Flüchtlinge im Fußball:Anpfiff in der neuen Heimat

Kronau DEU 11 09 2015 Welcome Schnuppertraining fuer Fluechtlinge aus der Gemeinschaftsunterkunft

Flüchtlinge auf deutschen Trainingsplätzen, hier in Kronau.

(Foto: Gustavo Alabiso/Imago)

Vom Kreisligaverein bis zum Bundesligisten: Viele Klubs in Bayern engagieren sich für Flüchtlinge. Oft geht es nur darum, den Menschen etwas Ablenkung zu bieten.

Von Christopher Gerards

Marcus Steer will gerade erzählen, wie das alles kam mit dem FC Wacker München und den Flüchtlingen, da hört er in der Einfahrt des Sportplatzes lauter werdende Stimmen. Der 42-Jährige entschuldigt sich, er muss jetzt kurz raus aus dem Vereinsheim in München-Sendling, einige Spieler begrüßen. Jugendliche, die aus ihrer Heimat geflohen sind. Immer dienstags kommen sie zum Fußballtraining des FC Wacker. Steer, der Klub-Vorstand, stellt sich an die Tür des Vereinsheims und hebt die rechte Hand. Der erste Spieler klatscht ab, der zweite, der dritte. Steer sieht zufrieden aus.

In dieser Woche beginnen wieder die europäischen Wettbewerbe im Profifußball, die Sterne der Flagge der europäischen Union finden sich in den Werbebannern wieder. Angesichts der aberwitzigen Ablösesummen hatte der Profifußball in diesem Sommer den Eindruck hinterlassen, dass es den Klubs vor allem ums Geld geht. Allerdings zeigt der Fußball in diesem Spätsommer auch dies: dass er die Menschen verbinden kann, im Großen wie im Kleinen. Bundesligisten laden Flüchtlinge zu ihren Spielen ein, Fans bekunden auf Plakaten ihre Unterstützung, und Amateurmannschaften nehmen Flüchtlinge in ihre Kader auf. Wie der FC Wacker München.

"Spiel ab", "links raus", "forward"

Steer steht jetzt an einem der drei Trainingsplätze, ein Vereinsvorsitzender in Jeans und Skater-Schuhen. Über den Rasen laufen Spieler in Trikots ihrer Lieblingsmannschaften, Real Madrid, Brasilien, Eintracht Frankfurt. "Spiel ab", "links raus", "forward", schallt es über das Feld. Seit 2008 ist der 42-Jährige im Vorstand des FC Wacker, und im selben Jahr war es, dass er das erste Mal Flüchtlinge zum Training einlud. Heute zählt der Münchner Traditionsklub 500 Mitglieder aus 52 Ländern. In den drei Männermannschaften gibt es derzeit 62 Spieler, die in Asylverfahren waren oder kommen; außerdem gibt es eine Mannschaft für Jugendliche, die in Erstaufnahmeeinrichtungen leben - und womöglich nicht lange bleiben können.

"Fußball kann ein bisschen Ablenkung bieten", so sieht Steer das. Er hat die Geschichten der Flüchtlinge gehört und ihren Alltag in den Unterkünften gesehen. Beim Fußballspielen können sie sich austoben und neue Leute kennenlernen, sagt er. Den monatlichen Mitgliedsbeitrag von 15 Euro pro Erwachsenen müssen sie nicht zahlen. Für Steer ist das bislang eine Selbstverständlichkeit: "Ein Verein ist ja immer eine Ansammlung von Menschen, die einander helfen", sagt er. Klubs könnten allerdings Hilfe bei der Sozialstiftung des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV) anfordern, sagt BFV-Sprecher Thomas Müther. Die Egidius-Braun-Stiftung des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) gewährt anfragenden Vereinen für ihre Flüchtlingsarbeit eine Starthilfe von 500 Euro.

Muzinga, 19, grauer Pullover, weiße Hose, rote Fußballschuhe, geht vom Feld zurück zur Umkleidekabine. Seit elf Monaten lebt er in Deutschland, er ist aus dem Kongo geflohen. Sein Vater sei umgebracht worden, "er war ein politischer Mann", sagt Muzinga in gebrochenem Englisch. Über Frankfurt und Dortmund kam er schließlich nach München, wo er anfangs in einer Turnhalle in Pullach untergebracht war. Dort hat er auch vom FC Wacker erfahren, wo er jetzt seit zwei Wochen in der dritten Mannschaft spielt.

