Fifa-Präsidentschaft:Exodus aus dem eigenen Lager

Katar gegen Bahrain, ein Milliardenversprechen - und Geschacher bis an die Wahlurne: Wie Gianni Infantino bei der Fifa-Wahl über Scheich Salman al-Khalifa triumphierte.

Von Thomas Kistner und Johannes Aumüller, Zürich

Die Resultate der ersten Wahlrunde waren verkündet. Und allen Eingeweihten war klar: Die Sache ist gelaufen. Während Scheich Ahmed al-Sabah erregt ins Handy palaverte und Assistent Hussein zwei Mobiltelefone gleichzeitig bearbeitete, schlenderte Gianni Infantino durchs Spalier seiner Vertrauten und reckte jedem schon die Siegerfaust entgegen. Mit 88:85 Voten führte der Schweizer nach der ersten Auszählung gegen Scheich Salman al-Khalifa. Aber die entscheidende Zahl steuerte der Drittplatzierte bei: 27 der 207 Delegierten hatten für Prinz Ali aus Jordanien gestimmt. Und der fungierte, in einer raffinierten Scharade der Salman-Gegner, als Sammelkonto. Für Infantino.

Tatsächlich bekam der 45-jährige Schweizer im zweiten Wahlgang 27 Voten dazu, mit 115:88 gegen Salman ließ er sich als neuer Präsident des Fußball-Weltverbandes feiern. Alis Wählerblock war fast komplett zu Infantino übergelaufen, beim Prinzen verblieben nur vier Voten. Und der Letzte im Kandidatenquartett, Jérôme Champagne, stürzte von sieben auf null ab.

Oft sind Wahlen in den Weltsportverbänden eine Melange aus schmutzigen Deals und politischen Intrigen; das Geschacher dauert gern bis in die Abstimmung hinein. Und wer die Puzzleteile zusammenlegt, die sich rund um die Wahl Infantinos am Freitag im Züricher Hallenstadion ansammelten, kann ein ungewöhnliches Spiel nachzeichnen. Eines mit Spielern von Amerika bis Katar - und einem schweren Fehler Salmans am Schlusstag.

Wochenlang war es ein enges Rennen, mit einer klaren Grundkonstellation. Salman, Chef des Asien-Verbandes AFC, wusste das Gros Asiens und Afrikas hinter sich; mit Afrikas Erdteilverband Caf hatte er in letzter Minute einen Kooperationsvertrag besiegelt. Infantino, der Generalsekretär der Europa-Union, hatte sein Uefa-Gefolge hinter sich sowie die Mehrheit der amerikanischen Verbände Concacaf und Conmebol; dazu den Großteil Ozeaniens. Und hinter den Kulissen wirkte für ihn noch ein Verbündeter, der kein Votum, aber viel Einfluss hat: die besorgte Fifa-Administration. Salman hatte schon im Wahlkampf permanent Schlagzeilen gemacht, weil er die Debatte um seine Rolle bei der Niederschlagung des Arabischen Frühlings 2011 in Bahrain lieber mit teuren Anwälten bekämpfte statt mit schlüssigen Darlegungen. Unter einem Präsidenten Salman hatte die Fifa zusätzliche Turbulenzen zu befürchten.

Hinzu kam: Hinter Salman stand sein Scheich-Kollege aus Kuwait. Ahmed al- Sabah, der erst 2013 seinem Funktionärsfreund Thomas Bach im Internationalen Olympischen Komitee auf den Thron geholfen hatte, ist einer der mächtigsten Strippenzieher im Weltsport. Hätte er nun auch Salman ins Amt gehievt, wäre der Einfluss des IOC auf die schon aus Konkurrenzgründen ungeliebte Fifa stark gewachsen.

Und da war noch ein Handicap. Salman hatte sich im Asien-Verband, den er seit 2013 führt, mit seinem Vorgänger Mohamed Bin Hammam aus Katar und Prinz Ali überworfen. Aus Unterstützerkreisen des Scheichs drang gar vor der Wahl in Zürich, die US-Justiz sei informiert, dass ihr eine Fifa unter Salman nicht im Wege stünde im Falle harter Schritte gegen Katar, den WM-Ausrichter 2022.

