Finale der Handball-Bundesliga:Afrika statt Mannheim

Der Westen verliert einen Erstligisten, Flensburg den Trainer und ein Meisterspieler der Löwen trampt bald in die Welt - das Handballfinale ist von Abschieden geprägt.

Von Ulrich Hartmann, Wuppertal

Am Samstag um 17.33 Uhr erhoben sich die Zuschauer in der Lemgoer Lipperlandhalle ebenso wie in der 170 Kilometer weiter südöstlich gelegenen Wuppertaler Unihalle. In Lemgo brach das Publikum angesichts des Klassenerhalts in Jubel aus, und als Lemgos Sieg ein paar Sekunden später in Wuppertal bekannt wurde, standen dort auch die Fans vom Bergischen HC auf, um ihren dadurch allerdings abgestiegenen Handballern tröstende Ovationen zu erweisen. Der Bergische HC, vor elf Jahren durch die Fusion der SG Solingen und des LTV Wuppertal entstanden, ist trotz eines Kantersieges gegen Hannover nach vier Jahren Bundesliga wieder abgestiegen. "Wir sind selbst schuld", klagte der Torwart Björgvin Gustavsson, "denn unsere Hinrunde war einfach zu schlecht." Angesichts ihrer nur fünf Punkte in der ersten Saisonhälfte genügten nicht mal 17 Zähler in der zweiten zum Klassenerhalt.

Weil der Bergische HC nur auf 22 Punkte kam, bleiben Gummersbach, Stuttgart und Lemgo in der Bundesliga. Gummersbach war bloß um ein paar Tore besser, Stuttgart und Lemgo immerhin um je einen Punkt. Die Lemgoer spielen seit 34 Jahren in der höchsten Klasse, die Gummersbacher seit der Bundesliga-Gründung 1966. Sie sind das letzte dauerhaft verbliebene Gründungsmitglied und so etwas wie der Hamburger SV des Handballs, denn auch sie spielen seit einigen Jahren am Abgrund zur zweiten Liga, ohne bis dato hinabgestürzt zu sein.

Für die Bergischen 'Löwen', wie sie sich nennen, ist der Abstieg doppelt bitter, weil es die letzte Saison mit drei Absteigern ist, und weil der Wiederaufstieg aus der zweiten Liga schwieriger wird: ab kommender Saison steigen ja nur noch zwei Teams auf. Trotzdem wollen die in Solingen beheimateten und in Wuppertal spielenden Bergischen schnell in die Bundesliga zurück und sich neuerlich etablieren. Zu diesem Zweck bauen sie in Solingen eine Handballarena. Die Region kann einen Erstligisten vertragen, der nächste im Nordosten ist der TBV Lemgo, der nächste im Süden der VfL Gummersbach.

Rhein-Neckar Löwen - MT Melsungen

Eine Schale für alle Löwen: Andy Schmid hebt die Meister-Trophäe, Patrick Groetzki (l.) staunt.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Diese beiden prominenten Klubs spielen bei der Titelvergabe in der Bundesliga schon lange keine Rolle mehr. Lemgo war letztmals 2003 deutscher Meister, Gummersbach 1991. Längst bejubeln die Fans an diesen Traditionsstandorten jedes Jahr schon den Klassenerhalt. Die Rhein-Neckar-Löwen in Mannheim hingegen beendeten mit dem zweiten Titel nacheinander die Ära des THW Kiel endgültig. Zwei Mal nacheinander nicht Meister waren die Kieler zuletzt vor 13 Jahren.

So kreativ wie auf dem Handballfeld präsentierten sich die Mannheimer am Samstag bei ihrer Meisterfeier. Der zum vierten Mal in Serie zum besten Bundesligaspieler gewählte Schweizer Andy Schmidt servierte seinem Kollegen Kim Ekdahl du Rietz auf der zum Tablett umfunktionierten Meisterschale einen Whiskey. Der Schwede beendet mit 27 Jahren ohne Verletzung und sonstige Nöte seine Karriere schlicht deshalb, weil ihn ein Leben als Handballprofi nicht mehr erfüllt. Stattdessen beabsichtigt der auch karitativ Engagierte nach eigener Aussage von Schweden ins afrikanische Liberia zu trampen, wo eine Freundin Entwicklungshilfe leistet. "Ich akzeptiere seine Entscheidung, aber verstehen werde ich sie wohl nie", sagt sein Trainer Nikolaj Jacobsen über den linken Rückraumspieler, der ihm in der kommenden Saison erheblich fehlen wird. "Mit einfach einem neuen Spieler können wir Kim aber nicht ersetzen", warnt Sportchef Oliver Roggisch. "Da muss jeder Einzelne mehr tun."

Die Torjägerkrone sicherte sich Wetzlars Philipp Weber mit 224 und fünf Toren mehr als der weder verwandte noch verschwägerte Österreicher Robert Weber vom SC Magdeburg. Philipp Weber kehrt nach Leipzig zurück, wo er im vergangenen Sommer von Trainer Christian Prokop verabschiedet worden war. Nun begrüßt ihn in Leipzig Coach André Haber, der am 1. Januar 2018 aber schon wieder Platz für den derzeitigen Frauenbundestrainer Michael Biegler machen wird. Unter Trainer Prokop wiederum spielt Weber am kommenden Sonntag, wenn die Nationalmannschaft in der EM-Qualifikation in Bremen die Schweiz empfängt.

Nettelstedt zurück: Entscheidungen der Bundesligasaison 2017

Meister: Rhein Neckar Löwen

Europäische Wettbewerbe: RN Löwen, SG Flensburg-Handewitt, THW Kiel (Champions League); Füchse Berlin (EHF Cup)

Absteiger: HSC Coburg 2000, HBW Balingen-Weilstetten, Bergischer HC.

Aufsteiger: TuS Nettelstedt-Lübbecke, TV 05/07 Hüttenberg, TSG Ludwigshafen-Friesenheim

In Flensburg verabschiedet sich trotz der Favoritenrolle zu Saisonbeginn ohne jeglichen Titel der schwedische Trainer Ljubomir Vranjes nach elf Jahren zum Topklub Veszprem nach Ungarn, wo er nebenher auch das Nationalteam trainiert. In Flensburg wird sein Assistent Maik Machulla neuer Chef und moderiert vom Spätsommer an den wohl neuerlichen Titelkampf gegen die Rhein Neckar Löwen und Kiel. Diese drei Klubs werden auch wieder in jener Champions League antreten, in der diesmal kein einziger deutscher Klub das Final-Four-Turnier erreicht hatte.

Mit dem TuS Nettelstedt-Lübbecke, der TV Hüttenberg und der TSG Ludwigshafen-Friesenheim kehren aus der zweiten Liga drei Klubs mit Bundesliga-Erfahrung zurück. Ihre Chancen auf den Klassenerhalt werden durch die Reduktion auf zwei Absteiger zwar erhöht, bleiben rein statistisch aber schlecht. Von allen Bundesliga-Aufsteigern in den vergangenen zehn Spielzeiten stiegen 17 nach nur einem Jahr schon wieder ab.

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