Finale US Open:Das perfekte Leben

Flavia Pennetta gewinnt das Finale und kündigt nach dem Endspiel gegen Roberta Vinci ihren Rücktritt an - die beiden Freundinnen verliehen dem Turnier die dringend benötigte Leichtigkeit.

Von Jürgen Schmieder, New York

Sie saßen gemeinsam auf dieser Bank neben dem Netz, verschwitzt und abgekämpft und auch ein bisschen vom Regen durchnässt, doch Flavia Pennetta und Roberta Vinci wirkten nicht so, als hätten sie gerade im Finale eines Grand-Slam-Turniers gegeneinander gekämpft. In so einem Moment, da knuddelt die Gewinnerin gewöhnlich Freunde und Familie, die Unterlegene stopft schimpfend Schläger und Schweißbänder in ihre Tasche. Pennetta und Vinci jedoch sahen sich an, sie lächelten und plauderten, sie wirkten wie zwei Freundinnen, die sich ein paar Jahre lang nicht gesehen hatten und sich nun in einem Café auf dem Marktplatz von Brindisi gegenseitig Geschichten erzählten.

Geschichten von damals, als sie sich vor 24 Jahren zum ersten Mal bei einem Jugendturnier in Süditalien auf dem Tennisplatz begegneten. Wie sie drei Jahre lang gemeinsam in einer Wohnung des italienischen Tennisverbandes in Rom lebten. Wie sie im Jahr 1999 gemeinsam das Juniorendoppel bei den French Open gewannen. Leichte Sachen eben, bloß keine zu schweren Themen. Von denen gibt es genug auf der Welt, da soll sich der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi kümmern, der auf der Tribüne stand und den beiden applaudierte. Das hier ist nur Tennis.

Dieser Moment nach dem Finale, Pennetta hatte es 7:6 (4), 6:2 gewonnen, er sorgte für eine dringend notwendige Leichtigkeit bei diesen US Open. Es war wichtig für diese Veranstaltung, dass die 33 Jahre alte Pennetta und ihre ein Jahr jüngere Freundin dieses Endspiel bestritten, schließlich war dieses Turnier zwei Wochen lang derart bedeutungsschwanger dahergekommen, dass es die Menschen noch mehr bedrückte als Hitze und Luftfeuchtigkeit. Es ging vor allem wegen des zu erwartenden historischen Triumphs für Serena Williams bisweilen um Rassismus, Sexismus und Gesamtgesellschaftliches. Es ging um viel zu viel bei einer Veranstaltung, bei der es doch nur um Sport gehen sollte.

Am Freitag dann verlor Williams gegen Vinci, was wenigstens so schockierend war wie die Niederlage von Mike Tyson gegen Buster Douglas vor 25 Jahren. Es legte sich kurz Trauer über die Anlage von Flushing Meadows, die Zweitmarkt-Ticketpreise für das Finale fielen innerhalb von 30 Minuten von 1600 auf 350 Dollar. Doch die Williams-Besiegerin war keine andere Favoritin, es war nicht Wiktoria Asarenka, Simona Halep oder Petra Kvitova - es war die ungesetzte Roberta Vinci. Die gab noch auf dem Platz ein derart witziges und wursteliges Interview, dass nur jene Menschen nicht begeistert applaudierten, denen die Natur bei der Geburt Humor und Heiterkeit verweigert hat. Vinci ging selbst damit selbstironisch um: "Daran war doch nur mein schlechtes Englisch schuld! Ohne Witz: Mir haben mehr Leute haben zu diesem Interview gratuliert als zum Sieg gegen Serena."

