Flügelflitzer: Der Kunstrasen:Herr Ballack, ich beiße nicht

Die Leitung der DFB-Elf beschließt, einen Kunstrasen-Trainer zu engagieren. Der soll Michael Ballack das Schießen beibringen. Eine Tragödie.

Thomas Hummel

Dienstagabend in einem Nebenzimmer des Mainzer Hyatt-Hotels. Der Raum ist kaum beleuchtet, nur das schummrige Licht einer Tischlampe erhellt die ernsten Gesichter von Bundestrainer Joachim Löw, Ko-Trainer Hansi Flick und Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff.

Löw (blickt irgendwo ins Dunkle): "Kein Alibi. Das darf kein Alibi sein." Bierhoff (beugt sich vor): "Aber Jogi, sei vernünftig, Du hast sie heute schießen sehen auf diesem verdammten Platz. Sie treffen keinen Ball. Sei vernünftig." Löw: "Das darf kein Alibi sein. Darf es nicht sein." Flick: "Kein Problem, Jogi. Ich krieg das hin. Ich hab mir Lehrbücher zum Thema 'Training auf dem Kunstrasen' aufs Zimmer kommen lassen. Morgen wird alles besser." Bierhoff (beachtet Flick nicht): "Jogi, sei vernünftig. Du hast sie heute kicken sehen, wir brauchen einen Spezialisten. Ich kenn da einen guten Mann in Salzburg." Flick: "Das ist kein Problem. Ich krieg ..." Bierhoff: "Jogi, sei vernünftig. Wir holen den Österreicher, der wird es ihnen schon beibringen." Löw (stiert weiter ins Dunkle, mit leiser werdender Stimme): "Das darf kein Alibi sein. Darf es nicht."

Mittwoch auf dem Kunstrasenplatz des FSV Mainz, zum Geheimtraining erscheint ein kleiner Herr, fast ein Knirps, mit rosa Baseballkappe, die kleinen Augen sind im aufgeschwemmten Gesicht kaum zu erkennen, unter dem neuen DFB-Trainingsanzug wölbt sich ein enormer Bauch. Bierhoff begleitet ihn auf den Platz und ruft die Mannschaft zusammen.

Bierhoff: "Leute, das ist Herr Gschwendtnermeier aus Salzburg. Er ist ein echter Kunstrasenkenner und wird euch heute ein paar Feinheiten beibringen." Michael Ballack (drückt die Brust noch ein wenig mehr nach vorne als sonst): "Feinheiten. Aha."

Neben Ballack können Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski ein Lachen kaum unterdrücken.

Löw (geht hinter der Spielertraube auf und ab, stiert in den Plastikboden und flüstert): "Das darf kein Alibi sein, darf kein Alibi sein."

Ko-Trainer Flick lehnt an einem Zaun, hat die Arme verschränkt und weigert sich, den Platz zu betreten.

Gschwendtnermeier: Servas mitanand. I moan allawei, des is des erste Moi seid Cordoba, dass die Deitschn von de Österreicha was lerna kenna im Fuaßboi. Oiso gengas amoi her, Herr Ballack. I zoag ehana jetz amoi, wia ma auf so am Plotz a Goal schiaßt.

Gschwendtnermeier lächelt und macht eine einladende Bewegung mit dem Arm. Ballack wendet den Blick zu Bierhoff, die starke Stirn zieht sich tief über die Augen. Bierhoff hält dem Blick stand. Sekunden vergehen, Gschwendtnermeier hält immer noch den Arm hoch, Podolski und Schweinsteiger hören auf zu Grinsen. Keiner der 21 Mitspieler spricht, hinter der Traube hüpft Löw auf und ab und versucht, etwas zu sehen. Dann: Ballack bewegt einen Fuß fast in Zeitlupe nach vorne, dann den zweiten. Schließlich zieht ihn Gschwendtnermeier an sich heran, umarmt ihn fast.

Gschwendtnermeier: "Koa Angst, Herr Ballack. I beiß ned."

Gschwendtnermeier und Ballack gehen Arm in Arm Richtung Strafraum, während Ballack versucht, den Kopf zu drehen, um Bierhoff nicht aus den finsteren Augen zu lassen.

Gschwendtnermeier: "Oiso, Herr Ballack, oda derf i Michi sogn? (Ballack blickt sehr finster). Oiso dann, Michi, do, auf dem Plastik, da wennst was treffn wuist, dann muaßt beim Schuss dei Standbein a bisl weiter nach vorn stelln, den Körper a bisl weita nach vorn legn und vor allem den Fuaß vom Schussbein durchstreckn. Durchstreckn! Wennst ned durchstreckst, Michi, dann geht nix. Host mi verstandn, Michi? (Ballacks Gesicht scheint wie versteinert, die Halsschlagader tritt bedenklich weit nach außen). Oiso, Michi, probier ma's!"

René Adler (steht inzwischen im Tor): "Aber nicht zu fest, bitte. Der Ball wird ja so unheimlich schnell hier."

Ballack blickt sich um, versucht Bierhoff zu finden, sieht aber nur die gebannt auf ihn blickenden Mitspieler und dahinter den Löw, der auf und ab hüpft, um etwas zu sehen. Ballack schreitet wie in Zeitlupe zurück, fixiert den Ball und läuft los. Sein Schuss schlägt wie ein Torpedo im oberen rechten Eck ein.

Löw (läuft nach diesem Schuss los, mit erhobenen Armen, schreiend): "Es ist kein Alibi! Es ist kein Alibi!"

Löw rennt über den ganzen Platz, bis zum schmollenden Flick, umarmt ihn, rüttelt an ihm herum und schreit ihn an: "Es ist kein Alibi! Wir sind die besten! Wenn das der Hiddink gesehen hätte!"

Auch Ballack rennt los, er hat Oliver Bierhoff nahe der Außenlinie entdeckt. Er stellt sich fünf Zentimeter vor ihm auf, zieht die mächtige Stirn über die Augen, drückt Halsschlagader und Brust mit aller Kraft heraus.

Alle Mitspieler springen, tanzen, umarmen sich, Schweinsteiger und Podolski hetzen auf Ballack und Bierhoff zu, Podolski klatscht Ballack die Hand ins Gesicht.

Podolski: "Hey, Mann, hey. Geiler Schuss. Wahnsinn!"

Ballack und Bierhoff stehen sich weiterhin Nase an Nase regungslos gegenüber.

Bierhoff: "Hast was gelernt von netten Herrn Gschwendtnermeier?" Ballack: "Feinheiten. Schöne Feinheiten."

Dabei zerreißt er wie in Zeitlupe sein Trainingstrikot bis seine geschwollene Brust in ganzer Pracht zu sehen ist. Während im Tor der völlig zerknirschte René Adler kauert.

Adler: "Ich hab doch gesagt, nicht so fest. Auf diesem Kunstrasen kann ich einfach keinen Ball halten."

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