Flemming Povlsen:"Nie mehr Europameister"

Flemming Povlsen: Betont locker in Göteborg: Präsentiert von einer eher turnerhaft ausstaffierten Fahnenträgerin geht die dänische Elf (von links: Lars Olsen, Peter Schmeichel, Flemming Povlsen, Kent Nielsen, John Faxe Jensen, Kim Christofte, John Sivebaek, Torben Piechnik, Brian Laudrup, Henrik Larsen, Kim Vilfort) ins EM-Finale.

Betont locker in Göteborg: Präsentiert von einer eher turnerhaft ausstaffierten Fahnenträgerin geht die dänische Elf (von links: Lars Olsen, Peter Schmeichel, Flemming Povlsen, Kent Nielsen, John Faxe Jensen, Kim Christofte, John Sivebaek, Torben Piechnik, Brian Laudrup, Henrik Larsen, Kim Vilfort) ins EM-Finale.

(Foto: imago)

25 Jahre liegt der EM-Titel der Spaßfußballer zurück. Flemming Povlsen glaubt, dass Außenseiter-Siege heute fast unmöglich geworden sind.

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Die Testpartie in Dänemark am heutigen Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) erinnert den DFB an eine der bittersten Niederlagen der deutschen Länderspiel-Geschichte: Im Finale der EM 1992 in Schweden verlor der aktuelle Weltmeister Deutschland völlig überraschend gegen elf dänische Spaßfußballer. Der dänische Angreifer Flemming Povlsen, heute 50 Jahre alt, früher Bundesligaprofi beim 1. FC Köln (1987 bis 1989) und bei Borussia Dortmund (1990 bis 1995), stand in diesem EM-Finale auf dem Platz. Er erzählt vom Mythos der "Fast-Food-Europameister".

SZ: Herr Povlsen, reden wir über den Sommer 1992. Sie waren 25, ein dynamischer Stürmer beim BVB - und hatten eigentlich andere Pläne als die EM, oder?

Povlsen: Ich bin damals mit der Borussia für ein paar Testspiele durch Deutschland getingelt, und ich saß im Bus, als der Anruf kam. Es hieß: Ihr müsst zur EM, Jugoslawien ist wegen des Balkankrieges ausgeschlossen worden. So riesig gefreut habe ich mich im ersten Moment nicht, denn ich war mir nicht sicher: Haben wir wirklich eine Mannschaft für so ein großes Turnier? Sind die anderen nicht zu gut? Deshalb musste ich kurz überlegen, ob ich zusage.

Anders als Ihre Teamkameraden hatten Sie immerhin keinen Urlaub gebucht.

Tatsächlich waren einige schon auf dem Weg in die Ferien, die mussten alles stornieren. Mein Problem war: Ich wusste, wir haben bei dieser EM eine Menge zu verlieren. Ich habe befürchtet, dass wir uns lächerlich machen. Um unser Nationalteam stand es nicht besonders, das Interesse an uns war gesunken, und die EM fühlte sich weit weg an. Ich habe ernsthaft gedacht, dass wir keine Chance haben. Aber wir haben uns getroffen und uns gesagt: Dann probieren wir es halt.

Die dänische Elf galt damals als Spaßtruppe, die sich die Zeit mit Minigolf und Würstchengrillen vertrieben hat. Was war das für eine Gruppe?

Wir kannten uns schon ewig aus diversen Jugendteams, aber auf so einem Niveau hatten wir noch nie gespielt. Und wir waren es nicht gewohnt, so lange zusammen zu sein. Zum Glück war unser Trainer Richard Möller Nielsen ein lustiger Typ, der wusste, dass wir Freiheiten brauchen. Wir wollten uns die Lockerheit bewahren, aber wir waren auch verantwortungsbewusst genug, um richtig Fußball zu spielen. Es war eine Riesen-Chance für jeden einzelnen, sich bei der EM zu präsentieren.

Keine Angst vor Lagerkoller?

Doch, den haben wir wirklich gefürchtet damals, also sind wir rausgegangen aus dem Hotel, sind an die schwedische Küste gefahren, haben gegrillt. Einmal sind wir auf Polizei-Motorrädern mitgefahren. Wir brauchten diese Abwechslung, um die Stimmung aufrechtzuerhalten. Als wir dann mit einem 0:0 gegen England gut ins Turnier gestartet sind, konnten wir uns noch mehr erlauben. Die Reporter aus anderen Ländern kamen zu uns, weil wir angeblich anders waren, offener. Und dann entstand die Geschichte mit dem McDonald's-Besuch ...

... der Mythos der "Fast-Food-Dänen", die mit Burgern und Cola den Titel holten.

