Finale um den DFB-Pokal:Machtwechsel in der Entenfamilie

Zum ersten Mal seit 2012 verliert der FC Bayern wieder ein Pokalfinale. Wie damals dürfte der Klub aus dem Erlebnis eine Energie ziehen, die ihn noch viele Jahre antreibt.

Von Klaus Hoeltzenbein, Berlin

Wer es verlernt hat, zu verlieren, verletzt schon mal die Etikette. Nur weg! Das ist ja durchaus der Urtrieb eines Sportlers, der der Stätte der Schmach schnellstmöglich entfliehen möchte. Zumal dann, wenn er den Abend wie Thomas Müller auf einen einzigen Satz reduziert: "Es fühlt sich an wie eine Riesenniederlage und wie ein Riesenmist." Dann zieht es einen auch mal raus aus dem Olympiastadion. "Einer hat den Anfang gemacht - und alle anderen sind wie eine Entenfamilie hinterhergedackelt", sagte Müllers Teamkollege Mats Hummels und fand damit ein treffliches Bild für einen Vorfall, der für viel Aufregung sorgte, der für den Bundespräsidenten aber auch Beruhigendes haben dürfte.

Denn so kurz und heftig ist selten über Höflichkeit und Respekt diskutiert worden wie in der Nacht zum Pfingstsonntag nach dieser 1:3-Niederlage des FC Bayern in Berlin. Frank-Walter Steinmeier höchstselbst hatte den Pokal an Eintracht Frankfurt überreicht, aber da waren die meisten der Unterlegenen schon weg, verschwunden in den Katakomben. Zwar gibt es für die Zeremonie keine protokollarischen Vorgaben, aber in der Tradition gehört es sich für den Verlierer, dass er dem Sieger Spalier steht, wenn dieser aufs Podium schreitet. Dass dem FC Bayern bisweilen die Größe in der seltenen Niederlage fehlt, ist ein offenes Geheimnis dieser Zunft, die Berichte darüber sind Legende. Im vorliegenden Fall aber genügt es wohl, den Vorfall als erstaunlichen Betriebsunfall abzuhaken. Ging er doch einher mit dem Abschied von einem Trainer, mit dessen Vita sich der Vorwurf, der FC Bayern wisse nicht, was sich gehört, kaum verbinden lässt. "Das war wirklich ein Missverständnis", ordnete Jupp Heynckes die Flucht aus dem Innenraum ein, allerdings mit einem Seitenhieb in die logistische Abteilung: "Ich hätte erwartet, dass ein Verantwortlicher des FC Bayern oder des DFB uns mitteilt, so lange zu warten, bis der Pokal überreicht ist." Er selbst habe "in dem Moment überhaupt nicht daran gedacht, sonst hätte ich meine Mannschaft aufgefordert zu warten".

DFB Pokal Finale 2017 2018 FC Bayern München Eintracht Frankfurt Deutschland München 19 05 2018

Irgendwie ungewohnt fehl am Platz: Die Spieler des FC Bayern und Trainer Jupp Heynckes (im Anzug vorne links) nach der überraschenden Niederlage in Berlin.

(Foto: Robin Rudel/imago)

Letztmals als der FC Bayern ein Cupfinale verloren hatte, war Heynckes auch Bayern-Trainer gewesen. Es war dieses erinnerungswürdige 2:5 im Jahr 2012 gegen Borussia Dortmund. Ein deprimierendes Duell, aus dem der Klub eine Energie zog, die ihn bis heute antreibt. Anschließend wurde 2014 und 2016 in Berlin jeweils gegen den BVB gewonnen sowie 2013 gegen den VfB Stuttgart, darüber geriet die Sache mit dem Spalier für den Sieger wohl etwas in Vergessenheit. Auch deshalb können sie jetzt mildernde Umstände einfordern. Denn wenn man es genau prüft, präsentierten sie sich auf ihrer aktuellen Berlin-Etappe - bis auf diesen protokollarischen Unfall - als schicksalsergebene Verlierer.