Wahr oder nicht, aus Sicht Katars war der Rivale von der Golf-Insel keine Option. Und Ali? Der hatte bei der letzten Fifa-Wahl, im Mai 2015 gegen Sepp Blatter, 73 Stimmen erhalten, meist aus Europa. Mit Asiens Voten hätte Ali damals den Thron erobern können. Aber Salmans AFC hielt zu Blatter.

Der Kandidat also polarisierte die Fußballwelt. Es war klar: Salman braucht in Runde eins einen klaren Vorsprung. Aus Alis Fraktion würde er kaum etwas zulegen. Den Vorsprung musste er in Asien und Afrika generieren, wo al-Sabah beste Drähte hat. Nach starkem Start würden ihm genug Wackelkandidaten folgen; Lateinamerikaner, die in der Fifa oft zum käuflichen Wählerkreis zählten, diesmal aber auch unter dem Eindruck der FBI-Ermittlungen aufpassen mussten. Brasiliens Verbandschef Antonio Nunes hatte am Tag vor der Wahl sogar offen erklärt, sein CBF votiere in der ersten Runde für Infantino, werde aber auf Salman umsatteln, falls der vorne liegt. Man wolle beim Sieger sein.

Ein Teil der Scheich-Strategie schien aufzugehen. Sein Lager steckte am Tag vor der Wahl durch, unter russischer Führung hätten sich zahlreiche osteuropäische Verbände von Infantino abgewendet. Und tatsächlich pflegt Stimmbeschaffer al-Sabah auch nach Moskau beste Kontakte.

Was Salmans Team nicht auf dem Radar hatte, war der stille Exodus aus dem eigenen Lager; erst einmal zu Ali. Für den war Schwester Haya aktiv, sie ist IOC-Mitglied und Gattin von Mohamed al Maktum, dem Regenten der Vereinigten Arabischen Emirate. Diese und Katar bringen leicht eine arabische Allianz zuwege; dazu manchen Günstling in Afrika. In Runde eins wanderte ihr Stimmpotenzial zu Ali - um zu sehen, ob Infantino seine Aufgaben erledigt hat.

Fifa-Präsidentschaft: Daumen hoch für Europa: Auch DFB-Interimspräsident Reinhard Rauball (links) gratuliert Gianni Infantino zu seinem Wahlerfolg.

Daumen hoch für Europa: Auch DFB-Interimspräsident Reinhard Rauball (links) gratuliert Gianni Infantino zu seinem Wahlerfolg.

(Foto: Michael Probst/AP)

Er hatte. Beim Kongress versprach er erneut die Auszahlung von mehr als einer Dollarmilliarde für alle, begab sich gar in Widerspruch zu Generalsekretär Markus Kattner, der kurz zuvor finanzielle Engpässe dargelegt hatte, auf die die Fifa zusteuere. Und in der Vorwahlnacht hatte er Tokyo Sexwale getroffen. Der Südafrikaner war fünfter Kandidat, zog sich vor Wahlbeginn aber zurück. Seine Voten sicherten Infantinos frühen Vorsprung von drei Stimmen.

Nach Salmans Erstrunden-Desaster war mit bloßem Auge erkennbar, was gespielt wurde. Den Scheich umkreisten hektisch telefonierende Strategen. Derweil traf Ali am anderen Ende der Halle seinen westlichen Wahlhelfer: Sunil Gulati. Der US-Verbandsboss zählt zu jenen Fifa-Granden, die eng mit schon inhaftierten Kollegen verbandelt waren. Er dürfte im Fortgang der US-Ermittlungen noch nicht aus dem Schneider sein. Gulati also klapperte noch einmal die Mitstreiter im Ali-Lager ab - den Rest erledigten sie an der Urne. Schon wird im Fifa-Umfeld gewettet, dass Sexwale ins neue Council einzieht, das laut des beim Kongress abgesegneten Reformplans die bisherige Exekutive ersetzen soll. Auch für Ali wird sich Passendes finden. Der blasse Prinz, der seine Wahlrede monoton vom Papier abgelesen hatte, triumphierte am Ende auch persönlich über Salman. Der Erzrivale hatte ihm einen Schlag zu viel mitgegeben: In seiner Rede, direkt nach Ali, betonte Salman, er verzichte auf Papier und spreche von Herzen. Das, hieß es später, habe mancher arabische Delegierte als Beleidigung aufgefasst. Und ebenfalls an der Urne bestraft.

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