Flügelflitzer:"DY-NA-MOOOO!"

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Der Sozialismus fasst endlich Fuß in den USA. Von ganz unten schleicht er sich in die amerikanische Gesellschaft: über den Profifußball.

Lars Spannagel

Wer hätte das gedacht: Der Sozialismus lebt! Für sein Comeback hat sich der Genosse unter den Weltanschauungen allerdings die denkbar kleinste Bühne ausgesucht: den amerikanischen Profifußball. Am vergangenen Wochenende unterlagen die Fußballer der New England Revolution im Finale der Major League Soccer (MLS) gegen - jetzt kommt's - Houston Dynamo.

Die Texaner reihen sich damit ein in eine lange Reihe ruhmreicher Dynamo-Mannschaften. Ein Dresdner Verein dieses Namens wurde achtmal DDR-Meister und gewann siebenmal den FDGB-Pokal, Dynamo Berlin war von 1979 bis 1988 durchgängig Meister im Arbeiter- und Bauernstaat. Weißwasser, Moskau, Zagreb, Bukarest, Kiew und Tiflis - ob mit Di- oder Dy- geschrieben - die Liste der Dynamos ist lang und illuster. Wer allerdings in Geographie einigermaßen bewandert ist, wird feststellen, dass all diese Städte zwar nördlich des Rio Grande liegen, aber auch ein Stück östlicher als - sagen wir - El Paso.

Wie kommt es, dass eine Mannschaft aus dem Texas im 21. Jahrhundert (Steaks, Trucks, George W.) sich einen Namen gibt, den man eher im Ostblock der 1980er (Borschtsch, Lada, Breschnew) vermuten würde? Zunächst einmal ist Houston Dynamo ein junger Verein. Erst 2005 packte die MLS die Mannschaft San Jose Earthquakes in Kalifornien ein und in Houston wieder aus. Da saß sie nun und wartete auf einen schmissigen Namen.

In einer Internetabstimmung entschied sich die Zielgruppe gegen ur-texanische Namen wie Lonestars, Generals, Stallions oder Mustangs, "Houston 1836" sollte die Mannschaft heißen, abgeleitet vom Gründungsjahr der Stadt und angelehnt an europäische Teams wie Schalke 04 oder 1860 München. Was die Namensgeber vergessen hatten: Nicht alle Texaner erinnern sich gerne an das Jahr 1836. Damals war Texas noch Teil Mexikos und erklärte sich unabhängig. Blutige Auseinandersetzungen gipfelten in der Schlacht von San Jacinto, in der General Sam Houston den Mexikanern eine der größten Niederlagen ihrer Geschichte zufügte. Texas wurde eine freie Nation, seither verbinden Mexikaner die Zahl 1836 mit einer großen Schmach.

Eigentlich kein Problem. Allerdings sind knapp 40 Prozent der Bevölkerung Houstons mexikanischer Abstammung, ein Großteil der angepeilten Fanbasis des Vereins rebellierte gegen den neuen Markennamen. Ein anderer musste her. Dynamo sollte an Houstons Energieindustrie erinnern und gleichzeitig nach großem Fußball klingen.

Wann dürfen die Fans Lokomotive Louisville zujubeln?

Dynamo ist nicht das einzige nordamerikanische Fußballteam, das seinen Namen vom Fußball-Mutterkontinent Europa abgekupfert hat: D.C. United, Toronto FC und FC ("Futbol Club") Dallas sind Gegner in der MLS. Einer Mannschaft in Utah wurde sogar die große Ehre zuteil, sich nach einem der erfolgreichsten europäischen Klubs zu benennen: Real Salt Lake war geboren, komplett mit goldenem Krönchen im Logo. Die Männer aus dem Mormonenstaat spielten in der vergangenen Saison allerdings wenig königlich: Real wurde Vorletzter.

Da Houston nun schon zum zweiten Mal in Folge US-Meister wurde, kann man schon von einer kleinen Dynamo-Dynastie sprechen. Vielleicht beendet dieser Triumph eine Ära, in der sich Baseballclubs Washington Nationals nannten und die New England Patriots die Football-Liga NFL dominierten. Immerhin trägt Dynamo schon einen fünfzackigen Stern im Vereinswappen. Klein zwar, rot ist er auch nicht, aber der Anfang ist gemacht.

Vielleicht ist der Profifußball die einzige Nische in den USA, in der Sozialismus weitgehend unbemerkt gedeihen kann. Vereine wie Lokomotive Louisville, Vorwärts Phoenix, Spartak Las Vegas, Torpedo San Diego und BSG Sachsenring Indianapolis werden die rote Fahne und die internationale Solidarität in die vom Kapitalismus verkrusteten Herzen und Hirne der Amerikaner tragen. Bald - sehr bald schon - werden amerikanische Fußball-Kommentatoren ihren Landsleuten zurufen: "Liebe Väter zu Hause, haben Sie Mut: Nennen Sie ihre heute geborenen Söhne DY-NA-MOOOO!" Lebt Erich Mielke eigentlich noch?

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