damaligen Spielmacher der San Francisco 49ers nach, sie wurden dafür auf sozialen Netzwerken und von den Stadiontribünen zum Teil schlimm beschimpft. Zu Beginn der vergangenen Saison äußerte sich Trump zum Thema: "Wäre es nicht großartig, wenn ein Klubbesitzer, sollte jemand unsere Flagge nicht respektieren, sagen würde: ,Schafft den Hurensohn vom Feld! Raus! Er ist gefeuert!'"

Die Profis müssen beweisen, dass es eine Verschwörung gibt - ein Trump-Tweet könnte da helfen

Kaepernick war da bereits seit mehr als einem Jahr arbeitslos, er ist es heute noch - und genau darum geht es bei diesem Gespräch in der NFL-Zentrale. Trump hatte schon vor seiner Tirade über Kaepernick verkündet: "Ich habe gelesen, dass die Besitzer ihn nicht verpflichten wollen, weil sie Angst vor einem bösen Tweet von Donald Trump haben. Sie fürchten, dass viele Fans protestieren, wenn ich mich dazu äußere." Chris Long, Defensivspieler des späteren Meisters Philadelphia Eagles, möchte nun von den Teambesitzern wissen, ob das stimmt: "Er wurde hängen gelassen. Alle Spieler in diesem Raum glauben, dass er im Kader einer Mannschaft sein sollte."

Es wird so ruhig im Raum, wie es bei einer Besprechung nur dann wird, wenn alle wissen, dass das soeben Gesagte wahr ist und keiner mit dem nächsten Satz einen Fehler machen will. Alle Anwesenden wissen, dass Kaepernick auch mit 30 Jahren gut genug ist, beinahe jedem Team dieser Liga helfen zu können, ob als Stammspieler oder als Ersatzmann.

Sechs Monate nach diesem Treffen, am 8. Mai, reicht die Spielergewerkschaft NFLPA eine offizielle Beschwerde bei der Liga ein: Die Cincinnati Bengals hätten den 26 Jahre alten Verteidiger Eric Reid, der einst mit Kaepernick bei den 49ers gespielt hat und derzeit einen neuen Klub sucht, nur deshalb nicht verpflichtet, weil der beim Gespräch mit Verantwortlichen erklärt habe, während der Nationalhymne knien zu wollen. Reid selbst hat ebenfalls Beschwerde eingereicht, so wie Kaepernick bereits vor einigen Monaten.

Dazu muss man wissen, dass der demonstrative Patriotismus vor NFL-Partien - footballfeldgroße Flaggen, Kampfflugzeuge über den Stadien, Ehrung verdienter Soldaten - daher rührt, dass amerikanisches Verteidigungsministerium und Nationalgarde seit 2009 mehrere Millionen Dollar dafür zahlen; erst seitdem müssen die Profis während der Nationalhymne neben dem Spielfeld sein, davor waren sie in der Umkleidekabine geblieben.

Die NFL kann die Proteste aufgrund bestehender Tarifverträge nicht verbieten. Sie kann jedoch die Verantwortung auf die einzelnen Franchises übertragen, und es heißt aus dem Umfeld der Liga, dass NFL-Chef Goodell beim Treffen der Teambesitzer am kommenden Wochenende in Atlanta genau das vorschlagen möchte. Es sind viele Dinge geregelt in den vielen NFL-Verträgen: wie viele Dosen Softdrinks der Gastmannschaft zur Verfügung gestellt werden müssen; wie viele Minuten ein Akteur pro Woche trainieren darf; dass ein Profi pro Kilo Übergewicht mit einer Maximalstrafe von 665 Dollar belegt werden darf - nur zu Protesten während der Nationalhymne steht da nichts. Es heißt nur, dass eine Franchise den Vertrag mit einem Akteur kündigen darf, wenn "sein Verhalten den Klub nach Ansicht des Klubs negativ beeinflusst". Cowboys-Besitzer Jones sagte bereits, dass "die Liga unter den Folgen der Proteste leidet" und er jeden Spieler wenigstens auf die Ersatzbank verbannen wolle, der "die Flagge nicht respektiert". Der Rückgang der TV-Zuschauerzahlen um neun Prozent in der vergangenen Saison dient den Besitzern als Argument für den Schaden, auch wenn er womöglich gar nichts mit den Protesten zu tun hat.

Akteure wie Kaepernick und Reid müssen nun beweisen, dass sich mindestens zwei NFL-Teams (oder die Liga und ein Klub) gegen sie verschworen haben. Die Aufzeichnungen vom Treffen im Oktober schaden zwar dem Image der Klubeigner, reichen jedoch nicht. Was helfen könnte: ein Twitter-Eintrag des Präsidenten, in dem er sich dafür rühmt, dass Kaepernick und Reid nur deshalb noch immer arbeitslos seien, weil Liga und Klubs vor ihm kuschen. Das wäre ein Hinweis auf eine kollektive Verbannung der beiden.

Bis dahin können die Eigentümer behaupten, dass es ausschließlich sportliche Gründe für die Nichtverpflichtung von Kaepernick, Reid und anderen gebe. Die Cleveland Browns dürfen schließlich auch seit zwei Wochen unerschütterlich behaupten, dass sie Baker Mayfield für einen besseren Spielmacher als Colin Kaepernick halten.

© SZ vom 18.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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