Fifa-Zahlung nach Fehlentscheidung:Merkwürdige Argumente

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Weil der Franzose Thierry Henry die Hand zur Hilfe nahm und so das entscheidende Tor vorbereitete, qualifizierte sich Irland nicht für die WM 2010.

(Foto: AFP)
  • Die Fragwürdigkeiten rund um die Fifa erreichen das Spielfeld: Ein Handspiel von Thierry Henry brachte Frankreich die WM-Qualifikation 2010, Irland schied aus. Jetzt gibt die Fifa zu, den Iren Millionen gezahlt zu haben.
  • Das wirft auch die Frage auf: Warum weigert sich die Fifa, einen Videobeweis einzuführen? Weil der unbestechlich wäre?

Von Thomas Kistner

MünchenDie steten Wellen neuer Verdachts- und Korruptionsfälle, die auf den Fußballweltverband zurollen, spülen nun auch einen Vorfall empor, der die Mentalität im Fifa-System von der Spielfeldseite aus beleuchtet: Die Fifa soll sich mit fünf Millionen Euro aus einem drohenden Rechtsstreit herausgekauft haben, der die Wertung eines WM-Qualifikationsspiels betraf. Im Fokus steht die Handball-Einlage des Franzosen Thierry Henry von 2009 im Playoff-Spiel gegen Irland: Der Stürmer hatte vor seinem Querpass zum entscheidenden 1:1 den Ball per Hand mitgeführt, Referee Martin Hansson (Schweden) hatte es nicht bemerkt. Das Remis sicherte Frankreich den Zugang zur WM 2010.

Verband und Regierung in Irland hatten der Fifa damals mit Klage gedroht. Daraufhin wurde die krasse sportliche Fehlentscheidung auf dem Finanzweg geregelt, sagte John Delaney im britischen Radio. Dort hatte der Chef des irischen Verbandes FAI am Donnerstag dargelegt, dass die Sache über eine Art Schweigegeld ausgehandelt worden sei. "Wir dachten, dass wir Anlass zu einer Klage gegen die Fifa haben, weil wir im Playoff wegen Henrys Aktion ausgeschieden waren", erklärte er. Daraufhin sei es flott zu einer "Vereinbarung" mit der Fifa gekommen: "Wir setzten uns donnerstags zusammen und hatten montags einen Deal. Damit war die Sache erledigt." Der Weltverband bestätigt: "Die Fifa hat eine Vereinbarung mit der FAI geschlossen, um jegliche Möglichkeit einer juristischen Klage abzuwenden." Für den denkwürdigen Vorgang gab er folgende Erklärung ab: Man habe der FAI ein Darlehen über fünf Millionen gewährt - für einen Stadionbau in Irland. Hätte sich Irland für die WM 2014 in Brasilien qualifiziert, wäre die Rückzahlung fällig geworden. Doch Irland blieb zu Hause. "Angesichts der finanziellen Situation der FAI hat die Fifa beschlossen, das Darlehen zum 31. Dezember 2014 abzuschreiben", hieß es in Zürich. Der Verband FAI dementierte sofort: "Die Zahlung sei ein Vergleich und kein Darlehen gewesen. "Außerdem war Vertraulichkeit einzige Bedingung dieser Regelung."

Die Branche reagierte erneut fassungslos. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach kann sich "keinen Reim" auf den Vorgang machen, er sagte im ZDF: "Es war eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass Henry das Handspiel nicht zugab. Diese Dinge hat es aber schon immer gegeben. Kein Verband dieser Welt hätte vor einem ordentlichen Gericht Recht bekommen."