Vier Mal siegt Williams

Die US-Open-Endspiele der Frauen seit 2005

2005 Clijsters - Pierce 6:3, 6:1

2006 Scharapowa - Henin 6:4, 6:4

2007 Henin - Kusnezowa 6:1, 6:3

2008 S. Williams - Jankovic 6:4, 7:5

2009 Clijsters - Wozniacki 7:5, 6:3

2010 Clijsters - Zwonarewa 6:2, 6:1

2011 Stosur - S. Williams 6:2, 6:3

2012 S. Williams - Asarenka 6:2, 2:6, 7:5

2013 S. Williams - Asarenka 7:5, 6:7 (6), 6:1

2014 S. Williams - Wozniacki 6:3, 6:3

2015 Pennetta - Vinci 7:6 (4), 6:2

Da saßen sie nun also auf dieser Bank und sprachen darüber, dass sie sich bereits vor dem Endspiel zu einem Pläuschchen auf der Spielerterrasse neben dem Stadion getroffen hatten. "Boris Becker ist vorbeigekommen", erzählte Pennetta danach: "Er hat uns komisch angesehen und gefragt: ,Ihr wisst schon, dass Ihr gleich gegeneinander spielen müsst?' Ja, das wussten wir." Das gibt es noch im Profisport, wo die Protagonisten zu überlebensgroßen Figuren verklärt und Kontrahenten zu erbitterten Rivalen stilisiert werden: dass sich zwei Athleten einfach mögen und sich vor einer wichtigen Partie nicht aus dem Weg gehen. Sie sagten sich nette Sachen - bis es doch etwas ernster wurde: "Ich habe ihr gesagt, dass dies mein letztes Spiel in New York war und dass ich aufhören werde." Ja, wirklich: Kurz nach dem größten Triumph ihrer Karriere verkündete Pennetta ihren Rücktritt zum Jahresende. Vinci reagierte darauf wie ein gute Freundin: Sie riss überrascht die Augen auf und schlug Pennetta auf die Hand, dann lächelte sie und erklärte ihrer Kollegin, dass die tun solle, was immer sie für richtig halte.

Es heißt ja immer, dass man auf dem Höhepunkt seiner Karriere aufhören soll. Das hört sich so einfach an und ist doch so kompliziert, weil ja niemand weiß, ob der Höhepunkt nicht schon zurückliegt oder ob der wunderbarste Augenblick noch kommen wird. Pennetta hat den Zeitpunkt erwischt, wenn auch zufällig. "Ich habe die Entscheidung bereits vor dem Turnier getroffen, doch von so einem Abschied träumt man ja als Sportler", sagte Pennetta. Sie hatte im Jahr 2011 die Australian Open im Doppel gewonnen und auch vier Mal den Fed Cup mit der italienischen Mannschaft, im Einzel jedoch hatte sie noch nie das Finale bei einem Grand-Slam-Turnier erreicht.

Durch den Sieg im US-Open-Einzel hat sie jetzt 3,3 Millionen Dollar verdient, etwa ein Viertel ihres Gesamt-Karriere-Preisgeldes. Sie wird nun noch einige Turniere spielen, danach aufhören und das Leben genießen. Sie ist mit ihrem Kollegen Fabio Fognini verlobt, der bei diesen US Open Rafael Nadal besiegt hat: "Ich glaube, dass mein Leben ziemlich gut sein wird. Nein, mein Leben ist jetzt schon perfekt."

Nach diesen Momenten auf der Bank und der Siegerehrung standen Flavia Pennetta und Roberta Vinci in den Katakomben des Arthur-Ashe-Stadions. Matteo Renzi kam vorbei, er umarmte die beiden und riet ihnen, besser noch ein paar Tage in New York zu bleiben und sich auszuruhen. In Italien sei nämlich die Hölle los wegen dieses überraschenden Erfolgs der beiden. Als Renzi verschwand, lehnten Pennetta und Vinci an einer Wand, sie sahen sich an und lachten. Wahrscheinlich werden die beiden in 20 Jahren tatsächlich in einem Café auf dem Marktplatz von Brindisi sitzen und sich gegenseitig erzählen, wie das so war. Damals, in New York.

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