Finale der Volleyball-EM:Bezwungen von der kalten Übermacht

Volleyball Woman European Championship

Maren Brinker gegen den russischen Block.

(Foto: dpa)

Die beste Mannschaft des Turniers ist zu stark: Im Endspiel der Heim-EM verlieren die deutschen Volleyballerinnen in vier Sätzen gegen Russland. Doch ein verlorenes Finale macht nicht gleich die ganze Turnierleistung kaputt - das deutsche Team hat sehr viel mehr gewonnen als Silber.

Von Thomas Hahn, Berlin

Irgendwann war die Kraft verbraucht, und der Weltmeister zog davon. Die deutschen Volleyballerinnen hatten sich gut gehalten gegen die russische Mannschaft im Finale der Heim-EM. Sie hatten sich erfolgreich gewehrt gegen die kalte Effizienz des mächtigen Gegners, sie hatten ihn drei Sätze lang gefordert, und in manchen Augenblicken sah es wirklich so aus, als könnte es was werden mit dem ersten EM-Titel einer gesamtdeutschen Volleyball-Mannschaft.

Aber im vierten Satz war der Widerstand der Deutschen gebrochen. Sie gerieten schnell 1:4 in Rückstand, und auch wenn sie sich weiterhin tapfer wehrten und die Zuschauer in der voll besetzten Max-Schmeling-Halle von Berlin immer wieder zu lauter Freude hinrissen - sie konnten die Russinnen nicht mehr einfangen. Zehn Matchbälle hätten sie am Ende abwehren müssen, das ging nicht mehr. 23:25, 25:23, 23:25, 14:25 endete das Finale eines bewegten Turniers. Russland feierte Gold. Die deutschen Volleyballerinnen nahmen sich in den Arm. Sie waren enttäuscht. Aber sie empfingen einen donnernden Applaus von den Rängen, der ehrlich und verdient war.

Ein verlorenes Finale macht nicht gleich die ganze Turnierleistung kaputt. Die deutschen Volleyballerinnen haben durchaus was geschafft bei ihrer Heim-EM, auch wenn die Silbermedaillen, die sie bei der Siegerehrung umgehängt bekamen, nicht der Schmuck waren, nach dem sie sich gesehnt hatten. Die größte Herausforderung hatten sie im Grunde doch schon vor diesem Finale geschafft, nämlich die hohen Erwartungen zu erfüllen, die sie bis zum Endspiel in jedem Spiel, durch alle Runden, begleiteten, und Werbung für ihren Sport zu machen durch gute Leistungen im Live-Fernsehen.

Der Deutsche Volleyball-Verband (DVV) braucht sportlichen Erfolg, um Argumente zu haben im Kampf um Fernsehzeit und Sponsorengeld, die charismatische Frauen-Mannschaft mit ihrem charismatischen Bundestrainer Giovanni Guidetti sollte diesen Erfolg liefern vor den heimischen Rängen, der Druck war groß. Und schon vor dem Finale war klar: Sie hatten ihm widerstanden.

Sie hatten die Erwartungen geschultert und manchmal mit federnden, manchmal mit schweren Schritten aufrecht durchs Turnier getragen. Spiel um Spiel lieferten sie Musterbeispiele angewandten Teamgeists. Sie nahmen ihre Favoritenrolle mit Mut und Begeisterung an und kamen so auch über ihre kleinen Krisen im Turnierverlauf hinweg.

Dass sie das EM-Finale gegen Russland erreichten und die Qualifikation für die WM 2014 in Italien, wirkte auf den ersten Blick wie eine Selbstverständlichkeit, wie die Pointe, die vorher schon in den Regieanweisungen zu dieser EM gestanden hatte. Aber das war sie nicht, es war das Ergebnis von beharrlicher Arbeit und ungebrochener Siegeslust. Die Deutschen wackelten dabei manchmal bedenklich, vor allem beim mit knapper Not gewendeten 3:2 nach 0:2-Rückstand im Halbfinale gegen Belgien. Sie spielten nicht immer brillant. Aber sie zeigten eine besondere Version der sogenannten deutschen Tugend: Kampfgeist mit Freude.

Und sie weckten tatsächlich Interesse damit. Die Zuschauer strömten, die Quoten beim Sender Sport1 waren gut. Stimmt schon, sagte Mittelblockerin Corina Ssuschke-Voigt nach dem Finale, "das Projekt war Gold. Aber das Projekt war auch, Volleyball in die Medien zu bringen, Volleyball bekannter zu machen. Dass die Leute auf uns gucken." Die Leute guckten. "Das ist doch der Hammer", sagte Corina Ssuschke-Voigt, "die haben uns früher nie beachtet." Auch Bundestrainer Guidetti sagte: "Was wir gemacht haben, war unglaublich gut."