Dass Schiedsrichter Felix Zwayer zwei Mal den Videobeweis zu Ungunsten der Bayern interpretierte, wurde allenfalls beiläufig thematisiert, nicht nur von Heynckes: "Was nützt es, zu lamentieren oder zu diskutieren? Wir sollten anerkennen, dass Frankfurt mit seinen Mitteln Pokalsieger geworden ist. Kompliment dafür."

Zum Bildschirm am Spielfeldrand schritt Zwayer zunächst, um einen Handspielverdacht vor der Frankfurter 2:1-Führung (82.) zu überprüfen. Auch im zweiten Fall fiel später sein Votum gegen die Münchner aus, obwohl sich Frankfurts Kevin-Prince Boateng als Täter outete: Ja, er habe Javi Martínez umgesenst, was einen Elfmeter, wahrscheinlich das 2:2 und damit wohl die Verlängerung zur Folge gehabt hätte, denn der dritte Frankfurter Treffer, ein Lauf von Mijat Gacinovic aufs leere Bayern-Tor, wäre so nicht gefallen. Doch selbst Karl-Heinz Rummenigge, gerne mal der Scharfzüngler in eigener Sache, blieb verdächtig unaufgeregt: "Wir waren nicht am Maximum. Es hat an vielen Ecken und Enden insgesamt gefehlt", sagte der Münchner Vorstandschef. Rummenigge verteilte mehr als nur ein Kompliment an einen Gegner, den bei seinem ersten Titelgewinn seit 30 Jahren "ein Stück mehr Leidenschaft, ein Stück mehr Wille" ausgezeichnet habe: "Sie wollten das Spiel mit aller Gewalt gewinnen."

Bayern München - Eintracht Frankfurt

Artistisch hochwertig und sportlich entscheidend: Doppeltorschütze Ante Rebic (links) erzielt an Sven Ulreich vorbei das wichtige 2:1 für Frankfurt.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Uneigennützig war diese Wortwahl natürlich nicht. Denn in Berlin wurde nicht nur sentimental Abschied von Jupp Heynckes genommen, sondern bereits die Zukunft mit Niko Kovac verhandelt, der am 1. Juli offiziell übernimmt. Und die bangen Fragen, ob der 46-Jährige denn der Richtige sei, werden jetzt an der Isar sicher leiser gestellt, als es nach einer hohen Niederlage der Eintracht der Fall gewesen wäre. Wie eine nachgereichte Bewerbung wirkte stattdessen das Berliner Duell, Frankfurt präsentierte sich als clever gecoachtes Ensemble am Limit, den weit weniger elektrisierten Bayern merkte man hingegen an, dass durch das unglückliche Halbfinal-Aus in der Champions League gegen Real Madrid "der Stecker gezogen" worden sei, wie es Thomas Müller ausdrückte. Niko Kovac, der zwischen 2001 und 2003 eine Zeit als Profi in München verbrachte, kommt jetzt nicht nur mit diesem Titel auf der Visitenkarte zurück, auch der Weg zum Pokalsieg war beeindruckend. Als Abstiegskandidat hatte er die Eintracht übernommen, anschließend im Mai 2016 erst über den Umweg der Relegation gegen Nürnberg die Erstklassigkeit bestätigt und dann mit Sportvorstand Fredi Bobic einen Kader entwickelt, der als multikulturell und für Bundesliga-Verhältnisse höchst exotisch einzustufen ist. Mit dieser sicherlich schwer erziehbaren Mannschaft von den letzten 14 Knockout-Spielen im DFB-Pokal nur ein einziges zu verlieren - das Vorjahresfinale mit 1:2 gegen Dortmund - ist schon eine Referenz für sich.

"Wir brauchen den einen oder anderen Spieler, der in wichtigen Spielen Höchstleistung bringt."

