Finale der Copa América:Wie eine Rauferei zwischen Straßenkötern

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Mehr Dramatik geht kaum: Chile gewinnt die Copa América in einem Finale, das keiner so schnell vergessen wird - und verhilft einem matten Turnier zu spätem Glanz.

Von Jürgen Schmieder

Es gehört zu den großen Stärken des Fußballdeuters Jürgen Klinsmann, Ereignisse so zu interpretieren, dass einzelne Aussagen für Außenstehende bisweilen nur schwer nachzuvollziehen sind, insgesamt jedoch ein in sich schlüssiges Gesamtkunstwerk ergeben. Der Trainer der US-Nationalelf beschwerte sich in der Vorrunde über die Resultatversessenheit der Amerikaner, pries später jedoch die Bedeutung des nackten Ergebnisses: "Wir haben das Ziel sehr hochgelegt mit dem Einzug ins Halbfinale, das haben wir erreicht."

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Er erklärte das Turnier für qualitativ hochwertiger als die Europameisterschaft ("Die Spiele sind aufregend, emotional und auf sehr hohem Niveau.") und antwortete auf Fragen nach nur dürftig besetzten Stadien - auch drei von fünf Partien der Heimelf waren nicht ausverkauft - mit einem erneuten EM-Vergleich: "Der Zuschauerschnitt ist höher als der in Frankreich."

Die Gesamtbotschaft: Die Copa América Centenario ist ein zauberhaftes Fußballspektakel, eine aussagekräftige Bewerbung für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2026 - und die USA haben aufgrund der von Klinsmann unbeirrbar vorangetriebenen Entwicklung bei einem Turnier, das höher einzuschätzen ist als die verwässerte EM, einen tollen vierten Platz erreicht. Man könnte nun heftig widersprechen, man kann es aber auch bleiben lassen und sich erstmal mit anderen Mannschaften beschäftigen.

Über das Gruppenspiel zwischen Argentinien und Chile (2:1) hatte Klinsmann nämlich gesagt: "Holy Moly!" Das lässt sich übersetzen mit "Holla, die Waldfee", es war eine treffende und tatsächlich nachzuvollziehende Beschreibung. Sie lässt sich auch auf das Rückspiel im Finale anwenden, das Chile nach 120 Minuten ohne Treffer im Elfmeterschießen gewann und den Titel aus dem vergangenen Jahr verteidigte.

Torlose 120 Minuten, Entscheidung im Elfmeterschießen, das klingt freilich nicht nach "Holla, die Waldfee". Es klingt nach Portugal gegen Kroatien, nach Ballgeschiebe und Langweile, nach einem Nichtangriffspakt von New York. All das jedoch war diese Partie nicht, sie kam in der ersten Halbzeit einer Begegnung zweier wild gewordener Straßenköter im Hinterhof gleich: erster Torschuss nach 16 Sekunden.

Erste gesundheitsgefährdende Grätsche nach 36 Sekunden, erste Rudelbildung nur wenige Sekunden später. Schiedsrichter Héber Lopes schickte nach 28 Minuten Marcelo Diaz (Chile) vom Platz, noch vor der Pause folgte Marcos Rojo (Argentinien), weil der mit einer Grätsche versucht hatte, sowohl den Ball als auch das Bein des Gegenspielers zu zerstören.

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Es war kein fußballerischer Gourmetbissen für zungeschnalzende Liebhaber, es war vielmehr ein Spektakel für Freunde rustikaler Luftkämpfe und gut getimter Grätschen, bei dem es übrigens nur deshalb 0:0 stand, weil der Argentinier Gonzalo Higuaín seinen Ruf als grandiosester Chancenvergeber in der Geschichte internationaler Endspiele erfolgreich verteidigte.

Nach einer taktisch geprägten zweiten Halbzeit folgte die Verlängerung, die einem Boxkampf in der letzten Runde glich, bei dem beide Kontrahenten keine Kraft mehr hatten für eine ordentliche Deckung und deshalb offensiv die Entscheidung suchten. Es war Werbung für dieses Format vor dem Elfmeterschießen (nachdem Portugal und Kroatien im EM-Achtelfinale 30 Minuten lang ausschließlich Gründe für eine Abschaffung geliefert hatten), die dann auch noch die Tragödie auf dieser riesigen Bühne vor mehr als 82.000 Zuschauern lieferte.

Nach dem Fehlschuss von Arturo Vidal jagte Messi das Spielgerät dorthin, wo auch die Bälle von Uli Hoeneß (EM 1976) und Sergio Ramos (Champions League 2012) liegen dürften. Dann verschoss noch Lucas Biglia, die Argentinier verloren das dritte Endspiel innerhalb von drei Jahren, Messi trat aus der Nationalelf zurück. Viel mehr Dramatik lässt sich kaum in einen Fußballabend packen.

Die Chilenen sind, auch wegen starker und spektakulärer Auftritte in der K.o.-Runde (7:0 gegen Mexiko, 2:0 Kolumbien), ein verdienter Sieger dieses Turniers, das erst so richtig schwungvoll wurde, als es schon beinahe vorbei war. Die Ausscheidungsrunde und vor allem das Endspiel entschädigten für manch dröge Partie vor leeren Rängen - zum 0:0 von Paraguay und Costa Rica kamen etwa nur 14.334 Zuschauer ins 65.000-Sitze-Stadion von Orlando.

"Diese Veranstaltung war tot", sagte Victor Montagliani, Präsident des nordamerikanischen Kontinentalverbandes Concacaf, angesichts der Korruptionsvorwürfe im Rahmen des Fifa-Skandals und einer Vorbereitungszeit von nur sechs Monaten: "Es war wie ein Zauberwürfel, den wir erfolgreich zusammen gesetzt haben. Mehr als 46.000 Zuschauer pro Partie sind eine ordentliche Zahl, wir können sehr zufrieden sein."

Die Copa América Centenario war kein Fußball-Spektakel. Es war ein ordentliches und vom Viertelfinale an hochklassiges Turnier, für das sich die Amerikaner zunächst kaum interessierten und bei dem sie im Halbfinale ihrer Elf gegen Argentinien wie auch Klinsmann selbst ("Das war eine Lektion.") erkannten, wie weit sie noch entfernt sind von den besten Fußballnationen der Welt. Am Ende, da durften sie in New York ein packendes und vor allem dramatisches Finale zwischen Chile und Argentinien bestaunen. Ein derart intensives Spiel, eine Holla-die-Waldfee-Partie, die muss die Europameisterschaft in Frankreich erst noch produzieren.

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