Fifa-Präsidentschaftswahl:Alles oder nichts

  • "Ich kann heute nicht mehr zurücktreten", sagt Fifa-Präsdent Joseph Blatter. Uefa-Chef Platini sagt: Jede Option ist angesichts der Skandale denkbar.
  • In Zürich geht es zu wie in einem Hornissennest - und das vor dem wichtigsten Fußball-Termin des Jahres.
  • Der Druck auf Blatter wächst stündlich, Sponsoren melden sich mit Kritik zu Wort.

Von Thomas Kistner, Zürich

So einen Empfang sind nicht einmal Messi oder Cristiano Ronaldo gewohnt, und für Michel Platini, den Fußballhelden der Achtzigerjahre, sind diese Blitzlichtgewitter auch eine Weile her. Reporter stolpern, Kameras fallen um, Mikrofonständer klirren gegen die metallenen Kuhglocken, die in der Lobby des Tagungshotels als Deckenlampen dienen: Dabei ist der Präsident von Europas Fußball-Union nur aus dem Lift getreten. Dass die Uefa die Präsidentenwahl beim Fifa-Kongress am Freitag nicht boykottiert und auf den Herausforderer setzen wird, Prinz Ali bin-al Hussein, das verkündet er erst Stunden später. Europa geht beim Kongress der affären-umtosten Fifa also doch an die Urne - weil es der Einschätzung des Jordaniers folgt, dass er eine Siegchance gegen Sepp Blatter habe.

Der Kandidat selbst hat die Uefa-Vertreter nachmittags darauf eingeschworen, die Wahl durchzuziehen. Die Hochrechnung, die der Königsspross aus Amman den Uefa-Delegierten präsentierte, sieht rund 60 Voten für ihn aus den anderen fünf Kontinentalverbänden der Fifa vor. Den Rest soll Europa beisteuern, das 53 der insgesamt 209 Nationalverbände aufbietet.

Ein riskantes Spiel. Bis Mittwochmorgen, als die Zürcher Kantonspolizei auf Antrag des amerikanischen FBI sieben Funktionäre, darunter die Fifa-Vizepräsidenten Jeffrey Webb (Kaiman-Inseln) und Eugenio Figueredo (Uruguay), aus ihren Fünfsterne-Betten im "Baur au Lac" am Zürichsee in die Auslieferungshaft überführte, war Blatter klarer Favorit. Aber die juristischen Tumulte sollen Dutzende Verbände zum Umdenken bewegt haben, das ist die Hoffnung. Neben dem FBI ist ja auch die Schweizer Bundesanwaltschaft unterwegs; sie geht dem Korruptionsverdacht bei den WM-Vergaben 2018 an Russland und 2022 an Katar nach.

"Der Fußball ist in Gefahr, und der ist größer als jeder Spieler oder Präsident"

"Ich bin entsetzt und enttäuscht über die Entwicklungen", sagt Michel Platini am Nachmittag in Zürich. Sportpresse aus aller Welt ist zugegen, als Platini eine "sehr, sehr große Mehrheit Europas für Ali" verspricht - und zur Absicherung gleich eine Boykottdrohung der europäischen Verbände hinterher schiebt: für den Fall einer Verlängerung der Amtszeit Blatters. Sollte der 79-jährige Schweizer in seine fünfte Amtszeit gewählt werden, werden sich die Uefa-Verbände am folgenden Wochenende, am Rande des Champions-League-Finales in Berlin, erneut versammeln und beschließen, wie der künftige Umgang mit der Fifa aussieht. "Jede Option kommt dann auf den Tisch", sagt Platini. Auch die, dass sich Europas acht Mitglieder im neuen Fifa-Vorstand, darunter DFB-Chef Wolfgang Niersbach, zurückziehen?

"Natürlich!", sagt Platini. Er verweist darauf, dass der englische Vertreter David Gill für den Fall schon seine Demission angekündigt hat. Oder dass Europas Verbände sich aus allen Wettbewerben zurückziehen, inklusive der WM, falls Blatter siegt?

"Jede Option kommt auf den Tisch!"

Das sind offene Drohungen. Es dürfte schwierig werden, nur eine Woche später auf Abstand zu diesen Worten gehen. Die Uefa würde sich dann so unglaubwürdig machen wie Blatters Fifa, die sie kritisiert.

Ein Hornissennest erscheint wie eine Ruheständlerpension, verglichen mit dem Aufruhr, der am Tag nach dem Coup des FBI die Funktionäre in Zürich ergriffen hat. Zumal bekannt ist, dass es eine Liste mit weiteren 25 Leuten gibt, für die sich die US-Bundespolizei interessiert. Aber Blatter hat andere Sorgen. Für elf Uhr morgens lädt er die Präsidenten der sechs Erdteil-Verbände zur Dringlichkeitssitzung; ihn haben Boykottdrohungen alarmiert, die die Uefa abends zuvor im Hinblick auf die Wahl gemacht hatte. Blatter erteilt Platini das Wort. Der will ihn lieber unter vier Augen sprechen, doch Blatter erwidert: "Nein, das kannst du hier vor allen sagen."