Warten auf den Spielerpass

Im Moment darf Muzinga nur trainieren, er wartet noch auf seinen Spielerpass. Das liegt an den Regularien des Fußball-Weltverbands Fifa: Wenn ein Spieler in seiner Heimat im Verein gemeldet war, handelt es sich um einen "internationalen Wechsel". Der BFV beantragt dann über den DFB eine Freigabe beim Verband im Herkunftsland. Kommt keine Antwort, was oft vorkommt, weil die Spieler häufig aus Krisenregionen stammen, kann der BFV nach 30 Tagen die Spielberechtigung ausstellen. Muzinga wartet daher noch. Bald aber will er im Ligabetrieb auflaufen, gern als Außenstürmer, das ist seine Lieblingsposition. Seine Ziele für die Saison? "Just play football", sagt Muzinga, einfach nur Fußball spielen.

FC Wacker München Fußball Flüchtlinge Christopher Gerards

Ablenken, austoben, willkommen fühlen: Seit 2008 lädt der FC Wacker München Flüchtlinge zu sich ins Training, inzwischen spielen 62 fest im Verein.

(Foto: Christopher Gerards)

Jeden Tag melden sich bei Wacker-Vorstand Steer Sozialarbeiter oder Mitarbeiter aus Flüchtlingsunterkünften. Sie fragen, ob sie noch einen Spieler zum Training schicken dürfen. Spenden ermöglichen, dass der FC Wacker dann vielen der Flüchtlinge die Fahrkarte für Bus oder U-Bahn bezahlt, Minderjährige bekommen von zugeteilten Betreuern Fahrkarten. Ein Sponsor bei Wacker stellt neben den Trikots auch Fußballschuhe und Schienbeinschoner für die Flüchtlinge.

Vom Kreisligaverein bis in die Bundesliga

Diese bekommen durch den Fußball "eine gewisse Regelmäßigkeit in ihrem Alltag", sagt BFV-Sprecher Müther, "sie erfahren Wertschätzung und auch - ganz wichtig - das Gefühl, willkommen zu sein." Es gebe "viele, viele Vereine, die wahnsinnig aktiv sind", sagt er, auch wenn der BFV nicht beziffern kann, wie viele Klubs sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren. Fest steht nur: Das Engagement geht vom Kreisligaverein bis hin zum Bundesligisten.

Da ist zum Beispiel der ESV Neuaubing aus München, seit August spielt er mit einer Flüchtlingsmannschaft in der C-Klasse - zuvor war der Klub ohne Männermannschaft. Der TSV Friedberg III tritt in der Reserverunde Aichach/Friedberg mit einem Kader an, in dem ausschließlich Flüchtlinge spielen. Es gibt Vereine, die Kleider- und Schuhsammlungen organisieren, Sprachkurse und Fahrdienste.

Der FC Bayern hat erklärt, eine Million Euro zu spenden und zudem ein Trainingscamp für Flüchtlingskinder zu organisieren. Bundesligist FC Augsburg und Zweitligist 1. FC Nürnberg haben wie schon bereits vergangene Saison Flüchtlinge ins Stadion eingeladen. Fans des Zweitligisten Greuther Fürth zeigten bei einem Spiel eine Choreografie mit dem Slogan: "Refugees welcome" - Flüchtlinge willkommen. Anhänger des Zweitligisten 1860 München wollen Ende September mit Flüchtlingen das Spiel gegen RB Leipzig besuchen.

Auf der Sportanlage des FC Wacker München erlöschen jetzt die Flutlichter, das Training ist vorbei. Marcus Steer sitzt im Vereinslokal und schneidet große Stücke aus einem Schnitzel. An den Wänden hängen Wimpel, die von der Historie des FC Wacker zeugen: Sechsmal war der Klub bayerischer Amateurmeister, zuletzt 1976. Heute spielt die erste Mannschaft in der Kreisklasse, weshalb es bei Wikipedia heißt, der FC Wacker sei nur noch ein Verein "von untergeordneter Bedeutung". Marcus Steer lächelt, als er das hört. Dann sagt er: "Ich glaube, das muss man mal korrigieren."

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