Feuer gegen Hochbegabung

Die Deutschen hatten eigentlich nichts mehr zu verlieren in diesem Schlussakt der EM, sie konnten fröhlicher denn je aufspielen. Der Gegner allerdings war der schwerste, den diese Titelkämpfe zu bieten hatten. Mit dem Weltmeister Russland ist nicht zu spaßen, wenn er gereizt ist, und nach enttäuschenden Auftritten bei der EM 2011 und bei Olympia 2012 war der Volleyball-Riese gereizt. "Bei uns kommt es auf den Kopf an", ließ Russlands brillante Zuspielerin Ekaterina Pankowa nach dem lockeren Halbfinal-3:0 gegen Serbien durch einen Dolmetscher ausrichten und fügte eines der wenigen englischen Worte hinzu, das sie kennt: "Concentration." Sie wollte damit sagen: Wenn ihre Mannschaft ihre Sinne bei der Sache behält, wird es schwer für alle Gegner.

Und im Finale machten die Russinnen zunächst keinen sehr fahrigen Eindruck. Gleich beim ersten Schmetterversuch machte Corina Ssuschke-Voigt mit dem russischen Block Bekanntschaft, der im Halbfinale schon Titelverteidiger Serbien zur Verzweiflung gebracht hatte. Schnell lagen die Deutschen 0:4 hinten, und auch wenn die Deutschen danach im Satz blieben - die Russinnen hielten ihren Vorsprung, bis sie ihren zweiten Satzball zum 25:23 verwandelten.

Aber die deutsche Mannschaft war gegen Russland nicht mehr jenes Fehlerteufel-Ensemble, das sich noch gegen Belgien vorgestellt hatte. Block und Angriff funktionierten besser, das Team überzeugte nun nicht mehr nur als beseelte Kampf-Volleyball-Gruppe, sondern versah sein Spiel wieder mit jener durchschlagenden Klarheit, die ihm im Halbfinale noch gefehlt hatte.

Selbst im verlorenen ersten Satz, in dem die Deutschen zwischendurch immer wieder den Ausgleich erzwangen, konnten sie feststellen: Unbezwingbar waren auch diese Russinnen nicht. Und im zweiten Satz waren sie plötzlich selbst die Königinnen des Feldes. Die 1,94-Meter-Riesin Natalia Obmochajewa hämmerte den Ball in die Hände des deutschen Blocks zum 2:5, Jubelstimmung erfasste die Max-Schmeling-Halle, und dann eilten die Deutschen davon. 15:9, 18:13. Auf 19:18 stellten die Russinnen. Kurze Verunsicherung. Aber dann erschmetterte Corina Ssuschke-Voigt nach einem Tempo-Duett mit Zuspielerin Kathleen Weiß das 20:18 und es ging weiter im deutschen Fluss. Der Jubel in der Halle war ohrenbetäubend, als kurz darauf der Ball zum ersten Satzgewinn der Deutschen fiel.

Die Russinnen strahlten die Schönheit frostiger Hochbegabung aus, auf der anderen Seite brannte das deutsche Feuer. Das ergab einen reizvollen Schlagabtausch, bei dem vor allem die deutsche Verteidigung überzeugte und der Weltmeister lange nicht recht vom Fleck kam. Die Russinnen wirkten etwas reifer, auch wenn sie nicht fehlerlos spielten, und so passte es irgendwie doch ins Bild, dass nach ungefähr 100 Minuten Spielzeit der Ball vom russischen Block zum zweiten Satzverlust ins Feld der deutschen tropfte. Kurz wurde es ruhig in der Arena, dann hallten die Anfeuerungsrufe wieder von den Tribünen. Die Leute hatten noch Hoffnung, und auch Guidetti sah, dass etwas möglich war. "Russland hat gut gespielt", sagte er, "aber sie haben auch viele Fehler gemacht. Sie haben uns eine kleine Chance gegeben."

Aber diese Chance war am Ende doch zu klein, als dass die Deutschen sie hätten nutzen können. "Der Unterschied zwischen Angriff und Block war zu groß", sagte Giovanni Guidetti traurig. Der vierte Satz ging ihm zu schnell zu Ende. Der russische Riese legte letzte Hand an die Revanche für seine schmerzhaften Niederlagen der vergangenen beiden Jahre und gab sich keine Blöße mehr.

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