Also bittet Platini den Mann, der so viele Jahre sein sportpolitischer Ziehvater war: "Ich bitte dich heute, die Fifa zu verlassen. Es wäre ein Zeichen von Größe." Das Ansehen des Fußballs sei in Gefahr, "der größer ist als jeder Spieler oder Präsident - und so können wir nicht weitermachen".

Blatter sei betroffen gewesen, die anderen hätten kaum reagiert, berichtet Platini. "Der Beste soll gewinnen", sei deren Tenor gewesen. Aufschlussreicher ist die Antwort Blatters, die der Uefa-Chef so wiedergibt: "Er sagte, es ist zu spät: Ich kann nicht heute, am Tag vorm Kongress, zurücktreten."

Keine Regel verbietet Blatter den Rücktritt

Natürlich könnte Blatter jederzeit zurücktreten, er könnte es auch noch am Freitag beim Kongress tun - keine Regel verbietet das. Es gibt aber Gründe, die nahelagen, dass er unbedingt dagegen ankämpfen muss, über Nacht aus dem Präsidentenbüro gejagt zu werden. Völlig unvorbereitet. Ohne die Geschäfte einem Nachfolger übergeben zu können, der sein Vertrauen hat. Und ohne alle anderen sensiblen Dinge in der Zentrale des Weltverbands so richten zu können, wie er sie sich wünscht.

Dabei wächst der Druck auf ihn stündlich. Sponsoren meutern, Top-Partner Visa droht offen mit Rückzug. Es brauche sofortige "Veränderungen", lässt die Kreditkartenfirma wissen. Sie habe die Fifa informiert, "dass wir sonst unser Sponsoring neu überdenken". Wütende Politiker in Deutschland, England, Frankreich fordern Blatters Rücktritt, Aktivisten ziehen nach Zürich, selbst erste Fußballprofis formulieren Abschiedsbriefe an ihn. Und doch: All das ist das kleinere Dilemma. Denn die Drohung der US-Justiz liegt ja nun sogar in offiziellen Statements vor: Diese Zugriffe seien nur der Anfang. "Die erste Etappe", wie ein Schweizer Behördensprecher auch mit Blickauf die parallelen WM-Ermittlungen sagt. Dass die angekündigten nächsten Schritte auf den Patriarchen zielen könnten, legt dere Kommentar der US-Justizministerin Loretta Lynch nahe: Es brauche einen umfassenden Neustart in der Fifa.

Blatter hat den Niedergang des Verbandes seit 34 Jahren in den Spitzenämtern als Generalsekretär und Präsident (seit 1998) begleitet. Er ist politisch Hauptverantwortlicher für den Geschäftsmorast, in dem seine Fifa versinkt. Auch die paar Erkenntnisse, die auf dem Tisch liegen, zeigen das vertraute Schema, nach dem über Jahrzehnte windige Fußballdeals abgewickelt wurden: Provisionen unter Funktionärsfreunden, Geschäfte mit Marketingleuten, die mit Schmiergeld für günstig erworbene Rechte danken. Entwicklungs- oder Immobilienprojekte mit Fußballgeld, die auf von Funktionärsfamilien erworbenem Land errichtet werden. Und anderes.

Dass die Zugriffe am Mittwoch, die im Kern lateinamerikanischen Funktionären galten, nur eine Aufwärmübung sein könnten, legt auch der Umstand nahe, dass die FBI-Ermittlungen zumindest von 2011 bis 2013 bei der Abteilung "Organisierte Kriminalität in Eurasien" angesiedelt waren, vielleicht sind sie es bis heute. Schon den Dollarmillionen, die der frühere Fifa-Vorstand Chuck Blazer einst aus den Kassen des nord- und mittelamerikanischen Kontinentalverbandes Concacaf auf eigene Firmenkonten in der Karibik geschleust hatte, ging diese Spezialeinheit nach.

Es wird mehr passieren. Blatter weiß das. Es wissen auch Funktionäre, die sich lange gegen das Uefa-Votum pro Prinz Ali stemmen wollten. Spaniens Villar Llona, der sich bereits gegen anstehenden Justiz-Ärger in Zürich gewappnet haben soll, war ein großer Befürworter Katars. Und die Vertreter Russlands sträuben sich. Wladimir Putin, Hausherr der Fußball-WM 2018, geißelte das FBI-Vorgehen bereits scharf.

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