Nach dem Halbfinal-Sieg gegen Holland hat unser Trainer gemerkt, dass wir Lust auf so was hatten. Klar, es gab auch zwei, drei Spieler, die meinten: Das können wir nicht machen! Aber dem Rest war's gerade recht. Also haben wir uns ein paar Burger reingehauen. Das war Dänemark, wie es leibt und lebt. Und das nächste Spiel war ja erst vier Tage später - was sollte schon passieren? Die meiste Zeit haben wir uns eh an den Ernährungsplan gehalten.

Sie waren also nicht täglich im Burger- Laden, wie es die Legende besagt?

Nein. Die Mannschaft war von dem Ausflug zu McDonald's halt begeistert, und die Beobachter waren verwundert. Und so bildete sich die Legende, dass wir jeden Tag so verbrachten. Dabei haben wir wirklich nur einmal dort gegessen.

Was für eine Dynamik hat sich in Schweden um "Danish Dynamite" entwickelt?

Wir hatten keine großen Namen, deshalb stellte sich die Mannschaft von alleine auf. Es gab keine Debatten darüber, wer spielen soll, weil einfach klar war: Das ist die erste Elf. Im Vergleich zu anderen Mannschaften war das ein großes Plus. Konkurrenzkampf kann ein Team kaputt machen, er kann den Zusammenhalt killen. Bei uns war keiner unzufrieden, niemand drängte sich in den Vordergrund. Unser Vorteil war, dass wir es gut miteinander aushielten.

Es heißt, dass die Gegner die Dänen bei dieser EM sehr lange nicht ganz ernst nahmen. Haben Sie das gemerkt?

Ja, schon, vor allem im letzten Gruppenspiel gegen Frankreich. Die haben uns auf die leichte Schulter genommen, das haben wir schon vor dem Anpfiff im Spielertunnel mitbekommen. Ich erinnere mich, wie die rumgeflachst haben nach dem Motto "Was wollt ihr denn hier?" Die Franzosen haben sich schon im Halbfinale gewähnt, die dachten, die Dänen schicken wir jetzt schnell nach Hause, die haben's ja nicht weit. Aber wir gewannen 2:1.

Am Ende ging's gegen Deutschland ins Endspiel. Hatten Sie keine Angst vor dem Weltmeister?

Klar war das eine große Herausforderung. Deutschland hatte immer noch ein großes Team mit Illgner, Kohler, Häßler oder Klinsmann. Auf dem Weg zum Stadion in Göteborg haben uns Teambetreuer Glückwunsch-Telegramme von dänischen Politikern und Ex-Fußballern vorgelesen. Und es lief wieder diese eine Elton-John-Kassette, die uns durchs Turnier getragen hatte, der Song "Rocket Man" war ein Hit.

Sie haben dann das 1:0 durch John Jensen mit einem Querpass vorbereitet.

Jürgen Kohler grätschte mir auf der rechten Seite den Ball vom Fuß, und so kam Andy Brehme in Ballbesitz. Er wurde dann von Kim Vilfort relativ hart angegriffen - aus heutiger Sicht wäre das vielleicht ein Freistoß für Deutschland gewesen. Plötzlich hatte ich den Ball am Strafraumeck, vor mir viele deutsche Beine. Ich sah, dass John Jensen einen Riesenanlauf nahm, habe den Ball zurückgelegt, und John traf ihn so gut, wie er ihn nie wieder getroffen hat. Das Tor kam zum idealen Zeitpunkt, denn die Deutschen waren besser, gefährlicher. Nur unser Torwart Peter Schmeichel hat uns im Spiel gehalten, während wir wie die Hasen herumgelaufen sind.

Trotzdem fiel noch das 2:0. Was ist in der Nacht nach dem Triumph passiert?

Der Trainer landete mit Klamotten unter der Dusche, der Prinz von Dänemark kam zum Gratulieren, es herrschte Ausgelassenheit. Aber schon eine halbe Stunde später befiel mich eine große Leere. Es war alles abgefeiert, und so saß ich da und dachte: War's das jetzt? Wie geht's jetzt weiter? Ein merkwürdiges Gefühl. Aber die Party in Kopenhagen erwartete uns ja erst noch, auf den Straßen Hunderttausende Menschen von null bis hundert - unvergesslich.

Sind solche Underdog-Erfolge im Fußball heute überhaupt noch möglich?

Für uns war es einmalig. Dänemark wird sicher nie mehr Europameister. Klar gibt es Geschichten wie Leicester City oder Griechenland bei der EM 2004, aber es wird schon immer deutlicher, dass jene Teams gewinnen, die auch viel Geld investieren können. Schade eigentlich, denn Außenseitersiege geben den Menschen Hoffnung. So was braucht der Sport.

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