Exemplarisch für die pädagogischen Erfolge steht die Integration des Doppel-Torschützen Ante Rebic. Dem ist unterstellt worden, dass er "ein schwieriger Charakter sei, ein schlimmer Finger", dabei sei er doch, sagte Kovac, ein "zahmer Bursche, ein netter Kerl". Was Mats Hummels und Niklas Süle jetzt wohl anders sehen. Gegen die Münchner Innenverteidiger konnte sich der 24-Jährige unter Einsatz seines bulligen Körpers in Berlin wegweisend behaupten. Den zunächst nur ausgeliehenen Rebic haben die Frankfurter im Sommer 2017 auf kompliziertem Wege vom AC Florenz gekauft. So konnte Kovac das erzieherische Werk an seinem kroatischen Landsmann fortsetzen und zeigen, wie man mit solchen Schnäppchen-Transfers einen titeltauglichen Punch entwickeln kann. Eine Qualität, die den Münchnern in der finalen Saisonphase in den Knockout-Spielen in Madrid und Berlin fehlte.

Und so erteilte Bayern-Präsident Uli Hoeneß dem künftigen Drillmeister Kovac sogleich den Arbeitsbefehl: "Wir brauchen den einen oder anderen Spieler, der in wichtigen Spielen Höchstleistung bringt und nicht nur, wenn man gegen die schwachen Gegner spielt. Und daran müssen wir arbeiten." Heißt in der Übersetzung: Die Entenfamilie soll künftig wieder wilder mit den Flügeln schlagen. Oder, wie es der im Cupfinale verletzt fehlende Arjen Robben am Sonntag vom Münchner Rathaus-Balkon hinab ins vieltausendköpfige Publikum formulierte: "Nächstes Jahr, das versprechen wir euch, stehen wir hier mit mehr als einem Titel." Die Meisterschale allein ist selbst den Verwöhnten nicht genug.

Eintracht Frankfurt DFB Cup Trophy Presentation

Das Abschiedsgeschenk, das er in Frankfurt hinterließ – Nico Kovac mit dem DFB-Pokal, den er im Finale 2018 seinem neuen Arbeitgeber raubte.

(Foto: Andreas Arnold/Reuters)

Noch einmal zurück nach Berlin, wo die Pressekonferenz der beiden Trainer Nachdenkliches zu bieten hatte. Zum Beispiel diese Bekenntnisse von Jupp Heynckes: "Ich bin ja nicht mehr 40 oder 45 und weiß meine Kräfte richtig einzuschätzen. Der Job beim FC Bayern ist so anstrengend, manchmal stressig. Das können sie nur wegstecken, wenn sie sehr professionell sind und sehr diszipliniert leben. Mit 73 weiß man nicht, wie lange man noch zu leben hat. Ab nächste Woche möchte ich mein Leben wieder genießen." Niko Kovac wiederum erinnerte an die vergangenen Wochen, nachdem sein Wechsel von Frankfurt nach München sicher nicht mit höchstem diplomatischem Geschick öffentlich geworden war. Plötzlich beklagte die Eintracht einen Formabfall, der Trainer sah sich Anfeindungen ausgesetzt. "Ich bin weg, aber ich werde diesen Klub nie vergessen. Ich habe hier die Möglichkeit bekommen, in der Bundesliga anzufangen. Das wird immer in meinem Herzen bleiben", betonte Kovac, ehe er seine Kritiker konterte: "Ich bin ein Mensch und erwarte Empathie. Ich habe nichts verbrochen, niemanden umgebracht."

Der Trainerjob mag bestens bezahlt und meist "ein Privileg" sein, wie es Heynckes zum Abschied ausdrückte. Er führt die Darsteller, die diesen Job wählen, in Grenzbereiche und durch emotionale Wellentäler. Das muss einer aushalten wollen. Von den Frankfurter Fans, die ihn jüngst noch so skeptisch beäugten, wurde Niko Kovac mit Sprechchören aus Berlin verabschiedet. Seinen Tränen ließ er dazu freien Lauf.

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