Diese Einschätzung ist kühn, wie zwei jüngere Zivilgerichtsentscheide hierzulande im Fall der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein zeigen. Es fragt sich, wie staatliche Gerichte befinden bei Zivilklagen auf Basis grob fahrlässiger Fehlentscheide, die enorme finanzielle Folgen haben. Referee Hansson hatte bei der damaligen Aktion zwar keine Sicht auf den Ball. Er hätte jedoch wahrnehmen müssen, dass dieser in Hüfthöhe von Henry weitertransportiert wurde. Auch hatte sein Assistent Sicht auf die Aktion, wollte womöglich aber keine so weitreichende Entscheidung treffen. Die Partie fand im Pariser Stadion statt. Der Nordire Jim Boyce, der letzte Woche in Zürich als Fifa-Vizepräsident abgetreten war, erklärte: "Wenn fünf Millionen gezahlt wurden für ein Handspiel und eine Prozessandrohung, hoffe ich auf eine umfassende Ermittlung jeder Bezahlung im Kontext mit der Schiedsrichterei." Das gelte auch, "wenn der Fifa-Präsident das ohne Wissen der Exekutive genehmigt hat".

Umstrittene Entscheide

Der neue Zweifel legt die Spur nun auch zur Regelpolitik des im Korruptionssumpf rudernden Weltfußballs. Dessen Funktionäre wehren sich ja noch immer vehement gegen den Videobeweis, der in Sportarten von Badminton bis Hockey längst angewendet wird. Statt die moderne Technologie rundherum verfügbar zu machen, wurde nur eine Torlinientechnik eingeführt.

Vor dem Hintergrund wirft der Deal mit Irland Fragen auf. Statt der Iren fuhr damals Frankreich nach Südafrika. Zufall oder nicht, fragwürdige Entscheide fallen oft für die wirtschaftlich oder politisch attraktivere Seite aus. So sicherte etwa ein falscher Elfmeterpfiff beim WM-Eröffnungsspiel 2014 Gastgeber Brasilien gegen Kroatien das entscheidende 2:1. Blickt man in die WM-Historie, geraten besonders die K.o.-Spiele von Co-Gastgeber Südkorea beim Turnier 2002 in Erinnerung. Die knappen Siege in Achtel- und Viertel- finale über Italien und Spanien wurden aus einer Flut von Fehlpfiffen geboren; in Italien ermittelte sogar der Staatsanwalt gegen den WM-Referee Byrom Moreno. Der Bolivianer wurde übrigens 2010 am New Yorker Flughafen mit Heroin geschnappt; er bekam zweieinhalb Jahren Gefängnis. Bei der WM 2002 zog die Fifa offenbar selbst die Reißleine. Vor Südkoreas Halb- finale gegen Deutschland wurde kurzfristig - zu seiner eigenen Überraschung - Referee Urs Meier berufen: "Da hatte ich schon mit der WM abgeschlossen." Immerhin wohnte der Schweizer nur 25 km jenseits der deutschen Grenze. Er galt aber als untadeliger Spielleiter und brachte die Partie im aufgeladenen Gastgeberland problemfrei zu Ende. Meier sagt, dass ihm Südkoreas Verbandschef Chung Mong-Joon später den Handschlag verweigert habe. Am Wochenende übrigens lotet Chung am Rande des Berliner Champions-Finale bei den Funktionären der Uefa seine Chancen aus: Er prüft gerade eine Fifa-Kandidatur.

Der Irland-Fall der Fifa rückt den Videobeweis in den Vordergrund. Den auch Meier unterstützt - "wenn die Neutralität des Bildproduzenten gesichert ist". Im Fall des Henry-Handspiels glaubt Meier, dass Hansson damals im toten Winkel stand; er kritisiert aber zweierlei: "Er hätte nicht stehen, sondern sich einen besseren Blickwinkel erlaufen müssen. Und es gab Indizien. Wenn acht, neun Spieler wie von der Tarantel gestochen auf den Referee zurasen, ist schon was faul." Zudem habe es Hansson dem Sünder leicht und sich selbst schwer gemacht. "Er hätte Henry fragen und auf seine Hand zeigen müssen, dass es jeder sieht. Dann hätte Henry lügen müssen." So sagte der später einfach: "Der Referee hat mich ja nicht gefragt."

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